1. Mai in Wien: Warum so zersplittert?

Banner der 1. Mai Demo der Internationalist*innen in Wien

Der 1. Mai in Wien ist zersplittert. Für viele Linke heißt der Tag, sich zwischen unterschiedlichen Demonstrationen zu entscheiden. Das sollte anders sein, findet Anselm Schindler.

Am 1. Mai zeigt sich die Zersplitterung der Linken in Wien wie an keinem anderen Tag. Links der sozialdemokratischen Feierlichkeiten vor dem Rathaus – zwischen Sonntagsreden und Würstelstand – gibt es zwei Demonstrationen. Eine von der Partei LINKS und der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) angeführte, die um 10:30 Uhr an der Albertina startet. Der Demonstrationszug vereint sich vor der Oper dann mit der internationalistischen Demo, die dort um 11:00 Uhr beginnt. Die Demonstration zieht im Anschluss vor das Rathaus und schlägt im Gegensatz zur SPÖ antikapitalistische Töne an. Am Nachmittag, um 14:30 Uhr findet schließlich die MayDay-Demo statt. Organisiert von einem Bündnis aus verschiedenen jüngeren linken Gruppen aus dem Antifa-Spektrum aber auch verschiedenen linken Initiativen wie dem 4lthangrund.

Fehlende Berührungspunkte

Beide Demos schaffen es immerhin auf einige tausend Menschen. Sie wären aber deutlich breiter, würden sie zusammengelegt. In den letzten Jahren gab es immer wieder Versuche, Berührungspunkte zwischen der internationalistischen Demo und der MayDay zu schaffen. 2021 mündete die MayDay in das Fest, das die Organisator*innen der internationalistischen Demo Jahr für Jahr im Votivpark aufbauen. Dieses Jahr gibt es keinen Berührungspunkt. Was damit zu tun hat, dass die Konfliktlinien, die die Linke auch in Wien durchziehen, wieder zugenommen haben – wie immer, wenn im Nahen Osten wieder die Gewalt eskaliert, und die Analysen, woran das liegt und wen es zu unterstützen gilt, auch in der Linken unterschiedlich bis gegensätzlich sind.

Traditionalismus…

Der Krieg in Nahost ist aber nicht der einzige Stein des Anstoßes. Auch in Bezug auf linke Organisationsgeschichte und Organisierungsansätze gibt es sehr unterschiedliche Ansichten. Die internationalistische Demonstration, die sich vor der Oper sammelt, eint nicht zuletzt, dass man sich dort oft positive auf die sozialistische Geschichte und das, was es an Gegenwart gibt, bezieht. Auch wenn es hier je nach Organisation verschiedene Länder, Parteien und Köpfe gibt, die den hauptsächlichen Bezugspunkt darstellen.

Während die Kommunistische Jugend Österreichs (KJÖ) und die Kommunistische Gewerkschaftsinitiative International (KOMintern), die die Demo federführend tragen, Fahnen und Banner dabeihaben, auf denen nur ihre eigenen Logos zu sehen sind, prangen auf manchen anderen Stoffen die Gesichter von Führungspersönlichkeiten, die für die jeweiligen Organisationen identitätsstiftend sind. Konterfeis von Leuten, die noch leben, wie Abdullah Öcalan und solchen, die es nicht mehr tun – vom türkischen Revolutionär Ibrahim Kayppakaya bis zu Mao Zedong und Josef Stalin. Was bei Passant*innen immer wieder für Irritation und innerhalb der Linken für Kritik an Personenkult sorgt.

…und Geschichtsvergessenheit

Die MayDay-Demo ist da das glatte Gegenteil. Die Menschen, die sich daran beteiligen, sind schon vom Durchschnittsalter her weiter weg von den genannten geschichtlichen Bezugspunkten. Man will hier undogmatisch und herrschaftskritisch sein. Das ist auch im Selbstverständnis der Demonstration zu lesen. Dabei wird der Undogmatismus selbst teils wieder zum Dogma. Man schließe Organisationen mit Kader-Strukturen von der Demonstration aus, heißt es in einer im Vorfeld auf Social Media verbreiteten Veröffentlichung. Ein Ausschluss, der nicht zuletzt auch bei den migrantischen Organisationen, die in ihrer Heimat bewaffnet Widerstand leisten, auf Unverständnis stößt.

Es ist nicht nur eine politische Entscheidung, sich gegen Kader-Strukturen auszusprechen. Sondern auch ein Privileg, das diejenigen Linken haben, die gerade keinen bewaffneten Kampf führen (müssen). In der Türkei, in Kurdistan, in Syrien oder im Iran – um Beispiele zu nennen – gibt es dieses Privileg nicht. Dort haben in den letzten Jahren tausende Linke bewaffnet gegen Regime und gegen den IS sowie anderen islamistische Milizen gekämpft. Und dabei – weil das der Logik des Krieges zwingend folgt – Kaderstrukturen und im Fall Rojavas auch eine revolutionäre Armee aufgebaut.

Zudem: Gerade in jenen linken Kreisen, für die die Antifa ein zentraler Bezugspunkt ist, könnte man wissen, dass auch die eigene Geschichte Kader-Strukturen kennt. Die historische Antifaschistische Aktion war eine straff gegliederte Organisation, die es tausenden Mitgliedern erlaubte, militant Widerstand zu leisten.

Geschichte…

Zurück nach Wien: Der 1. Mai wurde auch in Wien immer wieder zum Kristallisationspunkt gesellschaftlicher Bewegung und Veränderung und es lohnt sich, sich mit der Geschichte des Tages zu befassen. Zum Beispiel damit, dass das Erzherzogtum Österreich die Streiks, die von der damals noch revolutionären Sozialdemokratie für den 1. Mai 1890 ausgerufen wurden, verboten hatte. Gestreikt wurde trotzdem und am Nachmittag versammelten sich mehr als 100.000 Arbeiter*innen auf dem Prater – die größte Demonstration, die es in Österreich bis dahin gegeben hatte. Oder damit, dass die 1. Mai-Demos 1945 – wenige Tage vor der offiziellen Kapitulation Nazideutschlands – noch verboten waren, aber trotzdem Menschen auf die Straßen strömten.

Aber auch in der jüngere Geschichte steht der 1. Mai für das Erstreiten von Veränderungen. In den 2000ern plante die schwarz-blaue Bundesregierung von ÖVP und FPÖ viele Einschnitte in den Sozialstaat. Die Oppositionsparteien und die Gewerkschaften stemmten sich dagegen. Der 1. Mai 2003 wurde zum Auftakt zu den bundesweiten gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen gegen die geplante Pensionsreform der ÖVP-geführten Bundesregierung. Diese hätten bis zu 40 Prozent weniger Pension bedeutet. Der Kampf des ÖGB und seiner Gewerkschaften war schlussendlich erfolgreich. Die Verluste wurden auf rund ein Viertel gedeckelt – immerhin.

…und Zukunft

An die historischen und jüngeren Kämpfe gilt es heute anzuknüpfen. Und hier stellt sich auch angesichts des Klassenkampfes von Oben – der unter den Vorzeichen des Rechtsrucks derzeit wieder an Fahrt aufnimmt – die Frage, ob man künftig nicht doch wieder eine gemeinsame Demonstration hinbekommt. Oder zumindest wieder mehr Berührungspunkte schafft. Das wäre auch auf einer inhaltlichen Ebene wichtig. Anstatt dass alle Organisationen mit verschiedenen Positionen, Aufrufen und Forderungen nach außen gehen, sollte es zumindest einige wenige gemeinsame Forderungen geben – nicht zuletzt um ihnen mehr Nachdruck zu verleihen.

Das gemeinsame Formulieren von Forderungen führt dann vielleicht auch dazu, dass man merkt, dass man trotz Differenzen auch viel gemeinsam hat. Und das Differenzen dort, wo Gemeinsamkeit diskutiert werden, ausgehalten werden können.

Titelbild: KOMintern

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