Raul Zelik: „Wir brauchen wieder ein Projekt der Gegenmacht“

Schriftsteller, Wissenschaftler, Aktivist, Politiker: Raul Zelik bewegt sich gerne in Widersprüchen. Vielleicht erklärt das, warum er sich 2016 in den Vorstand der deutschen Partei Die Linke wählen ließ, obwohl er Parteipolitik und staatlichen Institutionen gar nicht so viel abgewinnen kann. Markus Gönitzer sprach mit Raul anlässlich der bevorstehenden Konferenz „Der Staat. Konferenz für praktische Kritik“ in Graz.

mosaik: Raul, bei der Konferenz im Grazer Forum Stadtpark soll es um die Frage gehen: Können sich emanzipatorische Kräfte auf den Staat beziehen? Müssen sie das vielleicht sogar? Wie siehst du das?

Raul Zelik: Der Staat ist kein Fahrrad, auf das man sich setzen und dann die Richtung frei bestimmen kann. Der bürgerliche Staat war immer dazu da, Macht- und Eigentumsverhältnisse abzusichern und Konkurrenz zwischen Nationalstaaten zu gewähren.

Andererseits sind demokratische Elemente in den Staat eingebaut, die ja nicht freiwillig hergegeben, sondern durch Kämpfe erreicht wurden. Noch lange nicht genug, aber es gibt sie: Elemente, die der Macht der Reichen ein paar Grenzen setzen. Das macht die Sache nun natürlich kompliziert.

Das Feld des Staates ist nicht egal. Wenn man als politische Bewegung etwas erreichen möchte, ist es natürlich wichtig, dass man Gesetze zu seinen Gunsten und den Gunsten der Menschen verändert. Andererseits darf man auch nicht die Illusion haben, dass man ganz leicht durch die Teilnahme an Wahlen und Mitgestaltung von Institutionen alles zum Besseren verändern kann. In der Regel passiert das Gegenteil: Wenn man sich auf den institutionellen Weg begibt, verändern sich die Inhalte der Parteien, nicht die Institutionen.

Ich würde in erster Linie empfehlen, von außen Druck auf die Institutionen, Parteien, Parlamente und auf die Öffentlichkeit aufzubauen, damit bestimmte Positionen durchgesetzt werden. Gleichzeitig bin ich aber auch sehr dafür, dass man reformistisch denkt, in konkreten Reformen und kleinen Erfolgen. Es nützt niemandem etwas, eine Erzählung zu haben, dass die Welt irgendwann einmal besser wird. Sondern wir brauchen konkrete Verbesserungen und konkrete Erfolge, die das Gefühl vermitteln, man kann etwas erreichen.

Ein Gesetz, das die Umwelt schützt, das Arbeitnehmer*innenrechte stärkt, das die Arbeit von Genossenschaften erleichtert, oder das kommunalen Wohnraum garantiert, all das sind konkrete Errungenschaften, die vom Staat garantiert werden können, weil sie von unten erkämpft wurden. Diese Errungenschaften können uns auch wieder weggenommen werden, deswegen ist es wichtig, dass sich Menschen weiterhin engagieren und organisieren.

Ein Ort, den du in dieser Hinsicht oft positiv hervorhebst, ist das Baskenland. Welche vorbildhaften Entwicklungen siehst du gerade dort?

Raul Zelik: Ich würde es nicht vorbildhaft nennen, es ist nicht meine Absicht, gewisse Länder zu idealisieren. Aber dort, wo politische Konflikte sehr intensiv sind, kann man oft einiges erkennen und lernen. In vielen europäischen Ländern versuchen linke Parteien, an die Regierung zu kommen, um etwas zu verändern. Man sollte sich einen so eingeschränkten Begriff von Macht wirklich abgewöhnen. Auch ein linkes Regierungspersonal, ist denselben Machtzwängen ausgesetzt. Es gibt viele Beispiele, wo linke Regierungen rechte Reformen durchgesetzt haben. Rot-Grün hat in Deutschland unter Gerd Schröder neoliberale Politik durchgesetzt, die sich die konservative CDU nicht traute.

Was ich im Baskenland sehr interessant finde, ist, dass es eine linke Partei gibt, die seit 40 Jahren in den Institutionen ist, sich aber überhaupt nicht angepasst hat. Einerseits liegt das an der großen Repression gegen die Partei. Es gab dort einen bewaffneten Konflikt und den Terrorismus der ETA. Diese Repression führte dazu, dass es wenige Opportunisten und Karrieristen in der Partei gibt.

Andererseits hat die Partei jahrzehntelang Gemeinden regiert und sehr eng mit den Nachbarschaften zusammengearbeitet. Im Baskenland hat die Linke schon in den 1970er Jahren Dorf- und Bürger*innenversammlungen initiiert. Es gibt dort den Spruch: „Der beste Bürgermeister ist das Volk selbst“. Außerdem wurde ein „Parlament der Gemeinden“ von unten aufgebaut. Darin steckt ein anderes Verständnis von Parteipolitik, als wir es hier kennen.

Eine weitere interessante Entwicklung ist die Verankerung von sozialen und gemeinschaftlichen Projekten. Die Linke ist eher in Dörfern und Kleinstädten stark, sie ist präsent in Kulturvereinen, Dorfkneipen oder auch Volksfesten. Oft sind Volksfeste in den Händen von großen Getränkekonzernen. Im Baskenland werden die Stände wirklich von Bürger*inneninitiativen, von politischen und gewerkschaftlichen Projekten betreut, die sich dadurch ihre Arbeit mitfinanzieren. All diese Kleinigkeiten sind das Ergebnis von 40 Jahre langen, anhaltenden Kämpfen.

Welche Rolle spielt der Konflikt zwischen der baskischen Unabhängigkeitsbewegung und dem spanischen Staat dabei?

Raul Zelik: Wenn es große politische Konflikte wie jenen im Baskenland gibt, sehen sich alle Initiativen gezwungen, sich darin zu positionieren. Für lokale Selbstorganisierung kann das auch hilfreich sein. Ein Beispiel: Die riesige Mondragón-Genossenschaft gehört zu den zehn größten Konzernen in Spanien. Wenn man sie mit anderen europäischen Genossenschaften vergleicht, hat Mondragón immer noch extrem hohe ethischen und politische Standards, etwa bei der Selbstverwaltung und Mitbestimmung der Arbeiter*innen in den einzelnen Werkhallen.

Das war nur möglich, weil es so eine starke Politisierung des Alltags gibt, die dazu führt, dass die Belegschaften auch ihre Unternehmensführung kritisieren. In Deutschland oder Österreich, wo der politische Konflikt in den Hintergrund geriet, haben genossenschaftliche Projekte wie die Raiffeisenbanken ihren transformatorischen Anspruch verloren.

Oft stellen sich Linke die Frage: Ist es sinnvoller, eine linke Alternativstruktur aufzubauen, oder zu versuchen, die bereits bestehenden Institutionen von links zu besetzen? Schließt sich das gegenseitig aus?

Raul Zelik: Ich würde keinen Unterschied machen, ob das eine Subkultur-Initiative außerhalb politischer Institutionen ist, oder ob Leute in Institutionen sinnvolle politische Arbeit machen. Für beide ist wichtig, zu begreifen, dass man an einem gemeinsamen Projekt der Gegenmacht arbeitet. Die Arbeiter*innenbewegung hat immer gesagt: „Wir sind die Gegenmacht zum Kapital“. Deshalb war sie im 20 Jahrhundert auch lange sehr erfolgreich. Was heute das Gefühl der Diffusität und Schwäche ausmacht, ist das Fehlen eines verbindenden Gegenmacht-Vorhabens.

Darum habe ich zu Beginn auch Syriza in Griechenland und Podemos im spanischen Staat mit großer Sympathie und viel Interesse beobachtet, obwohl ich dem institutionellen Weg sehr skeptisch gegenüberstehe. Es gibt in Europa viele Ansätze, wo gemeinsame Macht von unten sichtbar werden kann. Man muss dazu das Rad nicht neu erfinden.

Nötig ist ein stärkerer Blick auf diese Projekte und eine Erzählung, die diese miteinander verbindet, die aber auch toleranter für Unterschiede wird. Ich glaube, man sollte wieder vermehrt überlegen, was so ein verbindendes Projekt der Gegenmacht sein kann.

 

Markus Gönitzer ist Aktivist, Lehramstudent und (Sub-)Kulturschaffender in Graz.

Raul Zelik ist Schriftsteller, Politikwissenschaftler und Aktivist in Berlin.

„Der Staat. Konferenz für praktische Kritik“ findet von 20.-22. April 2018 im Grazer Forum Stadtpark statt, das Programm findet ihr hier

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