Als Emmanuel Macron zum französischen Präsidenten gewählt wurde, war er europaweit beliebt. Er galt als der Mann, der Europa vorerst vor Populismus und Nationalismus gerettet hat, als Vertreter der Jugend und Symbol der Erneuerung. Doch in Frankreich ist die Begeisterung schnell verflogen. Vincent Ortiz berichtet, warum Macron dort inzwischen als „Präsident der Reichen“ gilt.
Schon viele französische Präsidenten haben kurz nach ihrer Wahl stark an Beliebtheit verloren. Doch Emanuel Macrons Absturz in den Umfragen ist ein Negativrekord in der fünften Republik. Die Bilanz seiner ersten sechs Monate ist weit entfernt von „ni droite ni gauche“ – also von seinem Slogan „weder rechts, noch links“. Macrons Politik ist eindeutig den Reichen verpflichtet.
Hartz IV für Frankreich?
Herzstück der Politik Macrons ist die umstrittene Reform des Arbeitsrechts, die schon im Sommer 2016 auf massive Proteste stieß. Macron wählte den Zeitpunkt klug, um die Reform durchzuboxen. Im Spätsommer 2017, als viele Menschen noch im Urlaub waren und Proteste überschaubar blieben, setzte Macron Teile der Arbeitsrechtreform per Dekret in Kraft. Ziel der Reform ist eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes.
Das Vorbild ist klar: „Deutschland hat hervorragend reformiert“ meinte Macron vor kurzem. Die ersten getroffenen Maßnahmen sind eine Schwächungen des Kündigungsschutzes, gedeckelte Abfindungen und eine Schwächung der Gewerkschaften.
Mit dem Argument, den stark von Arbeitslosigkeit betroffenen Jungen den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu erleichtern, beschneidet Macron grundsätzliche ArbeiterInnenrechte: In kleinen Firmen können ArbeitgeberInnen jetzt direkt mit den Angestellten über Lohn, Überstunden und Prämien verhandeln, ohne Rücksicht auf Gewerkschaften und branchenspezifische Regelungen zu nehmen. Der Plan ist außerdem, Arbeitslose stärker zu kontrollieren und den Zwang, Jobs anzunehmen, zu verstärken – ein Element das stark an die Hartz IV-Regelungen in Deutschland erinnert.
Der Präsident der Reichen
Neben den Verschärfungen im Arbeitsrecht hat Macron die Mietbeihilfe gekürzt. 6,5 Millionen BezieherInnen – meist Menschen mit geringem Einkommen und Studierende – erhalten nun fünf Euro weniger im Monat. Es handelt sich um einen kleinen Betrag, aber die Stoßrichtung ist klar. Auf Kritik von links antwortete Macron mit einer Bitte an die Vermieter, die Mieten doch um fünf Euro zu senken.
Die Reformen der ersten Monate haben Macron den Ruf als „Präsident der Reichen“ eingetragen. Dieses Bild verstärkt sich mit der Abschaffung der französischen Vermögenssteuer. Sie wird in eine bloße Immobiliensteuer – nur für Immobilien über einen Wert von 1,3 Millionen – umgewandelt, wodurch mehr als 80% der Steuereinnahmen wegfallen. Abgeordnete der Partei „France insoumise“ von Jean-Luc Mélenchon verlangen jetzt, dass die Namen jener 100 Franzosen veröffentlicht werden, die am meisten von dieser Änderung profitieren.
Beschimpfungen im Ausnahmezustand
In den letzten Monaten ist Macron auch mit verbalen Ausrutschern aufgefallen: bei der Eröffnung eines Startup-Hubs in einer ehemaligen Bahnhofshalle meinte er: „Auf einem Bahnhof trifft man viele Leute. Solche, die etwas leisten und solche, die nichts sind.“ Kürzlich hat er die Gegner seiner Reform als Nichtstuer bezeichnet und damit durchklingen lassen, dass es an ihrer Faulheit liege, dass sie gegen die Arbeitsreform seiner Regierung seien.
All diese Reformen wurden unter den Bedingungen des Ausnahmezustands durchgeführt. Der sogenannte „état d’urgence“ wurde unter Francois Hollande in die Verfassung eingeschrieben, so dass er bis auf Widerruf des Präsidenten in Kraft war. Seit Macron im Amt ist, wurde der Ausnahmezustand, durch den die Polizei große Befugnisse erhält, die weit über Terrorismus hinausreichen, als Selbstverständlichkeit gesehen. Macron gab sich dazu stets sehr bedeckt.
Gespaltene Opposition
Während die Bevölkerung Macrons Politik zu großen Teilen ablehnt, fällt es der Opposition schwer sich zu positionieren. Der Großteil der Gewerkschaften ist nicht mehr gegen die Reform, sondern stößt sich nur an Details. Nur der linke Gewerkschaftsverband CGT lehnt die Reform zur Gänze ab. Bei der ersten Demonstration der CGT gingen 400.000 Menschen auf die Straße, bei den nächsten Mobilisierungsversuchen nahm die Zahl aber stark ab.
Der politischen Opposition fällt es schwer die Unzufriedenheit der Arbeitenden zu kanalisieren. Die Parti Socialiste (Sozialistische Partei), die davor fünf Jahre lang an der Macht war, kritisiert Macrons Reformen heftig, aber wenig glaubwürdig. Denn sie stellte mit Hollande den letzten Staatschef und brachte selbst auf sehr autoritäre Weise Arbeitsmarktreformen durch, die ebenfalls wesentlich auf eine Liberalisierung des Arbeitsmarktes abzielten.
Der Punkt geht an Macron
Auch die derzeit stärkste linke Oppositionsstimme – „la France Insoumise“ von Jean Luc Mélenchon – hat zu Demonstrationen gegen die Reformen aufgerufen, allerdings getrennt von der Gewerkschaft. Bei den Demonstrationen gegen das Arbeitsrecht, dem sogenannten „sozialen Staatsstreich“, versammelte Mélenchon laut eigenen Angaben rund 150.000 Menschen. Die Bewegung verlief sich dennoch zusehends in den letzten Wochen. Mélenchon meinte dazu „Wir sind gezwungen uns – momentan – geschlagen zu geben. Dieser Punkt geht an Macron.“
Die nächste Demonstration gegen Macrons Politik findet am 16. November statt. Nach langen Diskussionen rufen zwei Gewerkschaften und mehrere Studentengruppe dazu auf. Die Erwartungen an die Nachhaltigkeit der Demonstrationen und einen Reformstopp halten sich allerdings in Grenzen.