#metoo: Eine männliche Geschichte

Die #metoo-Kampagne in sozialen Netzwerken macht einmal mehr deutlich: Männliche Gewalt gegen Mädchen* und Frauen* nimmt kein Ende. Doch die meisten Männer glauben, nichts damit zu tun zu haben. Und genau das ist das Problem.

Wieviele #metoo-Aktionen brauchen wir eigentlich noch, um gehört zu werden? Weil, ja, eh klar! Jede Frau* ist #metoo. Deshalb ist #metoo auch der neunhunderttausendste Versuch, euch Männer endlich aufzuwecken. Euch dazu zu bringen, die Augen aufzumachen für die Welt, auf der ihr euch gemeinsam mit uns befindet. Und euch zu sensibilisieren für jene Welten, die ihr zerstört: Mit euren sogenannten sexistischen „Witzen“, die wir überall ertragen müssen. Mit euren fixierenden Blicken, die ihr so oft nicht im Geringsten zu kontrollieren gewillt seid; und die häufig gewaltvoller wirken können, als die ohnehin täglichen verbalen Belästigungen auf der Straße. Mit eurem so unendlich aufdringlichen Verhalten: vom weiträumigen Platz, den ihr beispielsweise in der U-Bahn, in Diskussionen oder in der Arbeitsplatzhierarchie einnehmt, bis hin zum ersten Platz, den ihr für euch in so gut wie allen Bereichen unserer Gesellschaft beansprucht.

Allein meine Biografie ist bereits voll von tausenden Nachrufen, Beleidigungen, Bedrängnissen und Bedrohungen durch Männer, ganz abgesehen von den traumatisierenden Gewalttaten. Sie fanden auf der Straße, in der Schule, der Uni, der Arbeit, in Lokalen und in anderen öffentlichen Räumen statt. Aber auch in der Familie, dem Freundes- und Bekanntenkreis. Die Täter waren ausnahmslos Cis-Männer, also Männer, deren Geschlechtsidentität mit ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. Und sie begannen mit diesem Verhalten, als ich sechs Jahre alt war.

Mädchen* und Frauen* werden in unterschiedlichen Intensitäten kontinuierlich belästigt, bedrängt, geschlagen, vergewaltigt und ermordet. Zu allem Überfluss schließt man uns dabei auch noch systematisch von jenen Sphären aus, in denen wir den nötigen Einfluss nehmen könnten, um das zu verändern. Währenddessen weiß ich, dass ich – so wie die meisten anderen Frauen* – noch tausende weitere Male #metoo-Erfahrungen machen werde. Und dass ich als Einzelperson nichts weiter als hoffen kann, dass ich diese auf mich zukommenden „Erfahrungen“ überleben werde. Wir wissen nämlich nie, ob sich ein bloß unangenehmer Blick nicht zu einer bedrängenden Annäherung und letztendlich zu einer Vergewaltigung mit Todesfolge entwickelt. Wir wissen nur, dass jedes einzelne Mal das Schlimmste vorfallen könnte. Diese Angst lähmt und betäubt chronisch, sie verunmöglicht Mädchen* und Frauen* echte Freiheit, Entfaltungsmöglichkeiten und Partizipation. Und sie schädigt die Beziehung zwischen Männern und Frauen* zutiefst.

Wie geht es euch Männern eigentlich damit?

Wie geht es euch mit dem Wissen, dass ihr bzw. eure Geschlechtsgenossen uns alle in diese Situation bringt? Warum unternehmt ihr demgegenüber nicht tägliche Anstrengungen, die Gewalt-Epidemie gegen uns zu beenden? (Jene 0,3 Prozent der Männer, die Letzteres tun, seien hiermit aus dieser Frage ausgeschlossen.) Ich kenne übrigens nur einen einzigen Mann persönlich, der tatsächlich gegen sexuelle Gewalt kämpft. Demgegenüber gibt es fast keinen mir gut bekannten Mann, der noch nie sexuell gewalttätig gegenüber Frauen* war.

Seht ihr euch dadurch angegriffen? Ungerecht behandelt? Falls das so ist, dann stimmt der Satz wohl: Für Privilegierte fühlt sich Gerechtigkeit wie eine Bestrafung an. Oder weshalb ist es für viele so unangenehm, darauf aufmerksam gemacht zu werden? Fühlt ihr euch nicht angesprochen? Denkt ihr, dass diese crazy Autorin ja gar keinen Schimmer davon hat, was für tolle Kerle ihr seid? Tja, es ist halt leider vollkommen egal, für wie nett ihr euch haltet. Alles in allem ist es sogar relativ unerheblich, falls ihr selbst tatsächlich nicht zur Vergewaltiger/Bedränger-Fraktion gehört. Denn der Umstand, dass ihr (Cis-)Männer in unserer heutigen Welt seid, macht euch zu Profiteuren von sexueller Gewalt gegen Frauen*, auch wenn ihr sie nicht selbst ausübt.

Sexuelle Gewalt ist kein Zufall.

#metoo hat als Aktion Potenzial, weil sie Mädchen* und Frauen* daran erinnert, dass sie nicht alleine sind. Dass sie keine vereinzelten, namenlosen „Opfer“ einer unbekannten Naturgewalt sind. Sondern dass sie sich als gemeinsame Betroffene einer Unterdrückungsform, die Männer gegen sie ausüben, vernetzen und dagegen kämpfen können.

#metoo kann sich jedoch auch als eine wirkungslose Aktion entpuppen, wenn es dabei bleibt. Im englischsprachigen Raum wurde der Hashtag bereits am nächsten Tag weiterentwickelt, und zwar indem Männer via #HowIwillChange ihre Vorsätze aufzeigen, um diesem unwürdigen Theater endlich ein Ende zu bereiten. Was ist also los mit den Männern hier? Warum habt ihr zwar die #metoo-Erfahrungen gesehen und gepostet, nicht aber eure höchstpersönliche Verantwortung reflektiert und euch an einer Lösung beteiligt?

Ja, dieser Text richtet sich dezidiert an (Cis-)Männer.

Dieser Text richtet sich an euch, weil ihr es seid, vor denen wir Mädchen* und Frauen* Angst haben müssen. Nicht andere Frauen*. Wenn wir abends alleine unterwegs sind, sind es nicht die anderen Frauen*, die uns bedrohen. Es sind nicht die anderen Frauen*, die uns nachrufen oder verfolgen. Es sind nicht die anderen Frauen*, die uns mit einer Dreistheit beobachten, als wären wir wandelnde Masturbationsvorlagen. Andere Frauen* begrapschen und bedrängen uns nicht physisch. Andere Frauen* vergewaltigen uns nicht.

Und wenn sich jetzt der eine oder die andere denkt: „Aber! Aber! Aber! – Das passiert durchaus, dass eine Frau …“, dann muss ich sagen: Wir werden in einem so überwältigendem Ausmaß von explizit Männern belästigt, vergewaltigt und ermordet, dass der Hinweis auf die demgegenüber mikrodimensionale Täterinnenschaft von Frauen* einfach nur ein weiterer Versuch ist, Unterdrückte mundtot zu machen. Mit derlei „Hinweisen“ wird das Nachdenken über männliche Gewalt im Keim erstickt und die herrschenden Strukturen werden weiter aufrechterhalten. Eine herzliche Gratulation an alle, die sich in diesen Kanon einreihen. Hier beginnt eure Mit-Täter*innenschaft.

Und an alle anderen Männer, deren Bewusstsein weiter reicht: Bitte tut den Leser*innen den Gefallen und beschreibt doch in den Kommentaren einen eurer Vorsätze, den ihr euch zurzeit aufgrund der überbordenden sexuellen Gewalt gegen Frauen* vorgenommen habt.

Elisa Ludwig arbeitet bei LEFÖ-IBF, der Interventionsstelle für Betroffene von Frauenhandel, und ist zudem als freie Journalistin, Moderatorin, Vortragende sowie Dolmetscherin tätig. Ludwig befindet sich in Ausbildung zur Psychotherapeutin.

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