Globale Solidarität neu beleben: Warum wir eine starke Mosaik-Linke brauchen

Überflutetes Gebiet

Gesellschaftliche Veränderungen voranzutreiben und globale Solidarität in Praxis zu übersetzen, scheint in Zeiten sich zuspitzender Krisen dringlicher denn je. Dadurch erfährt das Projekt einer Mosaik-Linken neue Aktualität, wie Alexander Behr in seinem kürzlich erschienen Buch „Globale Solidarität. Wie wir die imperiale Lebensweise überwinden und die sozial-ökologische Transformation umsetzen“ analysiert. mosaik-Autor Mathias Krams greift einige Kernargumente auf.

Durch den Krieg in der Ukraine tritt die sozial-ökologische Langzeitkrise in der öffentlichen Debatte in den Hintergrund. Verschwunden ist sie dadurch nicht. Tödlichen Überschwemmungen in Pakistan, Waldbrände in Spanien und Portugal sowie die Rekord-Dürre in China stellten das heuer eindrücklich unter Beweis. Die Klimakatastrophe wirkt gar als „Brandbeschleuniger“ sozialer, ökologischer und ökonomischer Krisen weltweit sowie als Treiber kriegerischer Auseinandersetzungen. Warum finden wir dennoch nicht einmal innerhalb der gesellschaftlichen Linken gemeinsame Antworten auf die fossile Energiekrise, welche dem Ziel globaler Solidarität gerecht werden?

National beschränkte Solidarität

Grund dafür ist, laut Alexander Behr, der „methodische Nationalismus“. Die Vorstellung von Solidarität bleibe auch bei denen, für die Solidarität einen zentralen Grundpfeiler ihrer politischen Praxis darstellt, national beschränkt. So versäumte die Sozialdemokratie historisch „ein inter- oder besser antinationalistisches Bewusstsein von Solidarität zu fördern und zu entwickeln“. Folglich vertreten SPÖ und Gewerkschaften oftmals einen „exklusiven Begriff von Solidarität“. Anstatt einen global gerechten, sozial-ökologischen Umbau voranzutreiben, verteidigen sie die das exklusive Wohlstandsmodell der wachstumsorientierten Konsumgesellschaft. Die sozialen Folgen der Klimazerstörung und neokoloniale Praktiken der Ressourcenausbeutung nehmen sie billigend in Kauf, wenn sie die vorherrschende Lebensweise verteidigen.

Ein solcher exklusiver Solidaritätsbegriff legt in Hinblick auf fossile Infrastrukturprojekte, wie die Lobau-Autobahn, den Grundstein für einen „nationalen Schulterschluss“. SPÖ, ÖVP und FPÖ setzen sich gemeinsam für ein nicht nur antisoziales und klimaschädliches, sondern auch „kostspieliges Autobahnprojekt [ein], das die Profitinteressen der Bauindustrie bedient und die Mobilitätswende verhindert“. 

Banner auf Demonstration gegen Lobau-Autobahn
Foto: Banner auf Demonstration gegen Lobau-Autobahn. (c) System Change not Climate Change

Mosaik-Linke als transformatorische Kraft

Eine sozial-ökologische Transformation und die Überwindung der imperialen Lebensweise erfordern laut Behr die Hinwendung zu Solidarität im Sinne einer „Parteinahme für die Unterdrückten, Marginalisierten und Entrechteten, und zwar weltweit“. Um eine solche globale Solidarität Praxis werden zu lassen, brauche es innerhalb der Linken eine strategische Orientierung am Projekt einer Mosaik-Linken. Der Begriff wurde von IG-Metall-Vorstand Hans-Jürgen Urban geprägt. Er brachte ihn schon 2009 in die Debatte um die Reaktion auf die globale Finanz- und Wirtschaftskrise ein.

Gemeint ist damit eine innerlinke Arbeitsteilung, sowohl über einzelne Themenfelder als auch über gesellschaftliche Ebenen hinweg. „Basisbewegungen, Zivilgesellschaft und NGOs, Gewerkschaften, fortschrittliche religiöse Communities, Journalist*innen, Kulturschaffende, Aktive an Universitäten und in progressiven Parteien können Synergien entwickeln und verlässliche Austausch- und Aktionsstrukturen schaffen“. Notwendig sei das, um die spezifischen Zugänge zu unterschiedlichen Milieus zu nutzen. Und um Bewegungserfolge auch im institutionellen Gefüge festzuschreiben und dadurch zu verstetigen. Kurzum: Es braucht eine schlagkräftige Mosaik-Linke, um dem Projekt globaler Solidarität den nötigen Rückhalt zu geben.

Ukraine-Konflikt als Kristallisationspunkt

Wie notwendig das Handeln einer pluralen linken Bewegung aktuell wäre, veranschaulicht Behr durch Schilderungen einer journalistischen Reise in die ukrainischen Karpaten. Diese unternahm er einen Monat nach Ausbruch des Krieges. Behr berichtet von der internationalen zivilgesellschaftlichen Solidaritätsarbeit zur Verteilung von Hilfsgütern und zur Unterstützung Geflüchteter. Aber auch von einem Gespräch mit Iryna Stavchuk, stellvertretende ukrainische Ministerin für Umweltschutz und natürliche Ressourcen. Mit ihr sprach er über den Zusammenhang von Krieg und Klimakrise. Sie erzählt, wie die globale Waffenproduktion sowohl die Klimakrise zuspitzt als auch Mittel bindet, die für den sozial-ökologischen Umbau nötig sind. Nur durch eine entschlossene Energiewende, so das Fazit des Gesprächs, ließen sich zwei drängende Probleme gemeinsam angehen: „die Klimakrise und die Abhängigkeit von Ländern wie Russland“.

Im Ukraine-Konflikt und der damit verknüpften Energiekrise laufen diverse Krisendynamiken zusammen. Der österreichischen Linken gelingt es bisher jedoch nicht, sich auf ganzheitliche Handlungsperspektiven im Sinne globaler Solidarität zu verständigen und Synergien zu nutzen. Vom sozialdemokratischen Spektrum wird die Ausweitung fossiler Subventionen und Infrastrukturen eingefordert. Energie- und Mobilitätswende bleiben indes in der Bundes- und Landespolitik weitestgehend auf der Strecke. Derweil mangelt es dem sozial-ökologischen Spektrum der Bewegungslinken an einer ausreichend breiten gesellschaftlichen Verankerung, um es mit fossilen Interessen aufnehmen zu können. In der öffentlichen Debatte werden folglich weiterhin nationale soziale Belange gegen globale soziale Krisen ausgespielt. Es bleibt noch einiges zu tun, um die Perspektive der globalen Solidarität zu verallgemeinern und in eine koordinierte politische Praxis zu überführen. Doch: „Wir haben nicht mehr viel Zeit!“

Auf anschauliche Weise führt Alexander Behr durch die Geschichte der imperialen Lebensweise. Er erläutert Strukturzusammenhänge und geht auf zentrale Begriffe ein. Besonders packend sind seine Schilderungen zur Bewegungsgeschichte, die durch Einblicke in solidarische Praxen der Gegenwart ergänzt werden. Das Buch ist ein Plädoyer für das transformatorische Potential einer Mosaik-Linken. Sie erscheint als das maßgebende kollektive Subjekt im Kampf für mehr globale Solidarität.

Autor

  • Mathias Krams

    Mathias Krams arbeitet am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und forscht zu Strategien nachhaltiger städtischer Verkehrspolitik auf EU-Ebene.

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