Den Armen nehmen, den Reichen geben: Um dieses Ziel zu erreichen, wird Sebastian Kurz als Kanzler auf Demokratieabbau und rassistische Spaltung setzen. Doch die Zeit des Neoliberalismus ist vorbei, schreibt Lukas Oberndorfer. Nützen wir den Widerstand, um etwas Neues aufzubauen!
Der Wahlkampf war lange und ermüdend, doch er hat eines klar gezeigt: Sebastian Kurz hat einen Plan. Stimmen die Umfragen und er gewinnt die Wahl, müssen wir uns in der Wirtschafts- und Sozialpolitik auf folgendes gefasst machen:
- Ausgehöhlte Arbeitszeit-Regeln: Schon bald sollen wir auch zwölf Stunden am Tag und 60 Stunden in der Woche arbeiten müssen.
- Hartz IV für Österreich: Höhe und Bezugsdauer des Arbeitslosengelds werden stark gekürzt, ein Niedriglohnsektor gezielt aufgebaut.
- Teureres Wohnen: Das Richtwertsystem für Mieten soll eingeschränkt oder gar aufgehoben werden, um das Mietrecht „marktkonform“ zu machen.
- Schlechtere Pensionen: Das Pensionsantrittsalter soll an die Lebenserwartung gekoppelt werden. Wenn wir bis 67 und länger arbeiten müssen, steigt auch der Druck am Arbeitsmarkt.
Steuern für Großverdiener_innen senken
Sebastian Kurz will tiefe Einschnitte bei der breiten Bevölkerung. Im Gegenzug möchte er Steuern senken – doch für wen? Am liebsten spricht er über die Reduktion der Lohn- und Einkommensteuer. Doch die ärmere Hälfte der Erwerbsbevölkerung zahlt diese Steuer aufgrund von geringen Löhnen, Teilzeit oder Arbeitslosigkeit gar nicht. Sie hätte von der Senkung nichts, Großverdiener_innen dafür umso mehr.
Das wird deutlich, wenn man Kurz‘ Vorschläge für einzelne Berufsgruppen durchrechnet: Für die teilzeitbeschäftige Supermarkt-Kassiererin oder Kellnerin gibt es nichts, für einen Koch gerade mal 115 Euro, während ein Arzt oder der Leiter einer Bankfiliale pro Jahr mit 870 und 1.580 Euro mehr nachhause gehen würden.
Milliardengeschenke an Konzerne
Ein anderer Steuerplan von Kurz nützt nur den reichsten 5 Prozent. Er will größeren Unternehmen (AGs und GmbHs) die Gewinnsteuer von 25 Prozent zur Gänze erlassen, wenn diese die Gewinne nicht entnehmen. Die Kosten für den Staat: 4 Milliarden Euro oder viermal so viel wie die gesamten Ausgaben für die Mindestsicherung.
Insgesamt will Sebastian Kurz die Steuern und Abgaben um 14 Milliarden Euro senken. Das ist beinahe so viel, wie alle Krankenhäuser kosten – ein gigantisches Ausmaß. Möglich ist das nur durch Kürzungen bei der öffentlichen und sozialen Infrastruktur für die breiten Massen. Doch darüber spricht Kurz nicht.
Stattdessen wiederholt er endlos, dass er den „Zuzug in das Sozialsystem“ stoppen will, vor allem durch eine niedrigere Mindestsicherung für Asylberechtige. Dahinter verstecken sich Kürzungen für alle: Denn Kurz will die Mindestsicherung für Familien bei 1.500 Euro deckeln. Für die Betroffenen bedeutet das bittere Armut, für den Staat eine Ersparnis von 56 Millionen Euro – oder einem Siebzigstel dessen, was Kurz den Großunternehmen an Steuern schenken will.
Wer hinter Kurz steht
Die wichtigsten Unterstützer von Sebastian Kurz sind exportorientierte Konzerne. Sie wollen für Österreich das, was im Zuge der Wirtschaftskrise anderswo in der EU erzwungen wurde: das Sozial- und Arbeitsrecht zerschlagen, die Kollektivverträge durchlöchern, die Arbeitszeit ausweiten. Diese Maßnahmen, die oft nur über Notverordnungen oder den Ausnahmezustand durchgesetzt werden konnten, ließen die Löhne teilweise um bis zu ein Drittel fallen.
Auch auffallend viele Immobilienbesitzer spenden für Kurz. Kein Wunder: Bis dato verhindert das vergleichsweise strenge Mietrecht, dass sie von den explodierenden Immobilienpreisen zur Gänze profitieren. Zerschlägt Kurz die Regulierung, werden ihre Profite – und unsere Mieten – enorm ansteigen.
Superreiche, die noch mehr wollen
Niemand verkörpert die Interessen hinter Sebastian Kurz besser als Stefan Pierer. Der KTM-Boss spendete knapp 500.000 Euro. Mit 860 Millionen Privatvermögen gehört zu den fünfzig Reichsten in Österreich. 172 Millionen davon hat er in Immobilien angelegt. Wird Kurz gewählt und folgt seinen Wünschen, kann er mit gigantischen Gewinnen rechnen.
Pierer ist kein Einzelfall. Eine jüngst veröffentlichte Studie zeigt, dass dem reichsten 1 Prozent mehr als die Hälfte des Landes gehört. Ihre Interessen verdichten sich hinter Kurz.
Neoliberalismus in der Krise
Sebastian Kurz hat nur ein Problem: Die Zeit für seine Politik ist eigentlich vorbei. Der Neoliberalismus im Dienst der reichsten 5 Prozent hat seit der Weltwirtschaftskrise, die er ausgelöst hat, massiv an Zustimmung verloren. Seine Krise hat in Südeuropa massive soziale Bewegungen und neue linke Parteien hervorgebracht. Im Norden drückt die Krise sich in einer diffusen Abstiegsangst aus, die bisher vor allem rechte Kräfte nutzen konnten.
Um seine Politik im Interesse der reichsten 5 Prozent durchzusetzen, braucht er also neue Strategien. „Einzige Möglichkeit in dieser Situation erfolgreich zu sein, ist eine Position einzunehmen, die diese Stimmung bedient“, heißt es im durchgesickerten ÖVP-Strategiepapier: „Anders sein – Anti-Establishment.“
FPÖ-Politik, bürgerlich verpackt
Als „Anti-Establishment“ inszeniert sich Kurz schon länger. Spätestens im Sommer der Migration hörte er auf, den freundlichen Konservativen mit liberalen Einsprengseln zu geben. Er übernahm stramm rechte Positionen, fordert Abschottung und bedient anti-muslimischen Rassismus. Auf den Punkt bringen das die zwei Aussagen „Ich habe die Westbalkanroute geschlossen“ und „Es wird nicht ohne hässliche Bilder gehen“.
Kurz baut auf dem auf, was die FPÖ in langen Jahren erreicht hat: der Vorherrschaft rechter und offen rassistischer Ideen in Österreich. Er verkauft dieselbe Politik im bürgerlichen Gewand und wird so auch für Menschen wählbar, die sich nicht rechtfertigen wollen, die extreme Rechte zu wählen.
Staatsprojekt: Der Umbau der Republik
Seine rechtspopulistischen Strategie wird Kurz wohl zum nächsten Kanzler machen. Aber das reicht nicht aus, um die beschriebenen Maßnahmen durchzusetzen. Dazu muss Kurz die Kräfteverhältnisse grundlegender verschieben, muss die im Wege stehenden Säulen der Republik und der Zivilgesellschaft umstoßen. Anders gesagt: Sebastian Kurz braucht ein Staatsprojekt.
Dieses Projekt ist mit der SPÖ nicht zu machen. Zwar ist auch sie in den letzten Jahren deutlich nach rechts gewandert und hat sich dem nationalen Konsens angeschlossen: Nicht der neoliberale Kapitalismus bedroht unsere Sicherheit, sondern Asylwerber, die daher durch Lager von Europa fernzuhalten sind. Das zeigte sich in der letzten TV-Konfrontation zwischen Kern und Kurz. Nachdem beide ihre Position zu Asyl- und Migration dargelegt hatten, stellte die Moderation fest: „Das ist ja schön. Ich habe das Gefühl sie können sich gegenseitig zustimmen.“
Doch wirtschaftspolitisch steht die SPÖ für einen sozialpartnerschaftlich eingebetteten Neoliberalismus, nicht die Abrissbirne, die Kurz schwenken will. Schließlich kommen rund ein Viertel ihrer Abgeordneten aus der Gewerkschaft. Die Sozialdemokratie hat nun ihre Schuldigkeit getan und kann gehen.
Mit der FPÖ für die Reichen
Der nahezu ideale Partner für Kurz ist die FPÖ. Auch sie hat sich in den letzten Jahren verändert: Waren unter Schwarz-Blau I nur 15 Prozent ihrer Abgeordneten aus dem bürgerlichen Milieu kommende Burschenschafter, sind es heute 45 Prozent. Das macht die FPÖ noch rechtsextremer, aber ändert auch ihren Klassenstandpunkt. „Die FPÖ ist eine zerrissene Partei, weil sie sich auf der Funktionärsebene aus Notaren, Hausbesitzern und Industriellen zusammensetzt, aber auf die Stimmen der kleinen Leute angewiesen ist“, sagte jüngst der Krone-Journalist Claus Pándi.
Im Wirtschaftsprogramm der FPÖ haben sich die Industriellen und Hausbesitzer eindeutig durchgesetzt. Es deckt sich nahezu 1:1 mit den beschriebenen Plänen von Sebastian Kurz. Auch beim Umbau der Republik sind sich Schwarz und Blau einig: Schwächung der Arbeiterkammer, Teilprivatisierung des ORF, Einschränkung des Demonstrationsrechts. Die von Kurz und Strache geplanten Kürzungen bei Förderungen sollen wohl kritische Projekte in den Bereichen Kunst, alternative Medien, Integration sowie der Mädchen- und Frauenpolitik aushungern.
Antirassismus und soziale Frage verbinden
Doch das Staatsprojekt von Kurz und Strache steckt auch voller Widersprüche. Früher oder später wird deutlich werden, dass Kürzungen bei Flüchtlingen und Armen nicht ausreichen, um die massiven Geschenke für Reiche und Industrielle zu finanzieren. In dieser Situation ist die große Gefahr, dass sich das rechts-autoritäre Staatsprojekt immer weiter verschärft. Die Kombination aus Rassismus und Polizeistaat sind in Europa heute oft die Krücke, die den bröckelnden Neoliberalismus noch stabilisiert.
Dem müssen wir einen politischen Antirassismus entgegensetzen und diesen mit der sozialen Frage zu verknüpfen. Wir sollten dabei zwei Prinzipien folgen: Erstens können sie ihre Politik gegen die 95 Prozent nur durchsetzen, wenn wir uns spalten lassen. Zweitens ist die Bedingung für die qualitative und dauerhafte Verbesserung unserer Lebensverhältnisse das gute Leben für alle.
Neue Bündnisse, neues Vertrauen
Noch nie war schon so früh so klar, was unser Gegenüber plant. Nutzen wir das, um schon jetzt tragfähige und breite Strukturen aufzubauen, die nicht nur Widerstand leisten, sondern auch Alternativen aufzeigen.
Dazu wird die gesellschaftliche Linke, also soziale Bewegungen, anti-rassistische Projekte, progressive Akteur_innen in den Gewerkschaften und linke Jugendorgas, Aufbruch, KPÖ PLUS und die verblieben Aufrechten in SPÖ und Grünen enge Bündnisse knüpfen und neues Vertrauen untereinander schaffen müssen.
Gelingt uns das, können wir Kurz die moderne Maske vom Gesicht reißen. Dann könnte es ihm ähnlich ergehen wie Emmanuel Macron, der in Rekordzeit an Zustimmung verloren hat. Das rechts-autoritäre Staatsprojekt von Sebastian Kurz will das im Sterben liegende neoliberale Modell mit immer mehr Gewalt und der Spaltung unserer Gesellschaft nach Herkunft, Religion und Geschlecht retten. Lassen wir das nicht zu.
Lukas Oberndorfer ist Wissenschafter in Wien und arbeitet zur Frage, wie es seit der Krise in Europa zu einer autoritären Wende kommt, die Demokratie und Grundrechte einschränkt, um neoliberale Politik zu vertiefen. Seinen zu diesem Thema zuletzt in der PROKLA erschienen Beitrag könnt ihr hier nachlesen.