Ist am Theater kein Platz für Demokratie? Clara Gallistl im Gespräch mit Bérénice Hebenstreit und Felix Hafner

„Machtmissbrauch“, eine „Atmosphäre der Angst“: In einem offenen Brief beklagten sich im Februar 60 Angestellte des Burgtheaters über den autoritären Stil des Ex-Direktors Matthias Hartmann. Sie stießen damit eine lange überfällige Debatte an: Müssen sich Theater-MitarbeiterInnen den Launen autoritärer Genies aussetzen? Kann Demokratie am Theater überhaupt funktionieren? Clara Gallistl sprach darüber mit den RegisseurInnen Felix Hafner und Bérénice Hebenstreit.

 

Clara Gallistl: Ihr seid erfolgreich als RegisseurInnen am Theater tätig. Braucht es aus eurer Sicht Konflikte, um gutes Theater zu machen? Wie geht ihr selbst mit Konflikten um? 

Felix Hafner: Ich habe mich persönlich damit beschäftigt, weil ich eigentlich sehr konfliktscheu bin. Das ist schlecht, am Theater. Ohne Konflikt gibt es kein Theater, keine Szene. Der Konflikt als Teil der künstlerischen Arbeit war schon immer Thema. Am Reinhard-Seminar, wo ich Regie studiert habe, wurde Konflikt als Problem in der Teamarbeit aber nur am Rande behandelt. Wir haben uns viel zu wenig mit diesem Aspekt der Regiearbeit auseinandergesetzt. Dabei würde ich jetzt sagen, dass es zu 70 Prozent vom produktionsinternen Klima abhängt, ob eine Inszenierung gelingt oder nicht.

Bérénice Hebenstreit: Meine Ausbildung fand ja nicht in einer Schule, sondern am Theater als Assistentin statt. Da muss man von Anfang an lernen, mit Konflikten umzugehen. Konflikt bedeutet für mich, unterschiedliche Meinungen auszuverhandeln. Als Assistentin war ich oft Ansprechpartnerin für verschiedene Seiten dieser Ausverhandlungen.

Ich habe auf Proben gelernt, wie wichtig es ist, die eigenen Ideen ausdrücken zu können und den Mut zu haben, das immer wieder zu tun. Ganz oft passieren einfach Missverständnisse. Es braucht neben Ideen auch Kommuniktionskompetenz, um Theater zu machen. Vorausgesetzt, man versteht Proben als Aushandlungsprozess und nicht als autoritäres Umsetzen eigener Regie-Ideen.

Empfindet ihr die jetzigen Strukturen am Theater als autoritär?

Felix Hafner: Autoritär ist kein einfacher Begriff. Eine Form von Theater-Pyramide hat sich über Jahrhunderte hinweg gehalten. Die Macht liegt bei wenigen Einzelpersonen und es ist schwierig für Personen unten mit Personen oben auf Augenhöhe zu verhandeln.

Bérénice Hebenstreit: Die Entscheidungsstrukturen sind in großen Häusern meist sehr hierarchisch. Es gibt eine hohe Konzentration von Entscheidungsmacht bei Einzelnen. Was fehlt, ist oft die Entscheidungstransparenz.

Inwiefern? Wie und von wem werden Entscheidungen getroffen?

Bérénice Hebenstreit: Je nachdem, über welchen Bereich von Theater wir sprechen. Aber Personalentscheidungen im Ensemble trifft zum Beispiel der Intendant bzw. die Intendantin. Diese führen in vielen Fällen auch Regie. Es kann also sein, dass eine Schauspielerin in Proben nicht in einen künstlerischen Konflikt mit der Regisseurin geraten möchte, weil sie als Intendantin auch über ihre Vertragsverlängerung entscheidet. Die künstlerische und die betriebliche Ebene überlappen sich hier. Diese Machtverhältnisse werden meist verharmlost.

Felix Hafner: Das Berufsbild, auf das wir uns beziehen – Regie – ist das einer Entscheidungsposition. Das steht in gewisser Hinsicht im Gegensatz zu einer demokratischen Arbeitsweise. Das beschäftigt mich stark. Im Produktionsprozess muss es Personen geben, die Entscheidungen treffen.

Bérénice Hebenstreit: Ich denke, es ist eine Grundsatzentscheidung, ob man an mehr Mitsprache interessiert ist, sowohl als Regisseur/in als auch als Theaterleitung. Demokratisch heißt ja nicht, dass es keine Entscheidungsträger/innen mehr gibt.

Vielleicht wären regelmäßige Gewaltfreie Kommunikations-Workshops als MitarbeiterInnen-Weiterbildung gut?

Bérénice Hebenstreit: Das halte ich für eine gute Idee. Es gibt ja auch die vorherrschende Meinung, dass Künstler/innen als Genies nicht an ihren sozialen Kompetenzen arbeiten müssen.

Felix Hafner: Ich finde es immer noch überraschend, dass es an Theatern keine Kultur für Supervisionen gibt.

Bérénice Hebenstreit: Aber wir reden jetzt immer über Symptombehandlung. Wir müssen auch über die größere Perspektive sprechen: Was heißt Demokratisierung von Theater?

Theater stehen auch selbst in einer Konfliktsituation. Einerseits gilt die Freiheit der Kunst: Jede Intendantin soll sich frei entscheiden können, welche Produktionen ihr Haus anbietet, welche SchauspielerInnen ins Konzept passen. Andererseits muss man darauf achten, welche Mitbewerber es gibt, muss auf den Markt achten und auch kurzfristig reagieren können.

Bérénice Hebenstreit: Ich finde den Begriff „künstlerische Freiheit“ in dem Zusammenhang irreführend. Es widerspricht ja nicht der künstlerischen Freiheit, zu sagen: Ich gehe als Intendant/in an ein Haus und stelle dort das Ensemble für fünf Jahre fest an und entwickle mich gemeinsam mit diesem Team.

Felix Hafner: Aber die Flexibilität ist schon wichtig. Man muss sich in einem so großen künstlerischen Prozess darauf einstellen können, was kurzfristig passiert. Ich glaube, man würde sich sehr einkasteln, wenn man ein festes Ensemble für fünf Jahre bucht. Man weiß ja auch nicht, ob sich die Ensemblestruktur ausgeht. Ob man nicht nach zwei Jahren draufkommt: Das geht so nicht. Dann will ich darauf reagieren können.

Bérénice Hebenstreit: Das finde ich nicht. Mich nervt die Normalisierung von Flexibilität. Mit der Freiheit der Kunst werden Kettenverträge als „alltägliche Vorgänge in der Theaterwelt“ legitimiert. Dieses Grundprinzip zu hinterfragen ist mir wichtig. Soll eine alleinerziehende Schauspielerin jedes Jahr überlegen müssen, ob sie verlängert wird – weil gerade keine/r der eingeladenen Regisseur/innen nach ihr fragt? Wir sprechen über Theater oft, als ginge es um Freizeitgestaltung ohne Rücksicht auf die reale ökonomische Situationen der Einzelnen.

Felix Hafner: In Deutschland wird am Anfang einer Spielzeit geklärt, ob SchauspielerInnen verlängert werden. In Österreich ist das kein Muss. Das wäre eine konkrete Maßnahme, die man sofort umsetzen könnte.

Bérénice Hebenstreit: Theater sind subventionierte, eigentlich nicht gewinnorientierte Unternehmen. Wieso übernehmen sie dann liberale Marktlogiken? Ich spreche davon, dass man auch die gemeinsame Entwicklung eines Ensembles stärken kann anstatt sich daran zu orientieren welche Stars gerade von Regisseur/innen oder Presse gefragt sind.

Felix Hafner: Kritisch sehe ich auch die Tendenz, immer etwas Neues machen zu müssen. Jede Intendanz beginnt ihre Arbeit mit einer Premiere mehr und drei Schauspielern weniger. Auch Regisseure lassen sich oft wenig Zeit zur Regeneration zwischen den Produktionen.

In der Kontroverse um das Burgtheater hieß es manchmal, der „Ponyhof“, auf dem alle lieb zueinander sind, produziere eben keine gute Kunst. Inwiefern sind Respektlosigkeit und Geringschätzung wesentlich für die Arbeit am Theater?

Felix Hafner: Dem Stoff gegenüber sollte man immer respektlos sein. Wichtig ist, dass das nicht auf eine persönliche Ebene kippt. Vielleicht sprechen wir besser von Kompromisslosigkeit. Wenn das gewährleistet ist, geht durch den Konflikt viel weiter. Problematisch sehe ich die Mantren, die einem in der Ausbildung beigebracht werden. Da lernt man Dinge wie „Jede Produktion braucht ihre Krise.“ Oder: „Schauspieler müssen gebrochen werden, damit man sie danach wieder aufbauen kann.“ Oder: „Verzweiflung gehört dazu.“

Bérénice Hebenstreit:  Ich wünsche mir, dass unsere Generation diese gesellschaftlichen Narrative hinterfragt. „Ein Künstler (meist männlich) ist ein Genie, dem man soziale Inkompetenz verzeiht.“ Das muss nicht sein. Es darf kein künstlerischer Genius legitimieren, dass man mit Menschen respektlos umgeht. Ich glaube außerdem ein Theater, das seine eigenen Machtverhältnisse reflektiert und demokratische Mitbestimmung erprobt, könnte inhaltlich viel progressiver sein, weil seine Ideen dann von vielen und nicht nur von Einzelnen getragen werden.

Danke für das Gespräch!

Clara Gallistl ist Dramatikerin, Theaterkritikerin und Kommunikationsberaterin für Kunst & Kultur.

Felix Hafner ist Regisseur am Volkstheater Wien. 2017 erhielt er den Nestroy-Preis in der Kategorie Bester Nachwuchs männlich als Regisseur für Der Menschenfeind von Molière.

Bérénice Hebenstreit ist Theaterregisseurin in Wien. Aktuell inszeniert sie Barbi Markovićs Stück Superheldinnen im Volx/Margarethen, die nächste Aufführung findet am 23. April 2018 statt.

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