Eine demokratische Revolution: Was wir von den spanischen Kommunalwahlen lernen können

Ada Colau und Manuela Carmena und ihre Bewegungsbündnisse Barcelona en Comú und Ahora Madrid haben es geschafft. Aller Voraussicht nach werden die Aktivistin gegen Zwangsräumungen (Ada Colau) und die ehemalige Richterin, die sich schon in den 1970er Jahren für die Rechte von Arbeiter_innen mit dem Franco-Regime anlegte (Manuela Carmena), die nächsten Bürgermeisterinnen der Metropolen Barcelona und Madrid.

„Wer hätte gedacht, dass wir das schaffen?“ meinte Ada Colau in ihrer Rede am Wahlabend. Schließlich wurde Barcelona en Comú erst vor einem Jahr ins Leben gerufen. Doch die Arbeit an den größten Umbrüchen im spanischen Staat seit dem Ende des Faschismus begann schon viel früher.

Das lässt sich gut an einem „alten“ Foto von Ada Colau, der neuen Bürgermeisterin von Barcelona, veranschaulichen. Es zeigt sie 2007 bei einem Protest für das Recht auf Wohnen. Auf ihrem Schild steht: „Wohnen raus aus den Märkten, genauso wie Bildung und Gesundheit.“

Emanzipatorische Maulwurfsarbeit

Schon vor dem Ausbruch der Krise in Spanien begann die damalige Gruppe von Ada Colau „W für Wohnen“ (V de Vivienda), mit kreativen Aktionen und zivilem Ungehorsam die Immobilienblase und die damit verbundene Verletzung des Rechts auf Wohnen kritisch aufzugreifen.

„W für Wohnen“ ging davon aus, dass sich die soziale Krise in Spanien entlang der Frage des Wohnens zuspitzen werde. Als 2008 im Anschluss an die Weltwirtschaftskrise das spanische „Entwicklungsmodell“ zusammenbrach, sollte die Gruppe Recht bekommen.

Neoliberalismus in Spanien

Schon das Franco-Regime setzte ein neoliberales „Wirtschaftsmodell“ durch. Der damalige Minister für Wohnen brachte dies mit folgenden Worten auf den Punkt: „Wir wollen ein Land der Privateigentümer, nicht der Proletarier.“

Eine Entwicklung, die durch die Politik der sozialdemokratischen und konservativen Regierungen nach dem Ende des Faschismus auf die Spitze getrieben wurde: 2007 waren mehr als 80% der Bevölkerung Besitzer_innen von Immobilien – so viele wie in keinem anderen Land der EU. Ermöglicht wurde dies nicht zuletzt durch liberalisierte Finanzmärkte, die entsprechende Kredite vergaben. Dass es sich dabei nicht bloß um ein spanisches, sondern um ein europäisches Modell handelte, zeigt sich daran, woher dieses Kapital zum großen Teil kam: vom „Exportweltmeister“ Deutschland.

Von der so entstehenden Blase profitierten europäische und spanische Banken sowie Lokalregierungen, die Land auf Kosten der Umwelt unkontrolliert umwidmeten. Allein in den zehn Jahren vor der Krise stiegen die Immobilienpreise um 220%. Da die Löhne der spanischen Arbeiter_innen kaum stiegen, war diese Entwicklung zentral dafür, dass dennoch die Nachfrage aufrechthalten werden konnte: Da der Preis der eigenen Wohnung ständig stieg, konnte auch der entsprechende Kredit stetig ausgeweitet werden. Nicht durch steigende Löhne, sondern durch steigende Privat-Verschuldung wurde der Konsum aufrechterhalten.

Politisierung in der Krise

Mit der Krise 2008 stürzte dieses durch staatliche Politik vorangebrachte Entwicklungsmodell in sich zusammen. Ende 2008 waren eine Million nicht verkaufte Immobilien auf dem Markt, die Preise brachen ein, Banken schränkten ihre Kredite ein und stoppten Bauprojekte, die Arbeitslosigkeit stieg drastisch an und immer mehr Menschen waren von Zwangsräumungen bedroht, weil sie ihre Kreditraten nicht mehr bedienen konnten.

Aufgrund ihrer jahrelangen Arbeit und ihrer Einschätzung, dass sich die soziale Krise in Spanien anhand der Wohnfrage entzünden werde, war „W für Wohnen” in diesem Moment in der Lage, ein Angebot an eine schnell wachsende Zahl von Betroffenen zu machen: 2009 wurde die bald sehr bekannte und erfolgreiche Bewegung gegen Zwangsräumungen gegründet („Plattform der Betroffenen der Hypothek“ – PAH“).

Ada Colau beschreibt den Prozess, der zur Gründung der PAH führte, mit den folgenden Worten: „Die Wohnungskredite wurden zu einer aufrüttelnden Bedrohung, zu einem Kommunikations-Werkzeug, das es uns möglich gemacht hat, den Zusammenhang von finanzialisierten Kreditmärkten und Wohnen zu problematisieren. Anhand dieser konkreten Bedrohung konnten wir jene Strukturen freilegen und darstellen, die uns in diese Situation gebracht haben.“

Kapitalismuskritik konkret

Die unmittelbare Betroffenheit machte es breiten Teilen der Bevölkerung möglich zu verstehen, wie ihre eigene Lebenssituation mit der konkreten Einbettung des spanischen Wirtschaftsmodelles in den finanzmarktgetriebenen Kapitalismus verbunden ist. Ein Modell, das von Banken, Medien und das „Zweiparteiensystem“ über Jahrzehnte fortgeführt wurde und sich nur durch einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel aufbrechen und verändern lässt.

Dass ein grundlegender gesellschaftlicher Wandel immer von den Betroffenen selbst ausgehen muss, ist die zweite Einschätzung, die wesentlich für die Umbrüche war, die sich im spanischen Staat vollziehen. Dazu meinte Ada Colau 2013, damals noch Sprecherin der Bewegung gegen Zwangsräumungen: „Das etablierte Parteiensystem funktioniert nicht, man muss die Demokratie neu begründen. […] Wir müssen die Demokratie zurückgewinnen und sie als Personen selbst wahrnehmen.“

Politik in der ersten Person

Und für diese Politik in der ersten Person steht sowohl die Plattform der Betroffenen der Hypothek als auch die 2011 einsetzende Bewegung gegen die Kürzungspolitik und Bankenrettung: Zuvor „unpolitische“ Menschen verhinderten Zwangsräumungen, besetzten Plätze, legten die Arbeit nieder, kämpften für freie Bildung, ein Gesundheitssystem für alle und für die Schließung von Abschiebelagern. Dabei schufen sie immer auch Räume zur Reflexion und zum Lernen. Alternatives Wissen und widerständige Praxis konnten sich so massenhaft vermehren.

Was lässt sich daraus lernen?

Wenn die gesellschaftliche Linke in Europa etwas von den überraschenden Ergebnissen bei den spanischen Kommunalwahlen lernen möchte, sollte sie ihr Begehren nach gesellschaftlichen Wandel nicht auf andere projizieren und beginnen, selbst zu handeln. Genauso wenig lassen sich politische Strategien, die vor dem Hintergrund einer besonderen Spielart des europäischen Kapitalismus entwickelt wurden, einfach übertragen. Besonders dann nicht, wenn es sich um Länder des europäischen Zentrums handelt.

Lernen lässt sich allerdings von den zwei zentralen Fragen, die sich die gesellschaftliche Linke in Spanien gestellt hat und auf die sie emanzipatorische Antworten gefunden zu haben scheint:

  1. Was ist das wirtschaftliche Entwicklungsmodell jenes Landes, in dem wir Politik machen wollen und auf welche Weise ist es international verflochten? Welche Widersprüche weist es auf und welche sozialen Konflikte werden dadurch geschaffen? Und von welchen Orten und Lebensverhältnisse aus lässt sich ein grundlegender gesellschaftliche Wandel organisieren?
  2. Wie können wir mit einer Stellvertreter_innenpolitik brechen und Formen der Organisierung entwickeln, die es ermöglichen, dass Menschen auf breiter Basis wieder die eigenen Angelegenheiten in ihre Händen nehmen?

Eine breite und offene Debatte dieser Fragen, könnte die Voraussetzung dafür schaffen, dass eine zentrale Aussage von Ada Colau in ihrer Rede auch im europäischen Maßstab Konturen annimmt: „Dieser Prozess ist eine unaufhaltbare demokratische Revolution…“

Lukas Oberndorfer ist Wissenschafter in Wien und arbeitet vor allem zur europäischen Krise und ihrer autoritären Bearbeitung. Er ist Redakteur von mosaik und blog.arbeit-wirtschaft.at. Du kannst ihm auf Twitter oder Facebook folgen.

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