Spanien-Wahl: „Die internationalen Medien haben den Rechtsextremen in die Hände gespielt“

Die Spanien-Wahl ergab eine linke Mehrheit, doch alles spricht nur über die rechtsextreme Vox. Was internationale Medien an deren Aufstieg nicht verstehen, warum die linke Podemos stark verlor und wie die Sozialdemokratie knapp dem Untergang entrinnen konnte, erklären die Bewegungs-ExpertInnen Manuela Zechner und Bue Rübner Hansen im Gespräch mit Valentin Schwarz.

Österreichische Medien fassen das Ergebnis der Wahl mit einem „Patt“ zusammen. Von spanischen AktivistInnen höre ich dagegen in erster Linie Erleichterung über die „Niederlage der Rechten“. Wie seht ihr das?

Manuela Zechner: Die internationale Berichterstattung war furchtbar. Alles drehte sich um die rechtsextreme Vox und ihr vermeintlich überfallsartiges Auftauchen. Doch Vox kommt nicht aus dem Nichts, sondern aus dem konservativen Partido Popular (PP). Dort hat es seit dem Ende der Franco-Diktatur immer faschistoide Gruppen gegeben, die nun herausgebrochen sind. Die internationalen Medien haben das ignoriert und damit Vox in die Hände gespielt. Wenn sich alles um die extreme Rechte dreht und sie als kometenhafter Aufsteiger behandelt wird, nützt ihr das.

Gemessen an dem Hype war das Wahlergebnis für Vox und die gesamte Rechte eine Niederlage. Vox bekam 10 Prozent der Stimmen, hätte sich aber mehr erwartet. Zudem hat der PP mehr Stimmen verloren, als Vox und die liberalen Ciudadanos (Cs) dazugewinnen konnten. Die Rechte hat sich also fragmentiert und konnte keine Mehrheit erringen.

Bue Rübner Hansen: In anderen Ländern kommen die WählerInnen der extremen Rechten meistens aus dem sozialdemokratischen Milieu, in Spanien aus dem konservativen. Der PP konnte jahrzehntelang ein breites rechtes Spektrum abdecken, von Franco-Nostalgikern bis zu elitär-kosmopolitischen Neoliberalen. Letztere hat der PP schon länger an die Cs verloren, erstere nun an Vox. Deren Gründer waren unzufrieden damit, dass ihre schlimmsten Haltungen im PP nicht zu Wort kämen – daher auch der Name Vox, Latein für „Stimme“.

Warum blieb Vox unter den Erwartungen?

Zechner: Weil ihr Auftauchen auch eine massive Gegenmobilisierung ausgelöst hat, gemäß dem antifaschistischen Motto „¡No pasarán!“ („Sie werden nicht durchkommen“) aus dem Spanischen Bürgerkrieg. Die Wahlbeteiligung ist um über 9 Prozentpunkte gestiegen! Diese Mobilisierung tut der spanischen Gesellschaft und Politik, die die Geschichte der Diktatur kaum aufgearbeitet haben, gut.

Was ist von Vox als frischgebackener Parlamentspartei zu erwarten?

Zechner: Meine Erwartungen sind zwiespältig. Einerseits bekommt Vox nun öffentliche Gelder und mehr Zeit im Fernsehen. Sie können ihren faschistoiden Diskurs also besser verbreiten. Andererseits bin ich mir unsicher, ob ihnen das so gut gelingen wird. Ihr machistisches und kriegerisches Auftreten schreckt viele ab. Doch Vox kann nicht einfach wie etwa die FPÖ Anzug und Krawatte anziehen und sich staatstragend geben. Dann würden sie Gefahr laufen, von PP und Cs aufgesaugt zu werden.

Wahlsieger ist der PSOE von Premierminister Pedro Sanchez. Wie ist ihm das gelungen?

Zechner: Der PSOE war Hauptprofiteur der antifaschistischen Mobilisierung. Viele haben noch Erinnerungen an die Wurzeln der Partei, die nach der Diktatur versprach, Demokratie und soziale Gerechtigkeit zu bringen.

Noch vor einem Jahr haben viele dem PSOE einen Niedergang wie den Schwesterparteien in Griechenland, Frankreich oder den Niederlanden prophezeit, die PASOKisierung. Wie erklärt ihr euch dieses Comeback?

Rübner Hansen: Der PSOE ist dem Schicksal nur knapp entgangen. Bei den Wahlen 2015 und 2016 sah es tatsächlich danach aus, als würde er den Platz als größte Partei der Linken an Podemos verlieren. Parteichef Pedro Sanchez hat das Logische getan, um die PASOKisierung zu vermeiden: Er hat die Partei nach links gerückt, wenn auch nicht so weit, wie es die Partei früher einmal war. Podemos hat gleichzeitig versucht, sozialdemokratisches Terrain zu besetzen. Beide haben sich also aneinander angenähert. Der PSOE hat ein wenig seiner Seele zurückgewonnen, Podemos ein wenig ihrer Kanten verloren.

Die alte sozialdemokratische Garde wollte vom Linksschwenk nichts wissen und hat Sanchez gestürzt. Doch danach wurde er erneut zum Parteichef gewählt. Dieser Wahlsieg gibt ihm und seiner Strategie jetzt recht.

Podemos hat zwar Stimmen verloren, aber weniger stark als laut Umfragen zu befürchten war. Wie seht ihr das Podemos-Ergebnis?

Rübner Hansen: Ja, Podemos hat zwar besser abgeschnitten als in den Umfragen, aber ist trotzdem von über 21 auf 14 Prozent gefallen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens hat Podemos versucht, sozialdemokratisches Terrain zu besetzen – zur selben Zeit als der PSOE dorthin zurückgekehrt ist. Podemos hat damit viel von ihrer Fähigkeit verloren, den politischen Raum nach links zu verschieben. Zweitens hat Podemos in der Vergangenheit viele Stimmen eher aus Enttäuschung über den PSOE als aus Begeisterung für Podemos bekommen. Diese WählerInnen sind nun zurückgekehrt. Das gilt vor allem für jene, die die zentralistische PSOE-Position gegenüber Katalonien besser finden als das Podemos-Konzept eines plurinationalen Föderalismus.

Die Cs, nun drittstärkste Kraft hinter dem PP, gelten in Österreich als liberale Zentrumspartei. Doch in den letzten Monaten sind sie in Andalusien eine Koalition mit Vox eingegangen, während sie eine Regierung mit dem PSOE ausgeschlossen haben. Sind die Liberalen plötzlich nach rechts gerückt oder zeigen sie ihr wahres Gesicht?

Zechner: Letzteres. Schon seit letztem Jahr beteiligten sie sich an der rassistischen Stimmungsmache gegen MigrantInnen. Gegenüber der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung möchten sie mit Gewalt vorgehen. Vor allem aber sind die Cs opportunistisch. Den Frauenstreik haben sie abgelehnt, nach dessen Erfolg aber mit Frauen und Regenbogenfahnen posiert.

Rübner Hansen: Wie viele Liberale sind die Cs fortschrittlich, wenn es nichts kostet, und rückschrittlich, wenn sie ihre Interessen bedroht sehen. So erklärt sich ihr heftiger Anti-Sozialismus und aggressiver Anti-Katalanismus. Überhaupt hat der Rechtsruck in der Rechten schon lange vor Vox begonnen. Das übersehen viele.

Wie meinst du das?

Rübner Hansen: Teile Spaniens waren immer schon nationalistisch und zentralistisch, anti-sozialistisch und anti-feministisch eingestellt. Aber diese Haltungen blieben in den Jahrzehnten nach der Diktatur eher latent. Die sozialen Bewegungen des letzten Jahrzehnts haben reaktionär eingestellten Menschen dann wohl auch Angst eingejagt.

Laut Umfragen nahmen 2011 rund 8,5 Millionen Menschen an der 15M-Bewegung („Indignados“) teil, 34 Millionen unterstützten sie insgesamt. Der internationale Frauenstreik mobilisierte in den letzten beiden Jahren Millionen Frauen und wurde von großen Gewerkschaften und den BürgermeisterInnen einiger der größten Städte unterstützt. Für das reaktionäre Spanien bedrohen diese Bewegungen die aus seiner Sicht natürlichen Geschlechter-, Herrschafts- und Eigentumsverhältnisse. Dazu sehen diese Menschen die spanische Nation von den Unabhängigkeitsbewegungen gefährdet. Als Reaktion haben sie sich radikalisiert.

Zechner: Vor allem radikalisierten sich viele Leute Richtung Vox, weil der PP nach endlosen Korruptionsskandalen und internen Kämpfen als hegemoniale Partei zerbröckelt ist. Es macht Angst, wenn man sich plötzlich nicht mehr als dominante Kraft in der Politik sieht. Angesichts dessen hat sich Vox formiert, um erfolgreiche internationale rechtsextreme Parteien zu kopieren, so wie die Cs als liberale Spiegelung von Podemos entstanden sind. Der PP hat sich dabei ausgehöhlt.

Diese Analyse des Rechtsrutschs ist in der öffentlichen Debatte kaum vertreten.

Rübner Hansen: Die Massenmedien sind nicht in der Lage, diese Entwicklungen zu analysieren. Sie haben schon die sozialen Bewegungen unterschätzt oder bewusst heruntergespielt. Deshalb verstehen sie auch die rechte Reaktion nicht. Sie erscheint ihnen unerklärlich und daher auch unaufhaltsam. Statt den Rechtsrutsch zu analysieren, verfallen sie in einen ohnmächtigen Alarmismus. Dieser Alarmismus droht, der Rechten die Initiative zu überlassen und sie so zu einer Kraft werden zu lassen, der echte Veränderung gelingt. Um das zu verhindern, reicht eine Anti-Vox-Mobilisierung bei Wahlen nicht aus. Die Bewegungen und ihr Kampf für eine bessere Welt müssen unser Fokus bleiben.

Wenn diese These zutrifft, unterscheidet sich Spanien grundlegend von Staaten wie Österreich. In Mittel- und Nordeuropa gibt es ebenfalls erstarkende rechtsextreme Parteien, aber ohne dass ihnen nennenswerte soziale Bewegungen vorausgegangen wären.

Rübner Hansen: Nicht unbedingt. Auch in Mittel- und Nordeuropa können wir die extreme Rechte als Reaktion verstehen – aber als Gegenbewegung zu einer passiven Revolution, die in den letzten Jahrzehnten stattgefunden hat. Zu dieser passiven Revolution gehört der Rückgang des Männlicher-Alleinverdiener-Modells, einige feministische Errungenschaften und die durch Migration ausgelösten Veränderungen in der Gesellschaft. Vieles davon wurde von anti-rassistischen, feministischen oder LGBTQI-Bewegungen getragen, wenn auch von kleineren.

Große Teile der Linken, vor allem in Gewerkschaften und Sozialdemokratie, haben sich daran nie beteiligt. Deshalb begreifen sie die Gegenbewegung der extremen Rechten auch nicht. Weil sie keine Verbindung zu diesen Kämpfen hatten, sahen sie auch die Reaktion darauf nicht als Reaktion. Sie wissen also keine andere Antwort, als die Rechte moralisch herabzusetzen, ohne eine positive Vision von Veränderung anzubieten. Oder sie nähern sich selbst an deren konservative und fremdenfeindliche Positionen an.

Zurück zu Spanien. Ich höre oft folgende These: Jahrelang drehte sich alles um die soziale Frage, um Wirtschaftskrise, Bankenrettungen und Verarmungspolitik. Das nützte der Linken. Mit dem Hochkochen des Katalonien-Konflikts hat sich der Fokus auf die nationale Frage verlegt, was der Rechten nützt. Was sagt ihr nach dieser Wahl dazu?

Zechner: Schwer zu sagen. Der Konflikt hat sicher der nationalistischen Rechten genützt – aber auch den linken nationalistischen Parteien in Katalonien und auch dem Baskenland, wo kein einziger rechter Abgeordneter gewählt wurde. Außerdem bezweifle ich, dass die soziale Frage an Bedeutung verloren hat. Immerhin hat mit dem PSOE jene Partei die Wahl gewonnen, die – neben Podemos – als einzige ein wenig soziale Politik gemacht hat. Es waren nur kleine sozialdemokratische Gesten, aber die haben wohl etliche WählerInnen gebracht, die der Polarisierung zwischen Spanien und Katalonien schon müde sind.

Zum Abschluss: Welche Regierung haltet ihr jetzt für wahrscheinlicher? PSOE-Cs oder PSOE-Podemos-linke regionale Parteien?

Zechner: Weder noch. Derzeit sieht es so aus, als würde der PSOE die Minderheitsregierung fortsetzen wollen.

In einem Monat folgen die Kommunalwahlen. Die Linke hat viel zu verlieren, etwa die Bürgermeisterinnen in Barcelona und Madrid. Welche Auswirkungen könnte die nun geschlagene Parlamentswahl haben?

Rübner Hansen: Wahrscheinlich gute. Der Wahlausgang legt nahe, dass die Kommunalwahlen nicht nur von den nationalen Konflikten geprägt sein werden. Es dürfte auch Platz für soziale Themen und eine Anti-Vox-Mobilisierung geben. Das wird den munizipalistischen Bewegungen und Podemos nützen. Allerdings hat der PSOE die Krise überwunden, in der er bei den letzten Wahlen 2015 noch steckte. Die Linke wird also wohl weniger stark abschneiden als damals.

Manuela Zechner und Bue Rübner Hansen forschen und arbeiten rund um soziale Bewegungen, teils mit und teils ohne Institutionen, seit einigen Jahren oft mit Bezug auf Barcelona.

Interview: Valentin Schwarz

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