7 Gründe, warum neue Autobahnen antisozial sind

Sind wir mal ehrlich: Manche Menschen würden sich durch die Lobau-Autobahn etwas Zeit sparen. Doch viele mehr wären durch das Projekt negativ betroffen. Und zwar nicht nur, weil neue Autobahnen die Klimakatastrophe weiter anheizen. Mathias Krams mit sieben Gründen, warum der Neubau von Autobahnen antisozial ist.

Über 220 Menschen starben Anfang Juli bei den Hochwassern in Mittel- und Westeuropa. Waldbrände zerstören weite Landstriche auf der ganzen Welt und immer mehr Menschen leiden unter unerträglichen Hitzewellen. All das ist nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was uns in den nächsten Jahrzehnten noch bevorsteht. Nimmt die Gesellschaft den Klimaschutz nicht endlich ernst, könnte das bis Ende des Jahrhunderts global 83 Millionen Menschen das Leben kosten.

In Österreich ist und bleibt die größte Herausforderung für das Einhalten der entscheidenden 1,5-Grad-Grenze der Verkehrssektor. Doch mit der Lobau-Autobahn und der Stadtautobahn-Aspern sollen in Wien-Donaustadt gleich zwei neue Autobahnprojekte realisiert werden. Zur Lösung von Mobilitätsproblemen tragen sie laut Meinung von Wissenschaftler:innen nicht bei und CO2-Emissionen würden durch sie weiter steigen. Diese Autobahnen sind antisozial – und zwar nicht nur, weil sie über die Verschärfung der Klimakrise tödlich sind. Hier sieben Gründe, warum es Ungleichheiten verschärft, jetzt 3 Milliarden Euro in neue Autobahnen zu investieren:

1) Besitz von Privatautos ungleich verteilt

Die Kosten für privaten Autobesitz werden oft unterschätzt. In Österreich belaufen sie sich im Durchschnitt auf 682 Euro im Monat – und das ohne die gesellschaftlichen, steuerfinanzierten Folgekosten durch Klima- und Umweltzerstörung sowie Gesundheitsbelastung einzukalkulieren.

Es ist dennoch ein Preis, den sich viele Haushalte mit niedrigem Einkommen nicht leisten können. Die Abhängigkeit vom Auto aufgrund von mangelndem Öffi-Angebot stellt für viele eine finanzielle Belastung dar. Die Bevorzugung von Schnellstraßenbau gegenüber dem flächendeckenden Ausbau von Öffis und Sharing-Angeboten droht daher die Mobilitätsbedürfnisse von ärmeren Haushalten zu vernachlässigen.

2) Ungleiche Gesundheitsbelastung durch Autoverkehr

Haushalte mit niedrigem Einkommen sind Lärm und Luftverschmutzung, und damit den Gesundheitsbelastungen durch Autoverkehr, besonders stark ausgesetzt. Denn bezahlbare Wohnungen liegen oft an vielbefahrenen Straßen.

Eine soziale Verkehrspolitik zielt darauf ab, die Verkehrsbelastung für alle möglichst stark zu reduzieren. Es ist hingegen keine soziale Politik, Verkehr an manchen Orten zu reduzieren und gleichzeitig mehr Verkehr an anderen Orten (etwa Hirschstetten, wo Vorarbeiten für die Stadtautobahn-Aspern laufen) zu erkaufen.

3) Ungleiche Verteilung von Straßenraum gefährdet vulnerable Verkehrsteilnehmer:innen

Zwar ist die Zahl der Verkehrstoten und -verletzten insgesamt rückläufig, bei Radfahrer:innen gab es zuletzt jedoch einen deutlichen Anstieg. Allein im ersten Quartal 2021 kamen österreichweit 893 Radfahrer:innen zu Schaden – die höchste Zahl seit 30 Jahren. In Wien werden zwar 73 Prozent der Wege autofrei zurückgelegt. Zur Verfügung stehen dafür allerdings nur rund 33 Prozent der Verkehrsflächen. Radwegen wird sogar nur 1 Prozent der Fläche zugestanden.

Für das Ziel „Null Verkehrstote“ muss der urbane Straßenraum endlich gerecht umverteilt und Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit – wie etwa in Paris und allen spanischen Städten – eingeführt werden. Nur so können besonders gefährdete Verkehrsteilnehmer:innen wie Fußgänger:innen, Radfahrer:innen und Kinder effektiv geschützt werden. Der Neubau von Autobahnen bewirkt hingegen genau das Gegenteil und zieht noch mehr Autoverkehr in die Stadt.

4) Investitionen in Autobahnen kosten Arbeitsplätze

Sowohl Arbeiter- als auch Wirtschaftskammer warnen vor einem Baustopp der Lobauautobahn, da dadurch Arbeitsplätze gefährdet würden. Mit ihrer Milchbubenrechnung offenbaren die Sozialpartner:innen jedoch, dass ihnen die Interessen der Straßenbau- und Autoindustrie wichtiger sind, als nachhaltige Arbeitsplätze.

Denn der maschinenintensive Autobahnbau schafft kaum Jobs. Deutlich höher liegt die Beschäftigungsquote und damit die Anzahl der Stellen bei gleich hohen Investitionen in Schienen- und Radinfrastruktur oder gar in Schulen und Krankenhäuser. Das sind Infrastrukturen, die in der aktuellen Krise gesellschaftlich nützlicher wären, als zusätzliche teure Autobahnkilometer.

5) Bau von Autobahnen ist globaler Konflikttreiber

Der Neubau von Autobahnen führt zu mehr Autonutzung und damit auch zu mehr Kauf von Privatautos – induzierter Verkehr nennt sich dieses Phänomen. Dabei ist das Auto ein höchst ineffizientes Transportmittel. Sein Besetzungsgrad liegt im Schnitt lediglich bei 1,15 Personen, 97 Prozent der Zeit blockiert es parkend öffentlichen Raum.

Dadurch ist der Ressourcenverbrauch eines Autos im Verhältnis zur dadurch gewonnenen Mobilität enorm. Auch der Umstieg auf E-Autos ändert daran nichts, sondern verschärft vielerorts die Konflikte um Ressourcenförderung und damit verknüpfte Naturzerstörung und Menschenrechtsverletzungen.

6) Klimakrise als Gerechtigkeitskrise

Der Neubau von Autobahnen heizt die Klimakatastrophe weiter an. Allein die Lobauautobahn führt jährlich zu 100.000 Tonnen zusätzlichem CO2-Ausstoß. Projektbefürworter:innen rechnen sich die Klimabilanz mit Begleitmaßnahmen wie Öffi-Ausbau und Parkraumbewirtschaftung schön. Das sind jedoch Maßnahmen, die auch ohne neue Autobahnen umgesetzt würden.

Die Klimakrise ist eine Gerechtigkeitskrise, da sie global diejenigen am stärksten trifft, die am wenigsten dazu beigetragen haben. Aber auch in Europa sind Haushalte mit niedrigerem Einkommen von Folgen der Klimakatastrophe wie Hitzesommern und Überflutungen überproportional betroffen.

7) Hauptprofiteure von Autobahnen sind Männer

Wer Autobahnbau bevorzugt, verfestigt ein patriarchales Verkehrssystem. Denn Autobahnen werden überproportional von Männern genutzt, was auch einen wesentlichen Grund für ihren stärkeren Beitrag zur Klimazerstörung darstellt.

Umgekehrt sind Frauen aufgrund von Geschlechterrollen von den Folgen der Klimazerstörung verstärkt betroffen. Eine feministische Verkehrsplanung setzt daher auf Investitionen in autofreie, inklusive und sichere Infrastruktur, die allen zugutekommt und die Klimakatastrophe eindämmt.

Verkehrspolitik ist nur dann wirklich sozial, wenn sie gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse in den Blick nimmt und Ungleichheiten entgegenwirkt, anstatt sie weiter zu verschärfen. Dass sozialdemokratische Verkehrspolitik nicht gleich Autopolitik sein muss, demonstrieren Städte wie Paris, Kopenhagen oder Barcelona.

Und auch die deutsche Friedrich-Ebert-Stiftung hat Leitlinien für eine sozialdemokratische Verkehrspolitik vorgelegt, die diesem Anspruch gerecht werden. Hier lautet das zentrale Motto: “Indem wir die Schwächsten in den Mittelpunkt stellen und ihre Bedürfnisse voll befriedigen, schaffen wir automatisch ein vollwertiges Angebot für alle”. Die Überwindung der Autoabhängigkeit muss daher für eine soziale Verkehrspolitik oberste Priorität haben.

Da diese Einsicht noch nicht bis in die Regierungskreise in Wien und im Bund durchgesickert ist, mobilisiert Fridays for Future heute, 27. August 2021 zu einer Demonstration gegen den Baubeginn der Stadtautobahn-Aspern. Anschließend gibt es ein gemeinsames Protestcamp von Anwohner:innen sowie Mobilitätswende- und Klimaaktivist:innen im Ortskern von Hirschstetten.

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