Raus aus dem Winterschlaf: Wie kommt die Klimabewegung aus der Krise?

Aktivist:innen der Klimabewegung in roten Anzügen - nicht im Winterschalf

Anfang März erschien der Sammelband „Kipppunkte – Strategien im Ökosystem der Klimabewegung“. Mit Blick auf den deutschsprachigen Raum will er zur Debatte beitragen, wie die Klimabewegung ihren Winterschlaf hinter sich lässt. Am Dienstag, den 23. April um 19.00 Uhr, holt mosaik die Debatte vom Buch aufs Podium und davor mittels Interview auf den Blog.

Die Rekorde purzeln: Erst war der März der heißeste seit Beginn der österreichischen Messgeschichte. Danach verzeichnet Bruck an der Mur am 07. April mit über 30 Grad Celsius den frühesten Hitzetag, den Österreich je gesehen hat. Das lädt oberflächlich betrachtet erst mal zum Eis Essen ein. Anderswo zeigt die Erderhitzung seine zerstörerische Seite: In Russland lässt die frühe Schneeschmelze den Ural über die Ufer treten und vertreibt tausende Menschen aus ihren Häusern. Zeit, zu handeln. Doch die Klimabewegung befindet sich in der Krise. So zumindest die Analyse des neuen Sammelbands „Kipppunkte – Strategien im Ökosystem der Klimabewegung“. mosaik-Redakteur Hannes Grohs hat Herausgeber Manuel Grebenjak und Autorin Ekaterina Schalmann getroffen und mit ihnen über das gute Wetter und Auswege aus der Krise gesprochen.

mosaik: 30 Grad im April. Wie geht‘s euch dabei?

Manuel: So ein Extremwetter, wie es sich in diesem Frühjahr zeigt – und nichts anderes sind 30 Grad im April – zeigt uns, wie schnell wir mittlerweile auf eine richtige Klimakatastrophe zusteuern. Extremwetterereignisse können aus Sicht der Klimabewegung aber auch Anknüpfungspunkte für ihre Strategien und Aktivitäten sein. Die Bewegung sollte sich nicht nur fragen, wie man über Extremwetter kommuniziert – was schon oft getan wird. Sie sollte auch konkret fragen: Was können wir in solchen Situationen tun?

Ekaterina: Wir haben unser Kapitel zur Praxis von System Change not Climate Change mitten im Rekordhitzesommer 2023 geschrieben. Da verging quasi kein Tag ohne Schlagzeile über eine Naturkatastrophe: schwere Waldbrände und Überschwemmungen in Europa, das furchtbare Erdbeben in Marokko und die Flutkatastrophe in Libyen, um nur einige wieder wachzurufen. Was der Sommer 2024 in Österreich bringt, können wir natürlich nur spekulieren. Strukturierte Katastrophenhilfe – vor Ort sein, mit Betroffenen sprechen und helfen – ist noch nicht Teil unserer Praxis. Deswegen haben wir diesen Ansatz im Kapitel nur grob anskizziert. Ich denke, sie wird jedoch zunehmend wichtig werden und wir sollten diesen Ansatz bewegungsübergreifend in unseren Debatten und Strategieentwicklung berücksichtigen.

Während sich die Erde aufheizt, scheint die Klimabewegung abzukühlen. Das ist zumindest der Einstiegspunkt des Sammelbandes „Kipppunkte“. Warum ist die Bewegung derart in der Krise?

Manuel: Seit zwei bis drei Jahren befindet sich die Bewegung in einer Art Bewegungswinter. Das mache ich im Buch an vier Faktoren fest: die fehlende Mobilisierungskraft, eine weitgehende strategische Orientierungslosigkeit, große Beschäftigung mit externen Faktoren wie gesellschaftlichen Krisen, Repression und politischem Umbruch, ohne diese für sich nutzen zu können, und verhältnismäßig wenig gesellschaftlichen Rückhalt und Macht. Der Bewegungssommer ist mit 2019 schon etwas her. Dort wurde viel erkämpft, was später an – leider zu kleinen – Erfolgen eingefahren werden konnte. Dieser Sommer folgte auf einen Frühling der Bewegung. In diesem wurde viel experimentiert und ausprobiert. Mit der Veröffentlichung des Spezialberichts zu 1,5 Grad des Weltklimarats und den ersten Auftritten von Greta Thunberg im Jahr 2018 hat er dann seinen entscheidenden Auftrieb bekommen. Wann das nächste Mal mehrere Faktoren so zusammenspielen werden, dass die Bewegung neuen Auftrieb bekommt, ist nicht vorauszusehen. 

Ekaterina: Gleichzeitig – und das ist ja das Schöne an dem Vergleich mit den Jahreszeiten – können wir davon ausgehen, dass ein neuer Frühling vor uns steht. Ich würde daher gerne eine alternative Lesart zur „Bewegungskrise“ anbieten: Dass die Bewegung in diesem Moment innehält, sich neu orientiert, um sich weiterentwickeln zu können. An vielen Stellen sehen wir bereits, dass Strategien und Taktiken hinterfragt und Lücken identifiziert werden. Neue Projekte und Bündnisse entstehen. Wir haben durch die Kämpfe der letzten Jahre gelernt. Zum Beispiel, dass eine erfolgreiche Mobilitätswende nicht ohne bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne im öffentlichen Nahverkehr gelingen kann. Genau deshalb setzen wir heute nicht nur auf das Verhindern neuer Autobahnprojekte. Sondern wir organisieren uns auch mit und an der Basis von Gewerkschaften und unterstützen Arbeiter:innen bei ihren Arbeitskämpfen. Ein Beispiel sind die der Buslenker:innen in Österreich in der Kampagne #WirFahrenGemeinsam.

Welchen Beitrag will und kann der Sammelband „Kipppunkte“ im aktuellen Bewegungswinter leisten?

Manuel: Das Buch soll ein paar Mosaiksteinchen liefern für die Strategiedebatten, die wir jetzt dringend benötigen. Wir haben gesehen, dass es vor ein, zwei Jahren eine große öffentliche Debatte darüber gab, was Klimaaktivismus darf und was nicht – losgetreten durch die Proteste der Letzten Generation. Leider war das Niveau der Debatte sehr bescheiden. Die Bewegung selbst und Leute, die wirkliches Wissen dazu haben, wurden kaum gehört. Dafür umso mehr Hater und vermeintliche „Experten“. Dabei gibt es so viele Menschen, die sich wirklich kluge Gedanken zur Entwicklung und auch zur Zukunft der Bewegung machen. Im Buch treten einige von ihnen sozusagen in den Austausch.

Ekaterina: Für mich ist das Buch vor allem eine Bestandsaufnahme. Ich kenne das von mir selbst und beobachte die gleiche Tendenz immer wieder auch vor allem bei neueren Gruppen: Wir glauben, wir sind die Ersten und Einzigen, die sich wirklich um das Thema scheren, die etwas zu sagen und zu leisten haben. Das stimmt so nicht. Und es freut mich wirklich, dass dieses Buch einer nun vor Augen führt, wie reichhaltig und vielseitig die Klimagerechtigkeitsbewegung jenseits einiger weniger sichtbarer Personen und Gruppen ist.

Manuel, du thematisierst in der Einleitung deine Herkunft aus einer Arbeiter*innenfamilie. Durch diese sei es regelmäßig zu Missverständnissen in einer mehrheitlich bürgerlich geprägten Klima(gerechtigkeits)bewegung gekommen. Welche konkreten Beispiele gibt es dafür?

Manuel: Ich hatte ja schon in einer NGO gearbeitet, in der Pressearbeit, bevor ich in die Graswurzelbewegung gekommen bin. Konkret bin ich Anfang 2016 zu System Change not Climate Change gestoßen. Ich glaube, ohne die Skills, das Vorwissen und die klare Rollenperspektive wäre ich schnell wieder ausgestiegen. Aus meiner Sicht sind linke oder progressive Gruppen für Leute mit nicht so bürgerlicher Sozialisierung sehr schwer zugänglich. Man fühlt sich schnell unwohl, weil man viele der Codes und Ausdrücke nicht versteht, die verwendet werden. Überall lauern Fettnäpfchen, in die man treten kann – und wird. Manchmal fühlt man sich schlicht dumm.

Ich finde, in vielen Fällen hat sich diese Kultur in den letzten Jahren noch verstärkt. Was ich aber fast noch problematischer finde: Leider übersetzen sich komplizierte und szenige Kommunikationsweisen und der Habitus linker Gruppen oft auch in ihre Kommunikation nach außen, in ihre Slogans und Kampagnen. Das führt im besten Fall dazu, dass sie nicht verstanden werden. Im schlimmsten Fall führt es dazu, dass die Gruppen, die man eigentlich erreichen und mitnehmen will, einen ablehnen.

Ekaterina, wie nimmst du das in eurer konkreten Praxis wahr?

Ekaterina: Was System Change not Climate Change als Gruppe auszeichnet, ist der Anspruch, eine ganzheitliche Systemkritik zu formulieren. Dazu kommt, dass sich ein Großteil der Gruppe wissenschaftlich mit der Klimakrise und Transformation auseinandersetzt. Das wird dann sehr schnell sehr komplex. Wir haben mal um Feedback von anderen Gruppen aus der Bewegung gebeten. Da gab es neben viel Positivem die Kritik, dass wir manchmal zu hochschwellig wirken. Ich denke nicht, dass wir deshalb den Anspruch an komplexe Debatten aufgeben sollten. Aber man sollte uns natürlich verstehen und sich in unserer Gruppe und in der Zusammenarbeit mit uns wohlfühlen können.

Ich habe schon erwähnt, dass wir gerade über den Rand der Bewegung hinaus an der Basis mit Gewerkschaften arbeiten. Dass das jetzt Teil unserer Praxis ist, ist auch eine bewusste Entscheidung dafür, aus der Szene, ihrer Sprache und den Codes auszubrechen. Das ist Anfangs ungewohnt. Aber es ist für die Allermeisten in Wirklichkeit auch eine Erleichterung, wenn man mal ganz normal miteinander reden kann, ohne viel Marx

Angenommen der prophezeite Frühling kommt: Was hat eine erfolgreiche Klimabewegung in zehn Jahren nach innen und nach außen erreicht? Was werden wir in einem nächsten Strategiebuch lesen?

Manuel: Ich hoffe, dass wir in zehn Jahren als Team von Herausgeber*innen ein Buch mit einem Titel wie „Wie wir gewonnen haben“ herausbringen können. Realistischer ist es aber, dass sich die Klimabewegung – und wir uns als Gesellschaft insgesamt – immer mehr mit dem Leben jenseits der klimatischen Kipppunkte beschäftigen müssen. Kurzfristig gibt es die Gefahr, dass unsere Gesellschaft in eine autoritäre Richtung abrutscht. Damit muss sich die Bewegung akut und auch langfristig gedacht beschäftigen – und tut es ja auch schon. Ich glaube, dass die Klimabewegung mittel- bis langfristig zu einer Klima-und-Bewegung wird. Dieses „und“ kann mehrere Dinge bedeuten.

Meine Hoffnung ist, dass wir in unserer ganzen Diversität eine gemeinsame Stoßrichtung finden und Demokratie und eine offene Gesellschaft nicht nur zu „verteidigen“ versuchen, sondern auch daran arbeiten, wie wir die Gesellschaft radikal demokratisieren. Es gibt nämlich neben rechter Desinformation auch gute Gründe, warum sich viele Menschen abgehängt oder beim Klimaschutz nicht mitgenommen fühlen. Die erfolgreiche Klimabewegung der Zukunft orientiert sich noch mehr an den Lebensrealitäten der Vielen, ohne aber ihre Radikalität zu verlieren.

Ekaterina: „Wie wir gewonnen haben“ finde ich einen guten Titel. Nach innen hoffe ich, dass unsere Treffen, Aktionen und Veranstaltungen 2034 noch mehr Menschen unterschiedlicher Identitäten und Wissensstände, von 0 bis 99 und auch älter zusammenbringen. Ich hoffe, dass wir uns eingependelt haben zwischen ständigem Tatendrang und überlegter Ruhe. Ich hoffe, dass wir uns trauen, mehr Fehler zu machen und miteinander zu diskutieren, anstatt Angst davor zu haben, in Fettnäpfchen zu treten. Nach außen haben wir die demokratische Kontrolle über die Versorgung unserer Grundbedürfnisse ganz klar aus dem privaten Markt in die Gesellschaft überführt. Und wir haben neue Formen der demokratischen Selbstverwaltung in Österreich etabliert. Außerdem sind wir nicht mehr von anderen progressiven, demokratischen Bewegungen unterscheidbar, sondern werden als ein Teil von einer Mehrheitsbewegung verstanden.

Interview: Hannes Grohs
Titelbild: Christopher Glanzl | System Change not Climate Change

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