„Es gibt in Europa wenig Interesse, sich mit Islamophobie auseinanderzusetzen.“ Farid Hafez im Interview

Der Politikwissenschaftler Farid Hafez gilt als Österreichs Pionier der Islamophobie-Forschung – und als politisch umstritten. Soeben ist die dritte Ausgabe des jährlichen „European Islamophobia Report“ erschienen. Darin wird die Zunahme von Rassismus gegen MuslimInnen in ganz Europa dokumentiert. Herausgegeben wird der Bericht von Farid Hafez und Enes Baraklı, veröffentlicht und finanziert von der SETA-Stiftung in Ankara, die als AKP-nahe gilt. Wir sprachen mit ihm über die vielen Facetten von Rassismus gegen MuslimInnen, die Verunsicherung in der türkischen Community in Österreich und seine umstrittene Entscheidung, mit SETA zusammenzuarbeiten.

 

Soeben ist der dritte European Islamophobia Report erschienen, mit Länderberichten aus 33 europäischen Ländern, über 700 Seiten dick. Was ist das Ziel dieser Zusammenstellung? Was wollt ihr damit erreichen, wer soll das lesen?

Islamophobie wird in Europa als Problem meist gar nicht anerkannt. Deshalb habe ich gemeinsam mit Enes Bayraklı begonnen, einen großen Bericht zu Islamophobie in ganz Europa zu produzieren.

Erstens wollten wir Daten zusammentragen, damit der antimuslimische Rassismus in Europa nicht mehr geleugnet werden kann. Und zweitens wollten wir antirassistischen Initiativen vor Ort ein Rüstzeug geben, um ihre Argumente zu stärken und in verschiedenen Lebensbereich gegen diese Form des Rassismus vorgehen zu können.

Am Ende jedes Berichts stehen Handlungsempfehlungen, die sich an Zivilgesellschaft und politische Entscheidungsträger richten. Für sie ist die Veröffentlichung hauptsächlich gedacht. Aber auch für alle, die sich kritisch mit diesem Thema auseinandersetzen.

Im Länderbericht zu Österreich, den du verfasst hast, ist von 256 islamophoben Vorfälle im Jahr 2017 die Rede. Wie kommst du auf diese Zahl? Ist das im Vergleich zu anderen Ländern viel oder wenig?

Es handelt sich um einen qualitativen Report, nicht um einen quantitativen. Die nackten Zahlen sind daher wenig aussagekräftig. Die Zahl 256 gibt nur jene Fälle an, die ich in diesem Bericht erarbeitet habe, ergänzt durch die Daten, die von Antidiskriminierungsstellen in Österreich gesammelt wurden.

Wir wissen aber durch eine Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, dass nur zwölf Prozent der MuslimInnen, die von Diskriminierung betroffen sind, diese auch melden. Die Dunkelziffer ist also weit höher.

In Deutschland werden islamophobe Straftaten seit 1.Januar 2017 von der Polizei gesondert erfasst. Wäre das ein Mittel, um in Österreich realistischere Zahlen zu erhalten?

Ja, aber gleichzeitig müsste das mit einer Sensibilisierung des Polizeiapparats einhergehen. Denn wir hören von vielen Fällen, wo vor allem muslimische Frauen Diskriminierungserfahrungen melden wollen, von der Polizei aber nicht ernst genommen werden.

In deinem Bericht zu Österreich werden etwa eine Attacke auf ein muslimisches Kindergartenkind, ein Interview, das der Standard mit einer „Islamkritikerin“ geführt hat, und das schwarz-blaue Regierungsprogramm genannt. Das sind sehr unterschiedliche Dinge. Was bringt es, sie unter dem Begriff „Islamophobie“ zusammenzufassen? Was haben sie gemeinsam?

Wir verstehen Islamophobie als antimuslimischen Rassismus. Das heißt, dass eine dominante Gruppe Islamophobie einsetzt, um ihre Machtressourcen zu akkumulieren, zu stabilisieren und auszuweiten. Es geht also um einen strukturellen Rassismus. Deshalb versuchen wir, möglichst viele Lebensbereiche abzudecken: Medien, Politik, Bildung, Justizwesen und so weiter. Damit wollen wir einen Überblick geben, wie weitreichend das Problem der Islamophobie ist.

Nehmen wir ein konkretes Beispiel: Die aktuelle Debatte um ein mögliches Kopftuchverbot für Kindergartenkinder und Schülerinnen. Sie hat ihren Ausgang in einem medialen Diskurs, der von der sogenannten Kindergartenstudie angestoßen wurde, die wiederum von einer bestimmten Partei mit einer bestimmten Agenda, nämlich der ÖVP unter Sebastian Kurz, in Auftrag gegeben wurde.

In diesem Fall wissen wir durch die Berichterstattung des Falter, dass die Ergebnisse dieser Studie beeinflusst wurden, damit sie besser in die politische Strategie passen. Dann wurden sogenannte „IslamkritikerInnen“ eingeflogen, die in Interviews mit Tageszeitungen die Politik der Kopftuchverbote unterstützten. Am Ende mündet das in einen hegemonialen Diskurs, in dem VertreterInnen aller politischer Parteien plötzlich für ein Kopftuchverbot sind. Das ist hegemonialer Rassismus.

Du kommst in deinem Bericht zum Schluss, dass mit der schwarz-blauen Bundesregierung die Islamophobie noch bestärkt wird. Was befürchtest du hier konkret?

Grundsätzlich wird im Regierungsprogramm so getan, als wäre der Islam das größte Problem unserer Gesellschaft, während Rechtsextremismus und Faschismus nicht mal erwähnt werden. Dazu wird der Begriff des „politischen Islam“ eingeführt, der extrem schwammig verwendet wird. Er kann so alle MuslimInnen, die sich politisch äußern, treffen.

Konkret hat die Regierung zum Beispiel angekündigt, das ohnehin schon diskriminierende Islamgesetz noch weiter zu verschärfen. Das Innenministerium will anscheinend auch regelmäßige Berichte über den Fortschritt der Verbreitung der Scharia anfertigen, was immer das dann genau heißen mag. Das erinnert stark an die Anti-Scharia-Kampagnen etwa der rechten Tea Party in den USA.

Du verweist in deinem Länderbericht auf eine bemerkenswerte Zahl: Bei Menschen mit „türkischem Migrationshintergrund“ sinkt der Anteil jener, die sich Österreich emotional zugehörig fühlen. 2016 waren es noch 51 Prozent, 2017 nur noch 42 Prozent der Befragten. Woran liegt das deiner Meinung nach?

In der türkischen Community gibt es eine große Verunsicherung, weil TürkInnen in österreichischen Medien laufend attackiert werden. Zuletzt wurde das auch durch die Initiativen gegen Doppelstaatsbürgerschaften gefördert.

Türkischstämmige Menschen fühlen sich von Islamophobie besonders betroffen, die in Österreich oft auch noch eine Türkei-spezifische Färbung hat.

Hat nicht auch die Politik der AKP ihren Anteil daran? Erdoğan versteht die türkische Diaspora in Europa als Teil seiner sozialen Basis, hat immer wieder Wahlkampf-Auftritte in Deutschland und Österreich absolviert.

Natürlich hat auch die türkische Politik hier einen gewissen Einfluss. Und natürlich kann und soll man aber auch politische Regime und Parteien kritisieren, die sich als islamisch verstehen und damit auch Teil des Diskurses um Islamophobie werden.

Aber entscheidend ist, wie diese Politik hier aufgenommen wird. Wie kommt das hier an? Es sind die österreichischen Medien, die hier die Agenda setzen, die bestimmen, was hier zum Thema gemacht wird und was nicht.

Es kommt darauf an, wie man das thematisieren will. Die FPÖ macht auch in Serbien Wahlkampf, Wiens Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou wäre fast mal Ministerin einer Regierung in Griechenland geworden. Viele Menschen mit türkischem Hintergrund haben das Gefühl, dass hier mit unterschiedlichem Maß gemessen wird.

Das bringt uns zum Hintergrund des European Islamophobia Reports selbst. Er wird von SETA herausgegeben und finanziert. SETA ist ein türkischer Think Tank, der als AKP-nahe gilt. SETA-Direktor Burhanettin Duran, der auch das Vorwort für euren Report beisteuert, ist bekannt als Unterstützer Erdoğans. Dein Mitherausgeber, Enes Bayraklı, ist Mitarbeiter von SETA und verteidigt ebenfalls öffentlich Erdoğans Politik. Kannst du nachvollziehen, wenn Leute dann sagen: Dieser Report ist Teil einer internationalen Propaganda-Kampagne der türkischen Regierung?

Ich kann das nicht nachvollziehen, weil ich weiß, wie der Report zustande gekommen ist. Es war nicht die Initiative von SETA, sondern meine Initiative. Enes Bayraklı arbeitet für SETA, das ist auch der Grund, warum wir diese Unterstützung überhaupt bekommen haben. Da steckt also keine Strategie eines türkischen Think-Tanks dahinter. Dass der Report der türkischen Außenpolitik helfen kann, wenn sie das Thema wichtig nimmt, steht natürlich außer Zweifel. Das gilt auch für jedes europäische Land, sollte es Interesse an der Bekämpfung von anti-muslimischem Rassismus haben.

Ich habe selbst schon für viele Think-Tanks, Medien und Verlage gearbeitet. Selten hatte ich so vollständige Freiheit wie bei der Erstellung dieses Reports. Es gab nie eine Intervention oder den Versuch, inhaltlich Einfluss zu nehmen. Die gesamte Organisation des Reports war unsere Sache. Die Auswahl der AutorInnen lief über einen offenen Call for Contributions, die Auswahl wurde nur durch mich und Enes Bayraklı vorgenommen und basierte rein auf sachlichen Kriterien.

Ich habe die Befürchtung, dass SETA als Vorwand genommen wird, um die inhaltliche Arbeit des Reports nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen.

Warum macht ihr die Arbeit dann nicht mit einer anderen, weniger umstrittenen Institution?

Zu mir sind schon oft Leute gekommen, die meinten, sie hätten ein Problem damit, dass SETA den Report fördert und fänden es besser, wenn eine andere Institution ihn herausgeben würde. Darauf sage ich: Finde mal eine Institution, die einen solchen Report in diesem Umfang jedes Jahr unterstützt! Als wir begonnen haben, habe ich unterschiedliche Stellen angefragt, in Deutschland und anderen europäischen Ländern. Es gab nur Absagen.

Vor zehn Jahren habe ich gesagt: Wenn Politiker in muslimischen Ländern über Islamophobie sprechen, ist das ungefähr so hilfreich, wie wenn israelische Politiker über Antisemitismus sprechen. Ich war davon ausgegangen, dass die Bekämpfung von Islamophobie primär innerhalb der Grenzen der jeweiligen Länder stattzufinden hat. Inzwischen hat sich die Situation in Europa aber drastisch verschlechtert. Es gibt in Europa wenig Interesse, sich mit Islamophobie auseinanderzusetzen. Deshalb gehe ich diese Kooperation sehr gerne ein.

Natürlich ist es Teil des Problems, dass es in Europa keine Gelder und keine Infrastruktur für diese Forschung gibt. Das weiß ich, seit ich zu diesem Thema arbeite. Obwohl man mich in der Öffentlichkeit durch die Forschung zu Islamophobie kennt, war das für mich immer ein Hobby. In meinem Hauptberuf als Politikwissenschaftler habe ich mich immer mit anderen Dingen beschäftigt. Warum? Weil es für Islamophobieforschung in Europa kein Geld gibt. Die Stelle, an der ich jetzt beschäftigt bin, und die es mir erlaubt, mich mit dem Thema zu befassen, ist an der Georgetown University. Also in den Vereinigten Staaten, nicht in Europa.

Auch du selbst wurdest in Medien als AKP-Unterstützer, Freund der Muslimbruderschaft oder Vertreter des politischen Islam bezeichnet. Wie reagierst du darauf?

Ich habe darauf nie reagiert, weil ich es als haltlos betrachte. Dieser Vorwurf ist für mich eine Strategie, die eingesetzt wird, um muslimische Akteure in der Zivilgesellschaft auszugrenzen und solche Akteure zu befördern, die repressive Islampolitiken unterstützen. Akteure werden dann so benannt, wenn sie jemanden in Frage stellen oder kritisieren. Das kann man am Beispiel des Islamgesetzes in Österreich gut sehen. Da wurden jene, die die ÖVP um Sebastian Kurz kritisiert haben, in diese Ecke gestellt.

Ich wüsste auch nicht, wie man das diskutieren sollte. Denn der Vorwurf lautet ja nie: Der oder der ist Muslimbruder. Denn das müssten sie dann beweisen, und das können sie nicht. Sondern man sagt: Der kennt jemanden aus dem Umfeld von jemandem, der jemanden kennt. Das lässt sich aber nicht diskutieren. Deshalb finde ich das haltlos und will mich damit auch nicht auseinandersetzen.

Interview: Benjamin Opratko

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