Bei den spanischen Parlamentswahlen am 26. Juni gewann Podemos Unidos – das Wahlbündnis aus Podemos und der Linkspartei Izquierda Unida – 21,2% der Stimmen. Obwohl man das selbstgesteckte Ziel, die sozialdemokratische PSOE zu überholen, verfehlt hat, ist man in der nächsten Amtsperiode mit 71 Abgeordneten im spanischen Parlament vertreten. Ist das Ergebnis also ein Erfolg? Oder ist man unter den eigenen Möglichkeiten geblieben ist? Juan Carlos Monedero, Mitgründer von Podemos und bis Anfang 2015 Mitglied der Parteiführung, analysiert was schiefgelaufen ist und wie es besser werden könnte.
Einmal mehr ist Podemos Opfer der eigenen Naivität geworden und hat den Umfragen geglaubt – weil die Umfragen sagten was es hören wollte. Jugendlicher Übermut. Weil man sich an den Erwartungen misst, erweckt ein Ergebnis, das objektiv gesehen spektakulär ist – 71 Abgeordnete bei der ersten Wahlteilnahme als Unidos Podemos – den Eindruck des Scheiterns. Und so wird vergessen, dass Podemos eine große und schlagkräftige Parlamentsfraktion vorzuweisen hat, um zu zeigen, dass es eine alternative politische Kraft sein kann. Die einzige Fraktion, die in ein paar Monaten beweisen wird, dass sie es ernst gemeinte hat mit dem Kampf gegen die Kürzungspolitik. Nachdem man stets wiederholt hatte, dass die Umfragen mit Vorsicht zu genießen sind, hat man sie schließlich doch für das Wort Gottes gehalten. Und das Wort Gottes, von Angst und dem Brexit gefärbt, hat geraunt: „Besser das schlechte Bekannte, als das Gute, das man noch nicht kennt.“
Veränderung braucht Zeit
Nicht nur einmal habe ich darauf hingewiesen, dass es, um eine Wahl zu gewinnen, nicht ausreicht sich dem anzupassen was die Leute wollen. Es lässt dich übermäßig taktierend aussehen, die Kanten abschleifen, dich permanent selbst verleugnen, und erzeugt zeitgleich Verunsicherung darüber, was du wirklich denkst.
Im Ärger der Leute steckt viel Wut über die Exzesse des Systems, aber nicht gegen das System selbst. Das sorgt dafür dass du wütend bist und über die Regierenden schimpfst, aber in der Stunde der Wahrheit wird dir klar, dass Du nicht sehr viele Argumente gegen das von dir Verachtete hast und dir außerdem nicht klar ist, was deine Alternative wäre. Die haben sie dir nicht an die Hand gegeben oder du hast sie nicht verstanden. Und so stehst du am Ende da und schimpfst: „Ja, es sind Bastarde, aber es sind unsere Bastarde.“ [Angeblicher Ausspruch Franklin D. Roosevelt über den von den USA gestützten nicaraguanischen Diktator Somoza, Anm.].
Du freust dich zu sehen wie Zorro das Z in die Wange des Vizekönigs ritzt, aber es reicht nicht aus, um Zorro an seiner Stelle am Thron sehen zu wollen, solange er dir nicht sagt, wer er wirklich ist und was er mit dem Land vorhat. Und die Lügen zu entlarven, die sie über ihn verbreitet haben braucht Zeit. Ein Land verändert man nicht in zwei Jahren.
Sozialdemokratie 2.0?
Es reicht nicht aus eine leere Rede geschmückt mit einem flinken Mundwerk und aufpoliert mit dem Glamour des Fernsehens zu halten, wenn du keine klare Alternative vorschlägst; wenn du nicht gleichzeitig und beständig die Probleme der Parteien denen du gegenüberstehst aufzeigst. Immer wieder habe ich darauf hingewiesen, dass wenn du deinen Wählern keine Werkzeuge bereitstellst sich zu mobilisieren, sich deine Wähler nicht mobilisieren werden. Jene beiden Parteien, die darauf verzichtet haben, ihre unmittelbaren Kontrahenten zu kritisieren, haben nicht das erwartete Ergebnis erzielt. Ciudadanos [neu gegründetete rechtsliberale Partei, Anm.] kritisierte nur Rajoy [Vorsitzender der konservativen Partei PP, Anm.], weil sie dachten, wenn sie die PP insgesamt kritisierten, würden sie nicht gewählt werde – hier ist das Ergebnis.
Podemos machte das gleiche mit der PSOE [Sozialdemokratische Partei, Anm.]. Es vermied die Partei zu kritisieren, um dessen Wähler für sich zu gewinnen und beschränkt sich lediglich darauf deren Führung anzugreifen. Manchmal vermittelte es den Eindruck, eigentlich wolle man den Platz der PSOE einnehmen, ohne zu begreifen, dass die PSOE Teil einer Welt ist, die der Vergangenheit angehört. Der Kreis schloss sich schließlich mit einer Wahlkampagne, die versuchte eine Art PSOE 2.0 zu sein. Ein breites, alte ideologische Gräben überbrückendes Bündnis zu schaffen bedeutet nicht, wie die Linke früher, als Steigbügelhalter der PSOE dienen zu wollen. Noch bedeutet es sich den Mantel von ’82 überzuwerfen [1982 gewann die PSOE das erste Mal seit der Rückkehr zu Demokratie die Wahlen. Sie errang eine absolute Mehrheit Anm.]. Vielmehr heißt es in diesen Zeiten der neoliberalen Hegemonie, den Diskurs der Emanzipation in neue Wort zu fassen. In Worte, die die Mehrheiten berühren.
Die Angst besiegen
Die brillante Idee, das Wahlprogramm in Form eines IKEA-Katalogs zu drucken ist nutzlos, wenn es nicht dazu beiträgt deine Pläne für das Land offenzulegen. Die Leute sind begeistert von der Katalogidee, wollen aber sehen wie die aufgebauten Möbel aussehen. Zumindest aber wollen sie dich mit den Werkzeugen in der Hand schrauben sehen – auch wenn es nur die mitgelieferten Inbus-Schlüsselchen sind.
Eine Kampagne des Lächelns ist nutzlos, wenn Du nicht an der Seite der Betroffenen stehst und den unmittelbaren Schuldigen die Zähne zeigst, die für ihr unmittelbares Leid verantwortlich sind. Die Angst besiegst Du nicht indem Du dich als im Käfig eingesperrter Löwe präsentierst, sondern indem Du die Leute für deine Armee gewinnst.
Das frische Spanien
Der Mythos der zwei Spaniens hat in der Vergangenheit nur dazu gedient, den Autoritarismus einer Minderheit gegenüber der Mehrheiten zu rechtfertigen. Aber heute stimmt es, dass es ein altes Spanien gibt, sozialisiert unter dem Franquismus und Geisel der Angst, das eine sehr begrenzte Vorstellung davon hat, was Bürgerschaft (ciudadanía) wirklich bedeutet. Das mit dem Motto durchs Leben geht: „Es ist mir egal, ob die Politiker stehlen, so lang’s bei mir gut läuft“.
Es gibt ein Spanien, das sich gegen jegliche Veränderung mobilisiert; und ein anderes, neuentstehendes Spanien, das eine Politik fordert – ich befürchte nicht immer in aktiver Art und Weise –, die ihm entspricht. Dieses frische Spanien ist müde vom rein parlamentarischen Spektakel der letzten Monate. Selbst die Aktivitäten von Podemos auf der Straße hatten parlamentarischen Charakter. Es ist der zahnlosen Debatten müde, der mangelnden Courage dir zu sagen, dass du dich auf einen langen, harten Kampf einstellen musst, weil nichts weniger als die Zukunft deines Landes auf dem Spiel steht. Dieser Teil hat sich von den Wahlen zurückgezogen, während die Alten in ihrer Angst, die durch den Brexit noch zusätzlich befeuert worden war, in ihrem Wohnzimmer erneut die Stickerei mit der Aufschrift „besser das schlechte Bekannte, als das Gute, das man noch nicht kennt“ aufgehängt haben.
Zusammengehen war richtig
Noch immer wollen die Medien Podemos domestizieren und sie werden weiter versuchen es in den Steigbügelhalter der PSOE zu verwandeln. Das altbekannte Spiel. Deshalb wollen sie Pablo Iglesias zum Alleinverantwortlichen eines Ergebnisses erklären, das nur schlecht ist, wenn man es an den Erwartungen der falschen Umfragen misst.
Sie vergessen, dass die gesamte Parteispitze die Confluencia [dem Zusammengehen, wörtlich dem Zusammenfließen mit anderen Parteien, v.a. mit der Linkspartei Izquierda Unida Anm.] mit Izquierda Unida (IU) unterstützt hat. Auch die Basis unterstütze diese Confluencia mit überwältigenden 98% und niemand – auch nicht Íñigo Errejón, wie es einige Medien präsentieren wollen – hat sich auf die Seite der 2% gestellt hat, die gegen diese Confluencia waren. Wären sie nicht gemeinsam angetreten – das Ergebnis wäre wohl noch schlechter ausgefallen. Das Problem war nicht die Confluencia, diese weist in die richtige Richtung. Das Problem ist zu Verstehen was schiefgelaufen ist und dazu geführt hat, dass die Wähler, die die beiden Parteien zuvor unterstützt hatten, es bei dieser Wahl nicht getan haben.
Ein neuer politischer Raum
Die Parteien sind Institutionen mit Ablaufdatum und im 21. Jahrhundert schreiten wir in die Richtung „flüssigerer“ Formationen. Die Zukunft des einst links genannten Raumes wird eine Art Frente Amplio [eine breite Front, auch Name eines linken Parteienbündnisse in Uruguay Anm.] ausfüllen, in dem Podemos das Mutterschiff sein wird, aber mehr auch nicht. Die Confluencia mit IU ist ein Schritt in die richtige Richtung. Doch die Nostalgie von IU für das Vergangene ist übertrieben.
Der Philosoph Ortega y Gasset sagt wir Spanier sind ein merkwürdiges Volk, das seine Hoffnung in die Vergangenheit projiziert nicht in die Zukunft. Die IU, sehr spanisch, insistiert im Übermaß auf das was einmal war, ihre Symbole, Worte, Analysen, Erzählungen, Losungen, Fahnen, Geschichte. Eine Welt der Arbeit, wie sie nicht mehr existiert. Eine Herrlichkeit die niedergeworfen wurde. Es ist nichts Schlechtes dabei, dass dieser politische Raum existiert. Es gibt Leute, die sich in diesem wiederfinden. Aber er kollidiert mit einem Diskurs, der transversal ist, der auf das Neue gegenüber dem Alten, auf die Unten gegenüber denen dort Oben setzt und nicht zurückkehrt zum konfusen politischen Raums einer „Linken“ und „Rechten“.
Nützlich sein, originell sein
Podemos fehlt die Straße. Ihm fehlen gesellschaftliche Mobilisierungen, ihm fehlt die Identifikation mit den Problemen der einfachen Leute, in den Arbeitskämpfen präsent zu sein, mehr mit den Gewerkschaften diskutieren, mit den StudentInnen, mit den Angestellten, mit den mareas [den Bewegungen der von Kürzungen betroffenen ArbeiterInnen im Gesundheitssektor, Bildungssektor, dem öffentlichen Dienst Anm.], den Selbstständigen, mit den Geschädigten der multinationalen Konzerne. Podemos fehlt es daran, weniger im Fernsehen zu glänzen – das tut es schon im Überfluss – und stattdessen nützlicher für die Leute auf der Straße sein.
Wenn Podemos sich an die anderen Parteien angleicht und diese imitiert, wird es wie die anderen Parteien gemessen werden. Und Podemos hat sich angeglichen. In den langweiligen Parlamentsdiskussion über die Regierungsbildung, in den langweiligen Fernsehdebatten der vier Kandidaten, in ihrer parlamentarischen Präsenz, im Mangel an Originalität bei der internen Organisierung. Es geht nicht darum linker zu sein, sondern darum originell zu sein.
Erwachsen werden
Diejenigen die wollen, dass Podemos der Steigebügelhalter der PSOE wird, sagen, dass das Ergebnis eine Niederlage von Pablo Iglesias ist. Ich beharre darauf, dass die gesamte Führung verantwortlich für das Wahlergebnis ist, speziell die Kampagnenverantwortlichen. Weder Pablo Iglesias noch Íñigo Errejón müssen zurücktreten. Das ist der Wunsch derjenigen, die wissen dass es sehr wahrscheinlich ist, dass Podemos nach den nächsten Wahlen regieren wird, wenn es in der Lage ist seine Fehler zu korrigieren. Felipe González verlor 1977 und 1979. Aznar verlor 1993. Rajoy 2004 und 2008. Sie kandierten erneut und gewannen. Die Günstlinge des Bipartidismus [des Systems der zwei Großparteien PSOE und PP, Anm.] fordern Rücktritte weil sie wissen, dass Podemos die einzige Kraft ist, die die Interessen der Mehrheit durchsetzen wird. Sie wissen, dass Pablo Iglesias einer der stärksten und am besten geschulten Politiker der jüngeren spanischen Geschichte ist.
Von nun an wird die PSOE vorführen, dass predigen eine Sache, Taten folgen lassen ein andere ist. Die europäische Sozialdemokratie denkt, dass gerechte und stabile Arbeitsverhältnisse ein Relikt aus der Vergangenheit sind, sie verhandelt das Freihandelsabkommen TTIP mit den Vereinigten Staaten und befürwortet die Austeritätspolitik. Es sind die Gleichen, die in Großbritannien Jeremy Corbyn hinrichten wollen, weil er für sie ein Radikaler ist; die Gleichen, die freudig beistanden als man Griechenland eine Tracht Prügel für seine Aufsässigkeit verpasste. Sobald die PSOE zeigt wer sie wirklich ist – was sie im Wahlkampf immer versteckt hat – wird Unidos Podemos die einzige Kraft sein, die die Interessen der Mehrheit repräsentiert. Es ist lediglich nötig, dass es im Anschluss an die Wahlen seine Reifeübung absolviert und dazu übergeht ernsthaft Politik zu machen. Jetzt ist es an er Zeit erwachsen zu werden.
Juan Carlos Monedero ist Politikwissenschafter, Autor und Aktivist in Madrid. Bis April 2015 war er führendes Mitglied der Partei Podemos.
Der Artikel ist die gekürzte Version eines Blogbeitrags, der zuerst hier erschienen ist. Er wurde von Tobias Boos und Tobias Zortea aus dem Spanischen übersetzt.