Wir leben auf Kosten anderer. Die Art wie wir produzieren, konsumieren und uns fortbewegen ist nur möglich, weil wir auf die Natur und Arbeitskräfte ärmerer Weltgegenden zurückgreifen. Diese „imperiale Lebensweise“ kann nicht ewig weitergehen. Aber wie kommen wir da raus? Ein Anstoß von Ulrich Brand.
Vor einigen Wochen erklärte der Präsident der Industriellenvereinigung, Georg Kapsch in einem Interview: „Wir müssen bestimmte Projekte durchboxen können. Da geht es nicht um eine Aushebelung des Umweltschutzes, sondern um eine Beschleunigung von Verfahren. Und darum, dass Arbeitsplätze und Wettbewerbsfähigkeit irgendwo berücksichtigt werden.“ Er meinte damit Großprojekte wie die dritte Piste am Flughafen Wien-Schwechat oder den Lobautunnel.
Wirtschaft vs. Umwelt
Abgesehen von der Augenauswischerei, dass es „nicht um eine Aushebelung des Umweltschutzes“ gehe (um was denn sonst!?): Der oberste Industrielle des Landes vertritt hier nicht nur die Interessen seiner Verbandsmitglieder, sondern drückt einen weitgehend akzeptierten Konsens in dieser Gesellschaft aus. Das „Wirtschaftliche“ und damit „die Arbeitsplätze“ sind wichtiger als „die Umwelt“.
Aktuell spitzt sich die Frage des Verhältnisses von „Wirtschaft“ und „Umwelt“ nicht nur in der Auseinandersetzung um die dritte Piste zu, sondern auch in der geplanten Verfassungsänderung. Damit umweltschädliche Großprojekte künftig „durchgeboxt“ werden können, soll das Staatsziel eines „wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandorts“ in der Verfassung festgeschrieben werden.
Dilemma für die Linke
Die Entgegensetzung von „Arbeitsplätzen“ und „Umweltschutz“ ist aber auch ein Dilemma für emanzipatorische, linke Politik. Jedenfalls für eine Linke, die nicht nur in sozialdemokratischer Tradition möglichst viel vom kapitalistisch produzierten Kuchen verteilen will, sondern die ganze Bäckerei und ihre Besitzverhältnisse verändern möchte. Die also das Ziel eines guten Lebens für alle verfolgt.
Damit ein gutes Leben für alle erreicht werden kann, braucht es zumindest dreierlei. Erstens müssen die Vermögenden und Mächtigen in den reichsten Ländern Vermögen und Macht abgeben. Zweitens darf dasgute Leben nicht nur StaatsbürgerInnen einzelner Länder vorbehalten bleiben. Und drittens geht es um eine tiefgreifende Veränderung der ökologisch unhaltbaren Lebensweise.
Imperiale Lebensweise
Mit dem Konzept der „imperialen Lebensweise“ haben Markus Wissen und ich versucht, dieses politische Dilemma begrifflich zu schärfen. Im Kern besagt der Begriff, dass die Menschen (vor allem im globalen Norden) in ihrem Alltag systematisch auf die billige Arbeitskraft und Natur der Welt zurückgreifen, um sich selbst zu reproduzieren.
Die imperiale Lebensweise ermöglicht, sich auf eine bestimmte Art und Weise fortzubewegen, zu kommunizieren, zu essen und sich zu kleiden. Diese Handlungen sind Teil unseres Alltags, sie haben sich zu Routinen verfestigt und werden meist unbewusst vollzogen. Dabei gibt es natürlich große Unterschiede, die vor allem vom Einkommen abhängen. Aber insgesamt leben die allermeisten Menschen hierzulande auf Kosten der Natur und der Arbeitskräfte anderer Regionen in Europa und im globalen Süden.
Rechte Strategie
Die meisten von uns haben eine diffuse Ahnung, dass diese Lebensweise unhaltbar ist. Sie kann nicht ewig so weitergehen, ohne die Lebensgrundlagen der Menschen insgesamt zu untergraben. Trotzdem gibt es von der Linken kaum Angebote, wie mit dieser Tatsache umzugehen ist.
Die politische Rechte hat dagegen eine Antwort: Sie verspricht das Unmögliche, behauptet, dass es mittels Abschottung, aggressiv-nationalistischer Wirtschaftspolitik und Neokolonialismus doch so weitergehen könne wie bisher.
Gegen-Hegemonie?
Was also tun? Armin Thurnher umriss im November letzten Jahres im „Falter“ (Ausgaben 46 und 47), wie die Rechte in Österreich in den letzten Jahrzehnten die Hegemonie errang. Sie hätte mit dem Neoliberalismus ein mehr oder weniger konsistentes Projekt formuliert und sei, so Thurnher „mithilfe zahlloser rechter Thinktanks im Westen, hegemonial geworden. Die Linke hat bei uns nicht in Thinktanks investiert, sondern in Krone, in Heute und in Österreich.“
Thurnher kritisiert hier vor allem die SPÖ und ihr Anbiedern an Boulevardmedien. Zudem wirft er SPÖ-Chef Christian Kern vor, dass er links und rechts nicht mehr als politisch taugliche Begriffe sieht: „Dass links negativ besetzt ist, sollte als Ergebnis eines verlorenen Hegemoniekampfs erkannt werden und nicht zu dem Trugschluss führen, dass man sich nicht mehr zu links bekennen sollte. … Die Sozialdemokratie hat das Problem, dass zu viele ihrer Exponenten eine Grenze verwischten. Sie umarmten den rechten, neoliberalen Mainstream und wurden nicht mehr als Teil der Linken, sondern als Teil der Wirtschaftseliten empfunden. Solange sie ihre Leute nicht so rekrutiert, dass dieser Verdacht gar nicht erst entsteht, braucht sie den Kampf um die Hegemonie gar nicht aufzunehmen.“
Alternatives Projekt
Ein Angriff auf die sich aktuell verfestigende rechte Hegemonie bedarf eines alternativen Projekts, das Freiheit für alle (und nicht nur für die Mächtigen und Gutverdienenden), Solidarität, Gerechtigkeit und den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen sichert. Solch ein Projekt wird aktuell in Österreich nur von einer Minderheit gewünscht und von noch weniger Menschen vorangetrieben. Dennoch sollte es mittelfristig entwickelt und angestrebt werden.
Ein solches alternatives Projekt muss sich der Herausforderung der imperialen Lebensweise stellen. Das bedeutet, das exportgetriebene Wachstumsmodell in Österreich herauszufordern. Dieses Modell schafft zwar materiellen Wohlstand für relevante Teile der Bevölkerung, doch der Preis dafür ist hoch. Es produziert absurden Reichtum der Eliten und die Abhängigkeit von Investitionsentscheidungen, die am kapitalistischen Weltmarkt getroffen werden. Und es produziert soziale Ausschlüsse und ökologische Zerstörung. Umweltschutz ist für dieses Modell eine Barriere, die überwunden werden muss – notfalls eben durch „durchboxen“.
Wer hat was zu gewinnen?
Viele Lohnabhängige im globalen Norden haben materiell durchaus etwas zu verlieren, wenn diese Lebensweise in Frage gestellt wird. Zugleich haben sie von einem Umbau hin zu einer solidarischen Produktions- und Lebensweise aber auch vieles zu gewinnen: Bessere und stabilere Lebensbedingungen, mehr Selbstbestimmung, die Überwindung der alltäglichen Zumutungen durch die Launen von Chefs und Investoren und ein erfülltes Leben statt Fixierung auf Disziplin, Erwerbsarbeit und Konsumismus.
Die aktuelle Teilhabe vieler Menschen am materiellen Wohlstand findet unter den falschen Bedingungen statt; sie können die Gesellschaft nämlich kaum mitgestalten.
Konkrete Konflikte
Um Alternativen aufzuzeigen, müssen wir Konflikte ausfechten, in denen der Widerspruch zwischen einer imperialen und einer solidarischen Lebensweise deutlich wird. Es geht eben nicht nur um den Bau einer dritten Flughafenpiste oder eines Tunnels unter dem Nationalpark Lobau. Es geht darum, wie in dieser Gesellschaft künftig Mobilität gelebt wird. Können wir uns eine Infrastruktur leisten, die noch mehr Auto- und Flugverkehr nach sich zieht? Welche Alternativen gibt es, die etwa preisgünstigen und sicheren, komfortablen und schnellen öffentlichen Verkehr ermöglichen?
Das mag mit dem Blick aufs Ganze nicht so viel scheinen. Doch es sind gerade diese konkreten Konflikte, die dazu beitragen können, dass grundlegende Änderungen überhaupt wieder auf die Agenda kommen. Um die imperiale Lebensweise zu überwinden, müssen viele gesellschaftliche AkteurInnen an ihren Beitrag dazu glauben und sich auf den Weg machen.
Ulrich Brand arbeitet an der Universität Wien und ist Redakteur von mosaik. Sein gemeinsam mit Markus Wissen verfasstes Buch „Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur in Zeiten des globalen Kapitalismus“ ist 2017 im Verlag oekom erschienen.