Streiks und Besetzungen in Frankreich: Gelingt eine soziale Wende gegen Macron?

Noch vor wenigen Wochen sah es so aus, als würden die Menschen in Frankreich an ihrem Staatspräsidenten verzweifeln. Doch jetzt fordert eine Massenbewegung Emmanuel Macron heraus. Streikende Eisenbahner_innen legen das halbe Land lahm, Studierende besetzen ihre Universitäten, um Macrons Pläne zu vereiteln. Worum es in der Auseinandersetzung geht und welche Chancen die Bewegung hat, erklärt Sebastian Chwala.

Obwohl eine Mehrheit seine Politik in Umfragen als ungerecht und unsozial bezeichnete, konnten Emmanuel Macron und seine Regierung in den letzten Monaten ungestört durchregieren. Das Credo der Macron-Regierung lautete: Speed kills! Schnell Fakten schaffen, damit sich gesellschaftlicher Widerstand erst gar nicht entwickeln kann.

Ermöglicht wird das durch das politische System in Frankreich, das der Regierung großen Handlungsspielraum gegenüber dem Parlament gibt. Der Präsident kann das Parlament im Gesetzgebungsverfahren einfach umgehen oder zur Selbstausschaltung drängen – genau das nützt Macron aus.

Macron triff auf unerwarteten Widerstand

Doch am 22. März 2018 änderte sich das schlagartig. An diesem Tag gingen 500.000 Menschen, die im öffentlichen Dienst beschäftigt waren, auf die Straße, und entfachten eine neue Dynamik. Verschärft durch die Aktionen der Eisenbahner_innen, die seit dem 3. April in einen „Bummelstreik“ getreten sind, schließen sich immer weitere Berufsgruppen an. Denn der Streik zeigt Wirkung. An den bisherigen vier Streiktagen fuhren so gut wie keine Züge und die Streikbeteiligung steigt weiter.

Der Grund für den Streik: Macron will dem öffentlichen Dienst an den Kragen. 150.000 Stellen sollen abgebaut und an die spezifischen Arbeits- und Entlohnungssysteme der „Privatwirtschaft“ angepasst werden. Frankreich soll um jeden Preis ein marktliberales Regime werden. Die Privatisierung von öffentlichem Eigentum und die „Befreiung“ der Unternehmen von Steuerbeiträgen und arbeitsrechtlichen Standards würden wieder zu Investitionen und Wirtschaftswachstum führen, das wiederholt die französische Regierung wie ein Mantra.

Die ersten Schritte dahin hat Macron schon gesetzt. Im ersten Jahr seiner Amtszeit hat er den reichsten Französ_innen Steuergeschenke in Höhe von 12,5 Milliarden Euro beschert. Wasserkraftwerke sollen verkauft werden, die Pariser Flughäfen den Eigentümer wechseln. Sogar von der staatlichen Lotteriegesellschaft will man sich trennen.

Umfassende Privatisierungspläne

Zur Gegenfinanzierung werden Sozialsteuern erhöht, Krankenhäuser geschlossen und Schulklassen aufgelöst. Auch Lehrerstellen werden verschwinden. Die französische Staatsbahn SNCF soll in eine privatrechtliche Holding überführt werden und sich in einem liberalisierten Schienenverkehr privaten Konkurrenzunternehmen stellen. Das würde zum Abbau der Schulden des Unternehmens führen, heißt es von der Regierung.

Dumm nur, dass ein Großteil der Schulden darauf zurückzuführen ist, dass die SNCF als staatliches Unternehmen die Infrastruktur unterhalten muss. Die Folge einer privatwirtschaftlich agierenden französischen Bahn wäre die Schließung nicht rentabler Strecken, von denen es im ländlichen Raum in Frankreich noch eine große Menge gibt. Dass zusätzlich auch noch die Arbeitsbedingungen der „cheminots“, wie die Eisenbahner_innen in Frankreich genannt werden, verschlechtert werden sollen, stößt auf entschiedene Gegenwehr. Deshalb ist die Streikbeteiligung so hoch wie schon lange nicht. 

Die Studierenden werden aktiv

Widerstand gegen die Pläne der Regierung rührt sich aber auch an den Universitäten. Dort soll der Hochschulzugang nur noch jungen Abiturient_innen (in Frankreich „Baccalauréat“ genannt) ermöglicht werden, die inneruniversitäre Auswahlverfahren bestehen. Jugendliche, die keine der angesehenen gymnasialen Oberstufen besuchen, können die verlangten, spezifischen Voraussetzungen nicht erfüllen.

Außerdem ist die Onlineplattform, auf der die Bewerbungen für die Universitäten eingereicht werden müssen, derart überkomplex, dass Jugendliche ohne die entsprechende Unterstützung der Eltern schon am Bewerbungsverfahren scheitern. Wer Geld hat, kann dagegen teure Agenturen beauftragen, die den Papierkram erledigen.

Kommen die Kämpfe zusammen?

Die Wut über diese „Reform“ hat eine Studierendenbewegung entstehen lassen. Nach und nach werden Universitäten besetzt. Viele Professor_innen unterstützen den Protest der Studierenden.

Wie es scheint, hat Staatspräsident Macron die scheinbare Ruhe im Lande unterschätzt. Der Plan, Frankreich in wenigen Monaten wirtschaftsliberal umzubauen, ist das erste Mal während seiner Amtszeit auf entschiedenen Widerstand getroffen. Insbesondere die wachsende Solidarität zwischen Gewerkschaften und Studierenden, also Arbeiter_innen und jungen Akademiker_innen, die gemeinsame Interessen entdecken, ist ein spannende Entwicklung, die die soziale Bewegung stärken könnte.

Im Frühjahr 2016 propagierten junge Aktivist_innen die „convergence des luttes“, zu deutsch, „die Zusammenführung der (sozialen) Kämpfe“. Ihr Kampf gegen das Arbeitsgesetz ging damals verloren, Macron baut seine aktuelle Arbeitsmarktpolitik auf seinem Sieg von damals auf. Doch dieses Mal könnte es anders sein; dieses Mal könnte das Zusammenkommen von kämpfenden Arbeiter_innen und Studierenden Wirklichkeit werden.

Sebastian Chwala ist Politikwissenschafter aus Marburg und forscht zur radikalen Rechten in Frankreich. 2015 erschien sein Buch Der Front National: Geschichte, Programm, Politik und Wähler beim Verlag PapyRossa.

Autor

 
Nach oben scrollen