Warum der FPÖ-Aufstieg 2017 weitergehen wird

Die Präsidentschaftswahl war vordergründig ein Rückschlag für die FPÖ, hat das politische System aber weiter nach rechts verschoben, analysiert Benjamin Opratko. Ein Hoffnungsschimmer sind die vielfältigen Initiativen gegen Hofer, die abseits der offiziellen VdB-Kampagne gearbeitet haben.

Ist 2016 zum Schluss besser als sein Ruf? Wird es als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem der Aufstieg der FPÖ gestoppt wurde? Platzen Straches Träume ausgerechnet im Jahr von Trump und Brexit?

So argumentieren seit Norbert Hofers Niederlage bei der Wahl zum Bundespräsidenten eine Reihe liberaler und linker KommentatorInnen. Österreich sage „leise Servus zum Rechtsruck“  meint der „Spiegel“. Für Robert Menasse ist gar „der Fall FPÖ erledigt“. Wird Österreich also wie in den 1990er Jahren, als Jörg Haider den Aufstieg des populistisch modernisierten Rechtsextremismus in Europa anstieß, erneut zum Vorreiter – aber diesmal, um das Ende des rechten Erfolgslaufs einzuleiten?

Oppositionell und staatsmännisch zugleich

Tatsächlich ist die Niederlage Hofers der erste große Rückschlag für die FPÖ unter Strache. Um möglichst breite Teile der Gesellschaft anzusprechen, will sie zugleich trotzige Systemopposition sein und staatsmännische Verantwortung zeigen. Ersteres hat die Partei über Jahre perfektioniert, mit letzterem hat sie noch ihre Probleme. Obwohl sich Straches Spin-Doktoren seit einiger Zeit bemühen, ihn als „Bürgerkanzler“ zu inszenieren, stehen Biografie und Charakterstruktur des FPÖ-Obmanns dem Imagewechsel vom Rabauken zur nationalen Vaterfigur im Weg. Norbert Hofer als Bundespräsident hätte einen Ausweg aus diesem Dilemma geboten. Strache hätte weiter gegen das System rotzen können, während aus der Hofburg die kreideweiche Stimme Hofers den ÖsterreicherInnen versichert hätte: Wir können Staat.

Vorbild Putin und Orban

Auch für die langfristigen Ziele der Rechten ist Hofers Schlappe ein Rückschlag. Denn die FPÖ will nicht nur an die Regierung, sie will an die Macht. Wir haben es nicht mit der gleichen Partei zu tun, die im Jahr 2000 von Wolfgang Schüssel in die Regierung geholt wurde und rasch zerbrach. Die FPÖ war damals von jungen Karrieristen geprägt, die Jörg Haider in Dorfdiskos und auf Kirtagen aufgegabelt hatte. Nach dem Scheitern dieser „ideologischen Flachwurzler“, wie FPÖ-Publizist Andreas Mölzer sie nannte, wurde die FPÖ von den alten Recken des Dritten Lagers wieder aufgebaut. Ideologisch tief im (Deutsch-)Nationalismus verwurzelt, durch Burschenschaften und andere Männerbünde zusammengehalten, hoben sie Strache auf ihren Schild, stellen die Kader in Partei und Parlamenten und geben der FPÖ Form wie Inhalt. Ihr Ziel ist der Umbau von Staat und Gesellschaft, ihr Vorbild sind die „gelenkten Demokratien“ in Ungarn und Russland. Wenn sie die drei höchsten Ämter im Staat – Bundespräsident, Präsident des Nationalrats und Bundeskanzler – kontrollieren, kommen sie diesem Ziel deutlich näher. Dieses Szenario wurde vorerst abgewendet.

Selbstgefällige Bildungsbürger

Doch wenn manche jetzt den Anfang vom Ende des FPÖ-Aufstiegs verkünden, sagen sie mehr über sich selbst als über den Zustand der Rechten aus. Für viele Bildungsbürgerliche ist er wie ein böser Alptraum: übernatürlich und unerklärlich. Statt die Ursachen des Rechtsrutsches zu analysieren, üben sie sich nach der Präsidentschaftswahl in Selbstgefälligkeit: Man habe sich, der Welt und dem rechten Pöbel bewiesen, dass man immer noch stärker sei als „die Anderen“. Dabei übersehen sie: Der Sieg Van der Bellens hat es gerade nicht geschafft, die gesellschaftlichen Dynamiken zu verschieben, die Grundlage der bisherigen FPÖ-Erfolge waren. Gewonnen ist noch nichts.

Rechtsruck trotz FPÖ-Niederlage

So paradox es klingen mag: Obwohl Hofer verloren hat, wurde das politische Koordinatensystem Österreichs im langen Wahlkampf eher nach rechts verschoben. Um gegen den blauen Kandidaten eine Chance zu haben, mussten Van der Bellens Wahlkampfmanager eine fast unmögliche Allianz zusammenbasteln, die von der Gewerkschafterin bis zum Industriellen, von der linken Basisaktivistin bis zum Raiffeisen-Boss reichte. Sie identifizierten konservative WählerInnen im ländlichen Raum als entscheidende Gruppe, die in einem extrem engen Rennen die entscheidenden Prozentpunkte bringen konnte. Deshalb wurde Van der Bellen als besserer Patriot inszeniert, in Trachtenjanker gesteckt und von rotweißroten Fahnen umweht auf jeden Kirtag zwischen Schruns und Podersdorf geschickt. Inhaltlich war er darauf bedacht, potenzielle konservative WählerInnen nicht zu verschrecken und verzichtete auf jede linke Duftmarke. Im Gegenteil: Die Kürzung der Mindestsicherung nannte Van der Bellen eine „vertretbare Regelung“, er warnte vor Flüchtlingen aus einem „anderen Kulturkreis“, und wirtschaftspolitisch war von dem Freihandels-Fan ohnehin nichts zu erwarten. Die Orientierung hin zu konservativen Milieus mag wahlkampftaktisch nachvollziehbar gewesen sein und brachte letztlich den gewünschten Erfolg. Ihr struktureller Effekt war aber eine Stärkung rechter Positionen in Österreich.

Für VdB, gegen Minderheiten

Das heißt nicht, dass die FPÖ über eine absolute Mehrheit verfügt, sondern dass autoritäre Weltbilder auch außerhalb der blauen Blase zunehmend verbreitet und normalisiert sind. Das lässt sich gut am Beispiel des Wochenmagazins „profil“ illustrieren. Dessen Redaktion hatte sich für Van der Bellen ausgesprochen und sogar – entgegen den Gepflogenheiten der österreichischen Medienszene – eine Wahlempfehlung für ihn aufs Cover gesetzt. Zugleich schrieb profil-Chefredakteur Christian Rainer einen Leitartikel über Geflüchtete, der sich nur im Tonfall von einem FPÖ-Hassposting unterschied. Rainer fordert die Regierung auf, geltendes Recht zu brechen, um anerkannten Flüchtlingen selbst minimale Sozialleistungen zu streichen. Er weigere sich, schreibt Rainer, „die Forderung zu akzeptieren, Bürger zweiter Klasse dürfe es nicht geben.“ Ein führender liberaler Publizist kann sich also offen gegen Minderheitenrechte und Demokratie stellen – und trotzdem zur Wahl Van der Bellens aufrufen.

Ordnung für die Ängstlichen

Die Wahl zum Bundespräsidenten hat die politische Grundkonstellation, von der die FPÖ seit Jahren profitiert, verfestigt. Ihr ist es weiter gelungen, sich als Vertreterin der „einfachen Leute“ gegen eine weltfremde „Hautevolee“ zu inszenieren, auch wenn die Tatsachen das Gegenteil beweisen. Obwohl beide Kandidaten aus Oppositionsparteien kamen, stand in der Öffentlichkeit nur Norbert Hofer für Opposition. Das zentrale Versprechen der populistischen Rechten ist es, echte Veränderung und eine Rückkehr zur „Ordnung“ durchzusetzen. Überzeugt wurden davon vor allem jene WählerInnen, die sich selbst als „Arbeiter“ bzw. „Arbeiterin“ identifizieren: Sie wählten zu 85 Prozent Hofer. Wie schon bei der letzten Nationalratswahl konnte der FPÖ-Kandidat jene Menschen hinter sich versammeln, die mit der Lage im Land unzufrieden sind, die mit Sorge in ihre eigene und die Zukunft ihrer Familien blicken. Van der Bellen war dagegen tendenziell der Kandidat der Zufriedenen und Zuversichtlichen.

Zufriedene Linke

Ist es nicht beruhigend, dass noch eine Mehrheit in Österreich zu den Zufriedenen gehört? Nein, denn die Gründe zur Sorge werden in den kommenden Monaten und Jahren kaum weniger werden. Gerade die Linke sollte dem Unmut über Ungerechtigkeit und Wunsch nach Veränderung Ausdruck verleihen – und nicht die Satten und Erfolgreichen mit einem guten Gewissen ausstatten. Der Erfolg der Rechten beruht wesentlich darauf, dass sie sich als einzige Opposition zum bestehenden politischen System darstellen. Die Bundespräsidentenwahl hat an dieser Konstellation nichts geändert, sondern sie noch gestärkt. Auch deshalb wäre es verfehlt, den Sieg Van der Bellens als Signal des Umschwungs zu interpretieren.

Nicht „die neue Arbeiterpartei“

Wir müssen diese Konstellation verstehen, aber ohne der Erzählung der FPÖ auf den Leim zu gehen, sie würde „die normalen Leute“ repräsentieren. Diese Behauptung wird bisweilen auch von Linken gestützt, die besorgt feststellen, dass „die Arbeiterklasse“ jetzt rechts wähle. Doch das stimmt so nicht. Wahr ist, dass bestimmte Segmente der ArbeiterInnenklasse rechts wählen: Besonders Männer, etwa in der Schwerindustrie und im Transportgewerbe beschäftigte Facharbeiter, und vor allem solche, die sich als „echte Österreicher“ sehen, stimmen für die FPÖ. Andere Teile der ArbeiterInnenklasse tun das Gegenteil: Besonders Frauen, im öffentlichen und im Dienstleistungs-Sektor Beschäftigte und solche, die vielen „echten Österreichern“ nicht als ihresgleichen gelten, wählen nur selten rechts. Auch sie sind Teil der Klasse der ArbeiterInnen, auch wenn sie sich in Umfragen selbst nicht so deklarieren. Dazu kommt die knappe Million Menschen, die in Österreich lebt, arbeitet und Steuern bezahlt, aber vom Wahlrecht ausgeschlossen ist.

Die andere VdB-Kampagne

Zur FPÖ-Erzählung gehörte auch die Behauptung, Van der Bellen sei der „Kandidat der Eliten“ gewesen. Auch das ist nur die halbe Wahrheit. Neben den UnterstützerInnen aus dem Establishment gab auch eine Art Parallelkampagne von unten. Sie trat manchmal als offizieller Teil des „Teams VdB“, manchmal als unabhängige Unterstützung auf. Viele, die im Wahlkampf aktiv waren, waren unzufrieden mit der patriotisch-konservativen Ausrichtung der offiziellen Kampagne, unterstützten ihren Kandidaten aber trotzdem gegen Hofer. In dieser bunten Koalition von unten fanden sich GewerkschafterInnen, antirassistische, queere und feministische AktivistInnen, SozialistInnen, KommunistInnen, Grüne und auch viele Unabhängige wieder, die zum ersten Mal überhaupt direkt in eine politische Auseinandersetzung eingriffen. Sie verteilten Flugblätter, klopften an Wohnungstüren, drehten Videos, organisierten einen Flashmob-Chor, suchten das Gespräch am Arbeitsplatz und teilten Memes in den Sozialen Medien. Gerade in den Städten, wo Van der Bellen nochmals zulegen konnte, trugen die Aktivitäten dieser anderen VdB-Kampagne dazu bei, dass das WählerInnenpotenzial besser abgerufen werden konnte.

Die Ganz Große Koalition

Der Sieg über Hofer ist auch ein Sieg dieser Bewegungen. Doch er war nur in einer außergewöhnlichen Konstellation möglich, in der sich alles auf die Verhinderung eines FPÖ-Bundespräsidenten konzentrierte. Die Ganz Große Koalition gegen Hofer, die von ÖVP bis KPÖ, Wirtschaftskammer bis Basisgewerkschaft reichte, kann nicht dauerhaft halten. Um 2016 wirklich als Anfang vom Ende des rechten Aufstiegs in die Geschichtsbücher eingehen zu lassen, müssten die vielen Menschen, die Van der Bellen trotz, nicht wegen seiner Anbiederung an Rechts gewählt haben, dauerhaft politisch aktiv bleiben. Sie müssten dafür neue Formen entwickeln, in denen sie sich engagieren und erproben können, welche Zukunft sie sich wünschen. Es braucht nicht weniger als das. Denn der elende Status Quo hat den Versprechungen der autoritären Ordnung nichts entgegen zu setzen; die Mitte hält nicht mehr.

Um den Aufstieg der Rechten wirklich zu stoppen, muss das politische Koordinatensystem Österreichs aufgebrochen werden, in dem eine Stimme für die FPÖ als Stimme gegen „die da oben“ gilt. Um die Fantasien von Zucht und Ordnung zu entzaubern, müssen wir andere, schönere Fantasien entwickeln: zärtliche, gerechte und freie. Und wir müssen spürbar machen, dass Sorgen, Wut und Unsicherheit ihren Platz haben im Streben nach einer solchen, besseren Ordnung. Was hier poetisch klingt, bedarf der Übersetzung in Forderungen, Vorschläge und Strategien der Umsetzung. Aber ohne einen neuen Horizont, in dem sich diese prosaischen Elemente einer neuen Politik zum Bild einer besseren Zukunft zusammenfügen, wird es nicht gehen. Nur dann kann aus dem permanenten Abwehrkampf, der irgendwann verloren gehen muss, eine echte Trendwende werden.

Benjamin Opratko ist Politikwissenschaftler und Redakteur von Mosaik.

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