Zeit für einen Neustart: Fünf Thesen zur Wahl

Die Nationalratswahl 2017 ist geschlagen, das Ergebnis ist eine rechte Übermacht im Parlament. Die SPÖ konnte zwar ihr Ergebnis halten, Schwarz-Blau aber nicht verhindern. Die Grünen, die sich als einzige Parlamentspartei explizit gegen rassistische Spaltung gestellt und die ökologische Krise zum Thema gemacht haben, sind aus dem Parlament geflogen. KPÖ PLUS hat trotz großem Einsatz und einem guten Wahlkampf Stimmen verloren und ist sogar unter die Ein-Prozent-Marke gefallen. Was heißt das alles und wie geht’s jetzt weiter? Fünf Thesen der mosaik-Redaktion.

 

1. Der Rechtsrutsch ist umfassend – und Ergebnis einer Entwicklung von Jahrzehnten.

„Fast 60 Prozent haben heute das freiheitliche Programm gewählt.“ So fasste Heinz-Christian Strache am Wahlabend das Ergebnis treffend zusammen. FPÖ und ÖVP sind mit fast austauschbaren Programmen angetreten. In der Migrations-, Asyl- und Integrationspolitik hat die ÖVP langjährige FPÖ-Positionen übernommen. Umgekehrt hat sich die FPÖ mit ihrem neuen Wirtschaftsprogramm die Forderungen der Industriellenvereinigung zu eigen gemacht und ist damit voll auf ÖVP-Linie. Beide Parteien stehen heute für einen nur graduell unterschiedlichen autoritären Rechtspopulismus. Das verstehen auch ihre AnhängerInnen: Auf der ÖVP-Wahlparty wurde bei der ersten Hochrechnung zweimal gejubelt. Einmal über das eigene Ergebnis, einmal über jenes der Blauen. Die Bildung einer schwarz-blauen Regierung ist sehr wahrscheinlich.

Hunderttausende WählerInnen gingen im Vergleich zur letzten Wahl jeweils einen Schritt nach rechts. Die Grünen verloren 75.000 Stimmen an die Liste Pilz und 190.000 an die SPÖ, die SPÖ 107.000 an die FPÖ. Innerhalb des rechten Spektrum wechselten doppelt so viele WählerInnen von der ÖVP zur FPÖ als umgekehrt. Noch nie seit 1945 haben rechte Parteien mehr Stimmen erhalten als bei dieser Wahl. Das ist Folge und Ausdruck einer langfristigen Entwicklung, kein abrupter „Rechtsruck“. Sie kann bis 1986 zurückverfolgt werden, als Jörg Haider die FPÖ übernommen und in eine Partei des modernen, populistischen Rechtsextremismus umgebaut hat. Die FPÖ hat den Boden über Jahrzehnte aufbereitet. Kurz fährt nun die Ernte ein.

Schon vor eineinhalb Jahren schrieben wir: „Wie auf einer schiefen Ebene rutschen Europa und Österreich nach rechts“. Dieser „Rechtsrutsch“ bedeutet nicht nur, dass rechte Parteien stärker werden, sondern dass auch andere Kräfte mitrutschen. Die SPÖ steht in vielen Fragen so rechts da wie noch nie. Sie hat als Kanzlerpartei das „Burkaverbot“ beschlossen, das Asylrecht ausgehöhlt  und ist bei CETA umgefallen. Dass eine Koalition mit der FPÖ nun ernsthaft zur Debatte steht, zeigt ihren Rechtsrutsch ein weiteres Mal.

Peter Pilz inszenierte sich im Wahlkampf als „Heimatschützer“ und Hardliner gegen den politischen Islam. Einziger gemeinsamer Programmpunkt der Liste war Pilz’ asylpolitisches „Österreich zuerst“-Papier. Auch wenn viele ihn aus anderen Gründen gewählt haben mögen, drückt der Wechsel von den Grünen zu Pilz eine Rechtsverschiebung in diesem WählerInnen-Spektrum aus. Die einzige Parlamentspartei, die sich nicht auf das Spiel mit rassistischen Ressentiments einließ, flog aus dem Nationalrat.

Nicht nur die Parteien, auch die etablierten Medien haben Anteil an der rechten Hegemonie. Sebastian Kurz ist es gelungen, viele der mächtigsten MedienmacherInnen als KomplizInnen für sein Staatsprojekt zu gewinnen. Das betrifft nicht nur den Boulevard, sondern auch viele sogenannte Qualitätsmedien. Sie alle haben kaum über die wirtschafts- und sozialpolitischen Pläne von Kurz und Strache berichtet, sondern stattdessen autoritäre Politikvorstellungen zur „Führungsqualität“ geadelt und Rassismus zur „Migrationskritik“ umgetauft. mosaik ist vor fast drei Jahren als plurales Publikationsprojekt angetreten, um diesem Mainstream etwas entgegenzustellen. Uns ist es ebenso wenig wie anderen alternativen Medien gelungen, in eine breite Öffentlichkeit zu wirken.

 

2. Das Argument des kleineren Übels ist stark wie nie – und verstärkt den Rechtsrutsch zusätzlich.

Die SPÖ konnte mit dem Argument „Wir oder Schwarz-Blau“ ihren Stimmenanteil halten. Zwar hat sie 200.000 WählerInnen nach rechts und an NichtwählerInnen verloren, sich aber auf Kosten der Grünen gerettet. Vor allem in den größeren Städten saugte sie fast deren gesamtes WählerInnenpotenzial auf. In Wien-Neubau etwa verloren die Grünen unglaubliche 20 Prozentpunkte, die SPÖ gewann 13 dazu. Offensichtlich entschieden sich viele grün-affine WählerInnen für die SPÖ, um Schwarz-Blau zu verhindern oder zumindest die FPÖ auf den dritten Platz zu verweisen. Das lag auch daran, dass die SPÖ in der letzten Wahlkampfphase ihr linkes Profil etwas nachschärfte.

Das Argument des kleineren Übels bedeutet, eine Partei zu wählen, deren Programm und Personal nicht überzeugt, um zu verhindern, dass noch schlimmere Kräfte an die Macht kommen. Das ist individuell keine unvernünftige Haltung. Tatsächlich macht es ja einen Unterschied, ob FPÖ und ÖVP die Regierung übernehmen oder nicht. Wenn der rechte Block die Reihen schließt, wird eher jene Partei gewählt, der man die Kraft zutraut, dagegenzuhalten.

Wir kritisieren also nicht, dass WählerInnen „falsch“ gewählt hätten. Es ist schließlich vor allem die Schwäche der Linken, die sie vom Argument des kleineren Übels überzeugt. Aber die individuell verständlichen Wahlentscheidungen haben in ihrer Gesamtheit verheerende Folgen. Denn die Logik des kleineren Übels zementiert jenen Status ein, der die Grundlage der rechten Erfolge ist. Und sie erstickt all jene politischen Stimmen, die daran etwas Grundsätzliches ändern wollen. Wer Alternativen zu den etablierten Parteien aufbauen will, wird sich dieser Herausforderung stellen müssen.

 

3. KPÖ PLUS hat gezeigt, dass ein guter Wahlkampf alleine nicht reicht, um auch nur einen messbaren Fortschritt zu erzielen.

Der Wahlkampf von KPÖ PLUS war der vermutlich intensivste und professionellste in der Linken seit Jahrzehnten. Die Zusammenarbeit von KPÖ, (ehemaligen) Jungen Grünen, Aufbruch-AktivistInnen und Unabhängigen ist eine positive Entwicklung. Aber: Wer zu Wahlen antritt, muss sich auch an deren Ergebnis messen lassen – und das ist eine bittere Niederlage. Aufgerieben zwischen dem Argument des kleineren Übels, der Konkurrenz durch die Listen von Peter Pilz und Roland Düringer und dem traditionellen Antikommunismus in Österreich, verlor KPÖ PLUS sogar Stimmen gegenüber der letzten Nationalratswahl. Das Scheitern alleine auf die schlechten Bedingungen zu schieben wäre aber zu einfach.

Österreich braucht eine Linkspartei. Auch das Potenzial dafür wäre da, sagt die Wahlforschung. In der mosaik-Redaktion argumentieren wir seit Jahren, warum die politische Formierung eines dritten, „solidarischen Lagers“ notwendig wäre, um die Kräfteverhältnisse zu verschieben und dem Rechtsrutsch etwas entgegenzusetzen . Wir müssen uns eingestehen, dass dieses Argument in einem polarisierten Wahlkampf nicht überzeugt. Nicht einmal jene Menschen, die zustimmen, dass es eine Linke im Parlament braucht, haben KPÖ PLUS gewählt. Ganz zu schweigen von den vielen anderen, die sich nicht als „links“ verstehen, deren Stimmen für einen Einzug aber wohl nötig wären.

Wir hoffen, dass das schlechte Wahlergebnis von KPÖ PLUS nicht dazu führt, dass das im Wahlkampf entstandene Vertrauen zwischen AktivistInnen aus unterschiedlichen Teilen der Linken wieder verloren geht. Die Zusammenarbeit von KPÖ, Jungen Grünen, AktivistInnen von Aufbruch und Unabhängigen war richtig. Entscheidend ist, welche Lehren aus dem schlechten Ergebnis gezogen werden.

Fraglich ist etwa, ob die Zuspitzung auf die sozialen Themen Wohnen, Arbeit und PolitikerInnengehälter richtig war. Bei Rassismus und Migration, den dominierenden Themen des Wahlkampfs, hatte KPÖ PLUS dadurch wenig zu sagen. Zudem ist ein guter Wahlkampf alleine offensichtlich zu wenig, um auch nur kleine Erfolge zu erzielen. Um sich als sichtbare und wählbare Alternative zu etablieren, ist jahrelange Arbeit nötig, die im Lebensalltag jener Menschen wahrgenommen wird, die von der Politik der Herrschenden angegriffen werden.

 

4. Hören wir auf, uns einzureden, wir hätten eine Mehrheit auf unserer Seite.

Objektiv vertreten FPÖ, ÖVP und Neos die Interessen der reichsten fünf Prozent in Österreich. Trotzdem werden sie im nächsten Nationalrat zwei Drittel der Mandate haben, also eine Verfassungsmehrheit. Viele Linke haben in den letzten Monaten versucht, die sozialen Interessen der Mehrheit ins Zentrum zu rücken – ohne Erfolg.

Ja, objektiv sind wir Teil der 95 Prozent, die weniger als eine Million Euro besitzt und deshalb unter Schwarz-Blau verlieren wird. Das bleibt aber politisch wirkungslos, wenn ein Großteil dieser 95 Prozent das für sich als irrelevant erachtet. Die Wahlmotive der Mehrheit waren andere. Für die WählerInnen von ÖVP und FPÖ lauteten die drei meistdiskutierten Themen „Asyl und Integration“, „Sozialleistungen“ und „Sicherheit“. Es braucht nicht viel Fantasie um zu erraten, was sie zusammenhält.

Es gibt eine Mehrheit, deren Interessen „objektiv“ jenen der Großindustriellen und ImmobilienbesitzerInnen entgegenstehen. Aber ein Großteil der Bevölkerung ist auch für geschlossene Grenzen, Abschiebungen und die Kürzung von Sozialleistungen für „Ausländer“ – und findet diese Themen wichtiger. Wir, also die gesellschaftlich Linke einschließlich Sozialdemokratie, Linksliberalen, Grünen, KommunistInnen und Unabhängigen, haben keine schweigende Mehrheit hinter uns. Dieser Selbstbetrug muss ein Ende haben.

Die Linke hat zu lange die „soziale Frage“ von der Frage des Rassismus getrennt. Soziale Themen – Löhne, Mietpreise, Vermögensverteilung – werden häufig behandelt, als hätten sie nichts mit rassistischer Spaltung zu tun. Umgekehrt wird Antirassismus allzu oft zum Ausweis der eigenen moralischen Reinheit. Wir sind die Guten, die sind die Bösen. Oder noch schlimmer: Wir sind die weltoffenen Gebildeten, die sind die dummen Rassisten. Das ist der Kern des liberalen Antirassismus, für den besonders die Grünen als Partei standen. Die große Herausforderung wird sein, einen politischen Antirassismus zu entwickeln, der soziale Forderungen (und Abwehrkämpfe) mit dem Kampf gegen rassistische Spaltung verbindet. Dazu gehört auch, dass wir uns fragen, warum sich so wenige Menschen, die selbst von Rassismus betroffen sind, in der Linken engagieren – und wie wir das ändern können.

 

5. Vor uns liegen große Kämpfe. Lernen wir aus den Erfahrungen der Bewegung gegen Schwarz-Blau I, aber wiederholen wir nicht ihre Fehler.

Gegen die Angelobung der ersten schwarz-blauen Regierung protestierten im Februar 2000 zehntausende Menschen, zwei Wochen später beteiligten sich 300.000 an der größten Donnerstags-Demonstration. Sie konnten die Regierung aber weder verhindern noch stürzen. Die Donnerstags-Demos wurden zum Ritual, manches daran zur Folklore. Wirkungslos waren sie trotzdem nicht. Sie brachten hunderttausende Menschen dazu, sich politisch zu betätigen. Viele, die damals politisch aktiv wurden, sind es bis heute geblieben, darunter auch einige mosaik-RedakteurInnen. Der Widerstand gegen Kurz und Strache wird neue Generationen von AktivistInnen hervorbringen. Eine Aufgabe der Linken wird es sein, jene zu sammeln, die sich mit erhobenem Haupt der rechten Übermacht entgegen stellen wollen.

Zugleich müssen wir anerkennen, dass die Bedingungen heute andere sind. Die Regierungsbildung 2000 war ein Tabubruch und wurde von Wolfgang Schüssel gegen den Widerstand eines Großteils der Bevölkerung, der anderen EU-Regierungen und aller großen Medien durchgesetzt. Sogar die Kronen Zeitung war damals gegen Schwarz-Blau. Heute jubiliert der Boulevard und selbst im linksliberalen „Standard“ wird für eine schwarz-blaue Regierung argumentiert. Wie wir Politik unter und gegen Schwarz-Blau machen, sollte sich daran orientieren, wie wir erfolgreich sein können, nicht daran, was wir schon kennen und eh immer schon so gemacht haben.

Eine Regierung mit Kurz und Strache wird den massivsten Angriff auf die Errungenschaften und Institutionen der 95 Prozent in der Geschichte der Zweiten Republik organisieren. Was Schwarz-Blau vorhat, ist absehbar: Anhebung der Arbeitszeiten auf bis zu zwölf Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche. Anhebung des Pensionsantrittsalters. Schaffung eines Niedriglohnsektors. Zerschlagung des Systems der Kollektivverträge. Schwächung der Arbeiterkammer. Drastische Reduktion der Höhe und Bezugsdauer von Leistungen bei Arbeitslosigkeit („Hartz IV-Modell“). Kürzung der Mindestsicherung. Aushöhlung des Mietrechts, um Profite mit Immobilien zu steigern.

Dagegen wird sich Widerstand regen, der maßgeblich von den Gewerkschaften und der SPÖ getragen werden wird. Dabei werden sich entscheidende Fragen stellen: Verteidigt man „nur“ die Arbeiterkammer, oder protestiert man auch, wenn es gegen BezieherInnen der Mindestsicherung ohne österreichische Staatsbürgerschaft geht? Beschränkt man sich auf empörte Presseaussendungen oder mobilisiert man auf die Straße? Ruft man gar zu Streiks auf? An diesen Auseinandersetzungen müssen wir uns beteiligen.

Für Linke in der SPÖ wird die Herausforderung sein, sich nicht von der eigenen Parteispitze vereinnahmen zu lassen. Für Linke außerhalb der SPÖ gilt es, weg von der sektiererischen Abgrenzungslogik zu kommen. Allen zusammen stünde es uns gut an, auf Besserwisserei und Eitelkeiten zu verzichten. Wir müssen lernen, auch mit jenen zusammenzuarbeiten, mit denen wir uns oft so leidenschaftlich wie sinnlos streiten. Ohne eine neue Kultur des Respekts und der Wertschätzung werden wir ohnmächtig bleiben. Wir werden aufeinander aufpassen müssen, um nicht selbst so zu werden, wie es die Politik der starken Männer vormacht: rücksichtslos, kalt und autoritär.

Wir haben alle gemeinsam eine bittere Niederlage erlitten. Sie ist nicht das Ergebnis verunglückter Wahlkämpfe, sondern Ausdruck eines langfristigen Prozesses der autoritären Wende, der sich nicht nur in Österreich vollzieht. Wir müssen uns auf eine ebenso langfristige Arbeit dagegen einstellen. Um erfolgreich sein zu können, müssen wir unsere bisherigen Praxen schonungslos hinterfragen. Wir dürfen uns von der scheinbaren Übermacht nicht verrückt machen und von den Anforderungen der kommenden Abwehrkämpfe nicht erschöpfen lassen. Am Anfang jeder neuen Orientierung muss die Einsicht stehen, dass keine der bisher verfolgten Strategien erfolgreich war. Dafür brauchen wir Räume des Austauschs und den Mut, neue Dinge auszuprobieren. Nur wenn wir uns selbst erneuern, werden wir das dritte, solidarische Lager jenseits von Neoliberalismus und Rassismus neu konstituieren können.

Es ist alles andere als ausgemacht, dass das neue, rechts-autoritäre Staatsprojekt stabil und erfolgreich sein wird. Ob und wann es fällt, wird auch von uns abhängen.

 

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