Peter Pilz tritt zurück, nachdem Vorwürfe der sexuellen Belästigung bekannt wurden. Nun tobt die Schlacht in Sozialen Medien und Foren: Pilz-Fans sehen ihren Helden als Opfer (wahlweise) der Frauen, der Grünen oder der „Political Correctness“. Natascha Strobl mit ersten Gedanken zur Causa Pilz.
1. Sexualisierte Übergriffe sind keine Einzelfälle
Mittlerweile müsste es eigentlich allen klar sein: Sexualisierte Übergriffe sind keine Einzelfälle irgendwelcher bösartigen Menschen am Rande der Gesellschaft. Sie sind Teil des patriarchalen Systems, in dem wir leben.
So hat es wohl keine Frau verwundert, dass auch das Parlament und progressive Parteien nicht davor gefeit sind. Auch an der Spitze des Staates sind Frauen tagtäglich Übergriffen ausgesetzt. Von kleinen Bemerkungen bis zu körperlicher Gewalt. Dies ist weder vereinzelt noch unzusammenhängend zu sehen, denn…
2. Es fängt mit Schatzi an
Groß ist die Empörung bei so manchem wichtigen Mann: Jetzt darf „Mann“ nichtmal mehr seine Mitarbeiterinnen „Schatzi“ nennen. Frechheit! Allein das zeigt, wie verschoben das Denken schon ist.
Wie kommt eine Frau eigentlich dazu, an ihrem Arbeitsplatz, wo sie 40+ Stunden pro Woche verbringt, „Schatzi“ genannt zu werden? Diese Frau ist dort, um ihre Fähigkeiten und ihr Wissen einzubringen. Sie bekommt dafür Geld, mit dem sie ihren Lebensunterhalt bestreitet. So, wie Millionen andere Menschen auch. Nur, dass Männer von ihren Mitarbeiter_innen als gleichwertige Personen anerkannt werden, mit denen professionell und mit angemessener Distanz zusammen gearbeitet werden kann.
Wie kommt eine Frau dazu, dass diese Professionalität und Distanz einseitig, ungewollt und sexuell aufgeladen aufgebrochen wird? Noch dazu in einem hierarchischen Verhältnis, in dem sie fürchten, bei Nichtbefolgen ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten zu können? Das ist schlicht ungerecht. Und nein, die Lösung ist nicht, dass Männer keine Frauen mehr als Mitarbeiterinnen mehr anstellen. Die Lösung ist, dass mehr Frauen Chefin sind. Und/oder Männer einfach ihre herablassenden Worte und Finger bei sich behalten. (Revolutionärer Gedanke!)
3. Der Rücktritt ist richtig, aber der Schaden ist angerichtet
Der Entscheidung von Peter Pilz, das Nationalrats-Mandat nicht anzunehmen, ist insofern korrekt, als es zu diesem Zeitpunkt die beste Reaktion ist. Bessere Reaktionen wären natürlich gewesen:
- Niemanden systematisch sexuell zu belästigen
- Zeitnah Konsequenzen zu ziehen
- Sich bei der Betroffenen umfassend zu entschuldigen und alles dafür zu tun, um ihren Wünschen zu entsprechen.
So richtig sein Rückzug ist, so falsch war die Form, in der er ihn verkündet hat. Bei der Pressekonferenz hat Peter Pilz die betroffene ehemalige Mitarbeiterin indirekt der Lüge bezichtigt, hat nahegelegt, dass sie sich für eine ausgeschlagene Beförderung rächen wollte. Die Betroffene wird damit ein weiteres Mal gedemütigt. Zum zweiten Vorwurf – Pilz soll eine Frau am Rande einer Veranstaltung begrapscht haben – meinte er, er würde sich nicht erinnern.
Damit hat er sich die „Opfer-Mann gegen die feministische Hetzjagd“-Option offen gelassen. Seine Fans haben das schnell aufgegriffen und verbreiten einmal mehr die Täter-Opfer-Umkehr, die wir aus abertausenden Fällen, in dem einem Mann sexuelle Belästigung vorgeworfen wird, kennen. Auch das hat leider System und das bringt uns zu…
4. Opferschutz zählt nichts, auch nicht für Qualitätsmedien
Die Betroffene wollte dezidiert nicht an die Öffentlichkeit gehen. Die Grünen haben sich, auch vertraglich verpflichtet, daran gehalten. Das ehrt sie, denn informell und hinterrücks sind solche Leaks immer möglich, da braucht man nicht naiv sein. Dass dies nicht geschah, ist korrekt. Dass „Presse“ und „Profil“ sehr genaue Angaben machen, ist unerträglich. Mit einer Google-Suche ist der Name der Betroffenen leicht herauszufinden.
Die Reaktionen im Netz machen deutlich, warum die Frau das nicht in der Öffentlichkeit debattiert haben wollte. Zum Einen gibt es unmittelbar nach Bekanntwerden herablassende und herabwürdigende Kommentare der ganz wichtigen politischen Kommentatoren auf Twitter. Ihre Person, ihre Motive und ihre Geschichten werden seziert und angezweifelt. Es braucht nur ein paar Tweets, um aus einem Opfer die Täterin zu machen.
Zum Anderen fällt in diversen Foren der digitale Mob über sie her. Es gibt dabei keinen Unterschied zwischen sogenannten Qualitätsmedien und dem Boulevard. Journalist_innen hatten hier eine Verantwortung gegenüber der Betroffenen, der sie nicht nachgekommen sind. Sie haben die Frau einfach im Stich gelassen.
5. Wer steckt hinter den Leaks?
Es ist wichtig und korrekt, dass solche Übergriffe ans Licht kommen. Es sei denn, die Betroffene ist explizit dagegen, sie an die Öffentlichkeit zu bringen. Selbst wenn das für Andere unverständlich sein mag, steht ihr Wunsch hier über allem. Umso mehr, als es sich um eine leicht identifizierbare Person handelt.
Halbwegs anständige Menschen respektieren den Schutz der Privatsphäre. Personen, die keinerlei Interesse am Wohl der Betroffenen oder am Kampf gegen sexuelle Übergriffe haben, setzen sich darüber hinweg, wenn es ins politische Kalkül passt. Wie schon bei der Silberstein-Leaks, bleibt auch hier ein bitterer Beigeschmack: Journalist_innen machen keinen Unterschied zwischen zugespielten (und ausgewählten) Leaks und eigener Recherche. So werden sie zu Werkzeugen einer kalkulierten Kampagne. Es handelt sich bei beiden Geschichten – Pilz und Silberstein – um die selben Medien und die selben Journalist_innen. Auch darüber sollte, unabhängig vom Inhalt der Leaks, geredet werden.