Lena Schilling ist eines der Gesichter der österreichischen Fridays for Future-Bewegung. Im Interview spricht sie über ihre Enttäuschung über Werner Kogler, Solidarität mit Black Lives Matter-Protesten und warum sie linke Organisationen nerven, die nur über Marx sprechen.
„Es ist schon alles sehr verrückt“, sagt Lena Schilling. Im Laufe eines Jahres hat sie bei „Im Zentrum“ diskutiert, wurde vom ZDF befragt und hat fast allen österreichischen Tageszeitungen Interviews gegeben. Nervös ist sie vor Medienterminen nicht mehr. Nebenbei hat Schilling noch die Matura gemacht – denn sie ist erst 19 Jahre alt und eines der Gesichter der Fridays for Future in Österreich. Mosaik-Redakteur Moritz Ablinger traf sie zum Gespräch.
Mosaik-Blog: Beginnen wir mit einer Zwischenbilanz. Teile der Umweltbewegung legten große Hoffnungen in die grüne Regierungsbeteiligung. Jetzt ist Türkis-Grün seit knapp sieben Monaten an der Macht. Hat sich etwas verbessert?
Lena Schilling: Für mich war von Beginn an klar: Das einzige, was die Grünen erreichen werden, wird sein, dass weniger Leute zu unseren Streiks kommen. Das hat sich bewahrheitet. Einerseits sind wir weniger geworden, andererseits ist das Regierungsprogramm zum Schmeißen, auch klimapolitisch. Die Maßnahmen sind völlig unzureichend.
Wie hat sich das auf euch ausgewirkt?
Viele Leute sind sicher enttäuscht von den Grünen. Es ist spürbar, dass sich die Partei nicht wirklich für uns interessiert. Als wir zum Beispiel beim „Camp for Future“ im Mai zwei Wochen am Ballhausplatz geschlafen haben, waren wir komplett übermüdet, körperlich am Ende, mussten Sachen für die Schule machen – und sind trotzdem geblieben. Werner Kogler ist regelmäßig vorbeigegangen, aber stehen geblieben ist er kein einziges Mal. Das hat Leute wirklich enttäuscht. Die Bewegung hat sich dadurch sicher radikalisiert.
Das bestimmende Thema der letzten Monate war aber nicht die Klimapolitik, sondern das Coronavirus. Ihr seid eine Bewegung, die davon lebt, dass sie jede Woche auf die Straße geht. Und plötzlich ging das nicht mehr. Wie war das?
Das klingt makaber, aber in den ersten Wochen im März war es eine Erlösung. Wir konnten uns endlich einmal erholen. Davor sind wir total unter Druck gestanden, weil wir ständig mobilisieren und auf die Straße gehen und gleichzeitig noch neuen Input liefern mussten. Aber nach dem Durchatmen kam die große Leere. Wir wussten nicht wirklich, was wir machen sollten. Wir haben Onlinestreiks probiert, aber das hat nicht wirklich funktioniert. Die Dynamik aus dem Vorjahr ist weniger geworden.
Wie kann sich das ändern?
Indem wir unsere Protestbewegung breiter denken. Wir dürfen uns nicht nur auf die Klimafrage beschränken, wir müssen Kämpfe zusammendenken. Damit tun wir uns noch schwer. Es hat zum Beispiel sehr lange gedauert, bis wir eine Solidaritätserklärung mit den „Black Lives Matter“-Demos ausgeschickt haben. Wir haben bisher eben kaum andere Gruppen unterstützt, das Klimavolksbegehren war eins der wenigen Ausnahmen. Ich würde das gerne öfter tun, aber darüber diskutieren wir sehr intensiv.
Kommen wir zu dir. Wie viel Zeit nimmt dein Engagement in Anspruch?
Das kommt darauf an. Ich habe gerade maturiert, da habe ich versucht, mich darauf zu konzentrieren. Aber davor waren es meistens um die zehn Stunden in der Woche. Und wenn wir große Demonstrationen geplant haben, waren es manchmal auch vierzig. Das ufert phasenweise total aus.
Wie lang kannst du dieses Pensum durchhalten? Hast du Angst davor, auszubrennen?
Ich kann momentan gar nicht ans Aufhören denken. In mir brennt ein Feuer. Das kann ich nicht ausschalten, das habe ich immer. Sicher bin ich manchmal frustriert, weil kaum etwas weitergeht. Aber davon dürfen wir uns nicht fertig machen lassen. Ich habe Leute kennen gelernt, die sagen, dass eh alles nichts mehr bringt. So zynisch bin ich nicht. Es bringt etwas, zu kämpfen.
Wie bist du zu den Fridays for Future gekommen?
Ich war, anders als die meisten von uns, schon davor politisch aktiv. Ich war bei der Linkswende, danach habe ich bei System Change not Climate Change hineingeschnuppert. Zu den Fridays bin ich durch ein Klimavernetzungstreffen gestoßen. Dort waren auch zwei Fridays-OrganisatorInnen. Die haben zu mir gesagt: „Wir brauchen SchülerInnen. Komm‘ doch zu uns“. Am Anfang war die Bewegung ja eher von StudentInnen geprägt.
Hat sich das geändert?
Ja, auch wenn wir noch immer zu wenige SchülerInnen sind. Ich habe ein Jahr lang die SchülerInnenmobilisierung koordiniert, weil mir das wichtig war. Mittlerweile gibt es ein paar Arbeitskreise, die von SchülerInnen dominiert sind, aber dort, wo es um inhaltliche Auseinandersetzungen geht, gibt es noch immer sehr viele Studis.
Ein Mittel, um SchülerInnen stärker zu Wort kommen zu lassen, ist euer Jugendrat. Du warst an seinem Aufbau stark beteiligt. Was genau ist das?
Wir versuchen damit, Strukturen direkt in Schulen aufzubauen, um den SchülerInnen die Möglichkeit zu geben, selbst was zu verändern. Das ist vor allem ein Angebot an jene, die es sich nicht leisten können, jeden Freitag zum Streik zu kommen. So etwas müssen wir auch schaffen.
Bei euren Demos sind fast ausschließlich junge Leute. Glaubst du, ist die Jugend heute politischer als noch vor zehn Jahren?
Ich kann das nicht definitiv sagen, aber für Leute in meinem Alter gab es eigentlich nie etwas anderes als Krise. Zuerst war die Finanzkrise, dann die Schuldenkrise und jetzt schlägt die Klimakrise immer stärker durch. Es glaubt auch kaum jemand mehr, dass die Politik das für uns richten wird. Wir haben mit dem Jugendrat eine Umfrage gemacht. Dabei kam raus, dass sich 89 Prozent der Befragten nicht von der Politik repräsentiert fühlen. Deswegen gehen die jetzt auch auf die Straße, weil sie merken, dass wählen alleine nichts hilft. Das müssten nur die linken Organisationen kapieren. Ich habe das Gefühl, die wollen über die russische Revolution und Marx reden, aber nur selten darüber, was jetzt möglich ist. Das Potenzial ist so groß wie schon lange nicht.
Sind junge Leute nicht immer rebellisch?
Ich glaube schon, dass das heute eine neue Qualität hat. Ich kann das nur für uns sagen, aber die Leute opfern für Fridays for Future sehr viel. Die Noten von fast allen von uns sind schlechter geworden, manche haben mit der Schule ganz aufgehört. Und wir haben etwas geschafft, was Generationen vor uns nicht gelungen ist: Wir haben Menschen auf die Straße gebracht. Sie lernen sich zu organisieren. Das ist sehr viel wert.
Aber gehen sie aus inhaltlicher Überzeugung auf diese Demonstrationen? Oder machen sie das, weil es gerade in Mode ist?
Sicher spielt der Hype eine wichtige Rolle. Die Leute finden es cool, auf Demos zu gehen. Aber das ist total okay. Demos sind einfach mitreißend, viele haben sich erst dort politisiert. Wenn nur Leute kommen würden, die schon eine politisch gefestigte Meinung hätten, wären die Demos winzig – und sinnlos. Dann könnten wir uns auch in einen Lesekreis setzen.