Macron: Das neoliberale Wunderkind

Nicht nur die Börsen, sondern auch viele Linksliberale jubeln einem Wahlsieg von Emmanuel Macron über die rechtsextreme Marine Le Pen entgegen. Doch sein neoliberales Programm ist alles andere als ein Grund zur Hoffnung, erklärt Felix Syrovatka.

Er gilt als Wunderkind der französischen Politik. Obwohl vor fünf Jahren noch weitgehend unbekannt, spricht vieles dafür, dass Emmanuel Macron am 7. Mai zum neuen französischen Staatspräsidenten gewählt wird. Sein Aufstieg vom Investmentbanker, Präsidentschaftsberater und Wirtschaftsminister unter François Hollande zum Präsidenten ist in der Geschichte des modernen Frankreich bisher einmalig. Und das ganz ohne die Unterstützung der großen Parteien – weder die sozialdemokratische Parti Socialiste noch die konservative Les Républicains.

Ein Kandidat ohne Partei

Vor dem Hintergrund des tiefen Misstrauens gegenüber dem politischen System war seine Distanz zu den beiden großen Parteien politisches Kalkül. Sie war bisher erfolgreich. Denn in Frankreich sind die politischen Parteien so unbeliebt wie in keinem anderen europäischen Land. Nur acht Prozent der WählerInnen geben in Umfragen an, ihren Parteien noch zu vertrauen, während 92 Prozent das Vertrauen vollständig verloren haben. Daher tat Macron gut daran, die Spekulationen über eine mögliche Kandidatur bei den Vorwahlen der Sozialdemokratischen Partei immer zurückzuweisen und mit „En Marche!“ eine eigene Organisationsstruktur aufzubauen, der heute mehr als 200.000 Menschen angehören. Zwar ist die „Mitgliedschaft“ in der liberalen „Bewegung“ kostenfrei und vergleichsweise einfach online zu beantragen. Auf den verschiedenen Wahlkampfauftritten, ebenso wie mit der ganzen Wahlkampagne von Emmanuel Macron ist jedoch deutlich geworden, dass „En Marche!“ über eine durchaus aktions- und mobilisierungsfähige „Basis“ verfügt.

Zudem ist er der Liebling der Medien. Sein junges Erscheinungsbild, sein neoliberaler Managerhabitus sowie sein als unkonventionell bezeichnetes Privatleben, lassen Macron auch vom Aussehen her als Alternative zum Rest des politischen Personals erscheinen. Mit seinem positiven Bezug zur Europäischen Union und seiner Forderung, die europäische Souveränität zu stärken grenzte er sich ebenfalls deutlich von den anderen KandidatInnen ab. Die Positionen machten ihn auch im Ausland zum Favoriten von Politik und Medien. Seine europapolitischen Forderungen weisen zahlreiche Überschneidungen zu Plänen der Europäischen Kommission oder Ideen der deutschen Kanzlerin Angela Merkel auf. Und auch in Christian Kern findet Macron einen Unterstützer.

Wurzeln im Dritten Weg

Um das inhaltliche Programm und die politische Strategie des 39-Jährigen zu verstehen, ist es sinnvoll seine politische Herkunft zu beleuchten. Macron zählte Ende der 1990er Jahre zur Redaktion der Zeitschrift „Esprit“. Die Intellektuellen, die sich dort sammelten, wurden stark von den Schriften des britischen Soziologen Anthony Giddens beinflusst. Sie wollten seine Ideen auf die französische Sozialdemokratie übertragen. Anthony Giddens gilt als intellektueller Vater des „Dritten Wegs“ unter Gerhard Schröder und Tony Blair.

Diese politisch-intellektuelle Strömung der sogenannten „Deuxième Gauche“ („Zweiten Linke“) versuchte, programmatischen Einfluss auf die Sozialistische Partei auszuüben. Anders als in Großbritannien und in Deutschland gelang es der „Deuxième Gauche“ damals nicht im gleichen Maße, die französische Sozialdemokratie von einer Abkehr vom Sozialstaat zu überzeugen.

Auch heute noch bilden die Theorien von Giddens den theoretischen Rahmen, in dem sich Macron politisch bewegt. Das wird besonders am Begriff „Gleichheit“ deutlich, der sein Wahlprogramm wie ein roter Faden durchzieht. Wie bei Giddens meint Gleichheit hier aber vor allem Chancengleichheit im Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt. Und ganz im Geist von Giddens fordert auch Macron, soziale Rechte an Verpflichtungen zu knüpfen.

Weniger Rechte für ArbeiterInnen

Wer einen Blick in das etwa 300 Seiten lange Wahlprogramm wirft, sieht dann auch, dass die beiden größten und prominentesten Punkte die Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik umfassen. Dabei sind Parallelen zu Gerhard Schröders Politik offensichtlich. Strukturell wie auch sprachlich gleicht das politische Programm ganz der Sozialdemokratie des Dritten Weges.

So plant Emmanuel Macron eine Reform der Arbeitslosenversicherung, welche in erster Linie eine stärkere „Aktivierung von Arbeitssuchenden“ bewirken soll. LeistungsbezieherInnen sollen von den Arbeitsämtern stärker kontrolliert und überwacht, „Aktivierungs- und Sanktionselemente“ in der Arbeitslosenversicherung verstärkt und ausgebaut werden. Zwei abgelehnte Arbeitsangebote oder „mangelnde Intensität der Jobsuche“ sollen fortan ausreichen, damit Arbeitsämter die Arbeitslosenunterstützung vollständig streichen können.

Zudem möchte Macron den Arbeitsmarkt weiter deregulieren und die Rechte von ArbeiterInnen weiter schleifen. Die umstrittene Arbeitsrechtsreform aus dem Sommer 2016, gegen die es monatelange Massenproteste gab, will er noch vertiefen. So sollen nun Unternehmensvereinbarungen in allen Bereichen Vorrang vor Vereinbarungen auf Branchenebene (Umkehrung der Normrangfolge) erhalten. Das schwächt Gewerkschaften weiter und untergräbt ihre Verhandlungsmacht fast vollständig.

Geschenke für die Unternehmen

Parallel zum Abbau von ArbeitnehmerInnenrechten sollen Steuern und Abgaben für Unternehmen radikal gesenkt und – durch den Wegfall von Sozialausgaben für MindestlöhnerInnen – ein Arbeitsmarkt im Niedriglohnbereich ermöglicht werden. Eine Angleichung der verschiedenen Rentensysteme soll die branchenspezifischen Privilegien (beispielsweise für KrankenpflegerInnen und BergbauarbeiterInnen) abschaffen. Dadurch soll das allgemeine Rentenniveau sinken sowie das durchschnittliche Renteneintrittsalter steigen.

Die WählerInnen werden Emmanuel Macron mit großer Wahrscheinlichkeit am 7. Mai zum neuen Staatspräsidenten Frankreichs wählen. Für die europäische Linke sollte dieser Tag kein Grund zur Freude sein. Zwar bedeutet ein Sieg Macrons, dass Marine Le Pen verhindert wird. Aber nicht nur für Frankreich, sondern für ganz Europa lässt auch Macron nichts Gutes ahnen. Statt für die notwendige Kehrtwende in der Europapolitik steht Macron ganz im Gegenteil für einen Ausbau der Festung Europa, eine Militarisierung der EU und eine Stärkung der deutschen Kürzungspolitik. In Frankreich selber wird er die Politik von François Hollande der letzten drei Jahre radikalisieren und so eine Politik fortsetzen, die zu einer Deindustrialisierung der französischen Wirtschaft, einem Anstieg der Arbeitslosigkeit und dem Aufstieg des Front National geführt hat.

Felix Syrovatka ist Politikwissenschaftler und forscht zur europäischen und französischen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Er ist Autor des Buches „Die Reformpolitik Frankreichs in der Krise“.

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