Von wegen Vielfalt: So ungleich sind Österreichs Theater

Theater sollten Orte der Vielfalt sein. Doch wie sieht die Praxis an Österreichs Bühnen aus, wenn es um Männer und Frauen geht? Bérénice Hebenstreit und Michael Isenberg werten die vergangene Theatersaison aus und kommen zu einem ernüchternden Ergebnis.

Der Frühling ist da und die Theatersaison 2017/18 geht zu Ende. Die großen Theater präsentieren demnächst ihre Pläne für die kommende Spielzeit. Viel ist im vergangenen Jahr passiert. Es wurde über Machtverhältnisse im Theater gestritten, Initiativen gegründet und über Geschlechterstereotype diskutiert. Kürzlich sorgte die Regisseurin Anna Bergmann für Aufsehen: Als neue Schauspieldirektorin in Karlsruhe plant sie einen Spielplan mit 100 Prozent Regisseurinnen-Quote.

Es kommt vor, dass an einem Theater in einer Saison keine einzige Frau inszeniert oder keine Autorin gespielt wird. Selten führt das zu Diskussionen. Doch Bergmanns Entscheidung stößt auf teils heftige Gegenreaktionen. Spricht eine Künstlerin von Quote, wird sie immer wieder verdächtigt, nur einen Job zu wollen, für den sie nicht das nötige Talent hat. Persönliche Qualifikation und gleichberechtigte Repräsentanz werden hier vermischt. Hinter der Angst, mit der Quote würden sich schlechtere Künstlerinnen durchsetzen, versteckt sich weiterhin die sexistische Vorstellung, dass künstlerisches Genie doch eher etwas Männliches ist.

Fehlende Zahlen in Österreich

In einer deutschen Studie von 2016 wurde nachgewiesen, dass rund 70 Prozent der Inszenierungen von Männern sind. Nur 22 Prozent der Theater werden von Frauen geleitet. Im Niedriglohnbereich, etwa bei Souffleusen, ist dieses Verhältnis genau umgekehrt. Für Österreich fehlen bisher vergleichbare Zahlen. Eine Studie der Statistik Austria von 2015/16 geht von gleich etwa vielen Männern und Frauen in künstlerischen Berufen an Privat-, Bundes- und Stadttheatern aus. Sie macht dabei aber keinen Unterschied, ob es sich etwa um die künstlerische Leitung oder Regieassistenz handelt.

Wir haben uns deshalb selbst darangemacht, die Spielzeitbücher der ausklingenden Saison unter die Lupe zu nehmen. Wie sehen die aktuellen Geschlechterverhältnisse an den großen Bühnen des Landes aus? Wer leitet sie? Wer inszeniert? Und wessen Texte werden gespielt? Präsentiert wurden die Ergebnisse erstmals am Abend „Die Spielplan“ im Rahmen des Rrriot Festivals am Volkstheater.

Frauen inszenieren vor allem auf kleinen Bühnen

Von den zwölf von uns untersuchten Theatern werden acht von Männern geleitet. Von insgesamt 149 Inszenierungen wurden nur 44 von Frauen inszeniert. Geht man ins Theater, sieht man also zu 70 Prozent die Inszenierung eines Mannes? Fast richtig. Auf den großen Bühnen sind es sogar 78 Prozent. Frauen inszenieren vermehrt auf den Nebenspielstätten.

Würde man also berechnen, wie viele ZuseherInnen tatsächlich die Inszenierung einer Frau sehen, wäre die Quote noch viel niedriger. Gleichzeitig sind derzeit an den untersuchten Theatern 81 Prozent der RegieassistentInnen Frauen – ein Job, der üblicherweise als Sprungbrett zum Regieberuf gesehen wird. Wie die Zahlen zeigen, schaffen es aber deutlich mehr Männer, sich fest in dem Berufsfeld zu etablieren. Die gläserne Decke ist auch im Theater noch voll da.

Auch heute werden Stücke von Männern geschrieben

Noch unverhältnismäßiger sieht es bei den Autorinnen aus. Von allen gespielten Stücken der laufenden Saison wurden 89 Prozent von Männern verfasst. Zum Vergleich: In Deutschland liegt die Quote zumindest nur bei 75 Prozent. Ein Grund dafür ist, dass die Theater in erster Linie auf sogenannte Klassiker des männlich dominierten Literaturkanons zurückgreifen. Sie versprechen eine hohe Nachfrage von Schulklassen und einem bürgerlich geprägten Theaterpublikum. Legitimiert wird dies einerseits durch den Bildungsauftrag der Theater, andererseits durch die zunehmende Orientierung an Auslastungszahlen und Forderung nach Rentabilität. Doch wenn der Marktwert entscheidet, setzen sich bestehende Geschlechterverhältnisse fort.

Doch auch an den Nebenspielstätten ist die Situation nicht besser, obwohl dort kaum Klassiker, sondern überwiegend zeitgenössische Texte gespielt werden. Von 88 Stücken auf den kleinen Bühnen waren in dieser Saison nur achteinhalb Texte von Frauen zu sehen. Hier wird die Fortsetzung der strukturellen Ungleichheit am deutlichsten, in Anbetracht der großen Anzahl an zeitgenössischen Autorinnen. So sind von 33 AutorInnen des Dramaforums – eines der wichtigsten AutorInnen-Förderprogramme in Österreich – 21 Frauen, also rund 64 Prozent.

Welche und wessen Geschichten erzählt das Theater?

Hieraus ergeben sich ganz grundsätzliche Fragen: Welche Geschichten wollen wir erzählen? Welche Welt wollen wir verhandeln? Die meisten Theater verstehen sich als Orte, um die Diversität der Gesellschaft widerzuspiegeln. So versprechen es uns zumindest die Vorworte der Intendantinnen und Intendanten. Dieser Anspruch wird meist exemplarisch festgemacht an einzelnen Projekten. Doch die Zahlen zeichnen ein ganz anderes Bild.

Will das Theater ein Ort gesellschaftlicher Verantwortung sein, das Vielfalt auf und hinter der Bühne lebt, muss es sich verändern. Es muss die Auseinandersetzung zeitgenössischer und historischer Autorinnen und Autoren mit der Welt sichtbar machen und den klassischen Kanon immer wieder in Frage stellen. Wir müssen der zunehmenden Bewertung des Theaterbetriebs nach Auslastungszahlen und dem männlich geprägten Geniekult entgegenwirken.  Es geht schließlich um die Frage von Gerechtigkeit und darum, wer Mittel und Möglichkeiten bekommt, Geschichten zu erzählen. Denn Geschichten sind, wie die Feministin Laurie Penny einmal meinte „nur das wichtigste auf der Welt“.

 

Bérénice Hebenstreit ist freie Regisseurin und Aktivistin bei Attac.

Michael Isenberg ist Dramaturg, derzeitig beschäftigt am Volkstheater Wien.

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