Mit seinem gestrigen Besuch in Ankara nähert sich Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer dem Regime Recep Tayip Erdogans weiter an, schreiben Aktivist:innen von Riseup4Rojava. Sie fordern indes ein Ende der Luftangriffe auf Nordostsyrien und die Freilassung von Abdullah Öcalan.
So manche Affäre endet nicht mit ihrem Auffliegen. So scheint das auch bei Kanzler Karl Nehammer und seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayip Erdogan der Fall zu sein. Zuletzt war der österreichische Nationalrat Kulisse der Romanze. Dieses Mal soll es Ankara sein. Naja, Romanze hin oder her, jedenfalls lässt Erdogans Regime gerade wieder Bomben auf Rojava fallen. Der türkische Staat hat eine neue Angriffswelle gegen die Rojava-Revolution und die kurdische Freiheitsbewegung gestartet. Dagegen protestierten in den letzten Tagen mehrmals Menschen in Wien.
Wichtiges Thema ist dabei auch der Inhaftierte Abdullah Öcalan: Schon in der Nacht auf Montag hatten Aktivist:innen das Konterfei des PKK-Mitbegründers an die Fassade der türkischen Botschaft projiziert. Am gestrigen Dienstagvormittag standen Aktivist:innen auf der Stiege vor dem Parlament und forderten Freiheit für Öcalan.
Warum Öcalan?
Wer ist der Mann und warum wird er gefangen gehalten? Als Student der Politikwissenschaften in Ankara kam Öcalan in Kontakt mit der türkischen Linken. 1971 wurde er wegen Protesten im Zuge des Militärputsches verhaftet. Nach seiner Entlassung baute er zusammen mit den beiden Kommunisten Haki Karer und Kemal Pir eine sozialistische Gruppe auf, die sich auch mit antikolonialen nationalen Befreiungsbewegungen auseinandersetzte. Später gründeten sie die Arbeiter:innepartei Kurdistans (PKK). Abdullah Öcalan und die PKK haben in den vergangenen Jahren versucht, Schritte in Richtung einer friedlichen Lösung des Konfliktes in Kurdistan zu gehen und auf Verhandlungen gepocht.
Lösungsansatz für Konflikte in der Türkei, Kurdistan und Syrien
Mit dem Paradigmenwechsel zum Demokratischen Föderalismus, in dem es nicht mehr um einen kurdischen Nationalstaat, sondern um die Schaffung multiethnischer und multikultureller Föderationen geht, gäbe es von Seiten der kurdischen Bewegung auch einen Lösungsansatz für die Konflikte in der Türkei, Kurdistan, Syrien und darüber hinaus. Diese Lösung scheint das türkische Regime nicht zu wollen. Je lauter islamistische und nationalistische Töne in der Türkei werden, desto weiter entfernt man sich von einem gleichberechtigten Zusammenleben. 1999 wurde Öcalan in Kenia von türkischen Agenten gefasst und über Nacht in die Türkei gebracht – seither sitzt er in Isolationshaft in einem Hochsicherheitsgefängnis auf der Insel Imrali vor der türkischen Marmara-Küste. Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Bedingungen immer wieder.
Luftangriffe auf Nordostsyrien
Indes werden aus den nationalistischen Tönen in diesen Tagen wieder Bomben: Das Erdogan-Regime ist auf Kriegskurs gegen die Menschen in Nordostsyrien. Bereits bevor sich die PKK zum Anschlag in Ankara Anfang Oktober bekannte, führte die Türkei eine Strategie der intensiven Spezialkriegsführung mit zahlreichen Drohnenangriffen gegen Führungspersonen der Freiheitsbewegung durch. Mit ihren jetzigen Luftschlägen gegen lebenswichtige Infrastruktur und Zivilist:innen will die Türkei die gesamte Region in Nordostsyrien entvölkern. Denn die demokratische Autonomie ist der Türkei ein Dorn im Auge. Lieber würde sie das Land besetzen und arabische Geflüchtete ansiedeln, um ihren Traum eines neuen Osmanischen Reiches zu verwirklichen.
Geopolitische Rolle der Türkei
Dass die völkerrechtswidrigen Angriffe der Türkei auf wenig internationale Gegenstimmen stoßen, hängt mit der geopolitischen Rolle der Türkei zusammen. Diese konnte sie im Zuge des Ukraine-Krieges ausbauen. Nun ist sie gemeinsam mit Azerbaijan ein wichtiger Erdgaslieferant für Europa. Das drückt sich auch in der zunehmenden Annäherung der bislang angespannten Partnerschaft zwischen der Türkei und Österreich aus. Nehammers Besuch in Ankara soll die ökonomische Zusammenarbeit stärken, aber auch die Kooperation in Migrationsfragen und Grenzschutz vertiefen. Klar ist, dass die Annäherung auch eine aktive Unterstützung des Erdogan-Regimes bedeutet und zeigt, dass Österreich weiter Außenpolitik auf dem Rücken von Kurd:innen, Frauen, Queers und politischen Gefangenen macht. Dabei wäre es jetzt wichtig zu hören, was Menschen sagen, die Frieden und Demokratie fordern.
Foto: Riseup4Rojava Wien/Twitter