Hoffnung in düsteren Zeiten: In Wien kann man jetzt alle Filme von Aki Kaurismäki sehen

„Ich will nicht mein Publikum ändern, sondern die ganze Welt. Aber ich bin nicht manipulativ genug, deswegen muss ich mich wohl auf Europa beschränken“, meinte Aki Kaurismäki einmal mit einem Augenzwinkern. Bis Anfang Mai läuft im Wiener Filmmuseum eine Retrospektive mit den Werken des finnischen Regisseurs. Rainer Hackauf empfiehlt, hinzugehen.

Seit Anfang der 1980er Jahre stellt Kaurismäki marginalisierte und ausgestoßene Personen ins Zentrum seiner Filme. Sie erzählen von Solidarität und Hoffnung, auch und gerade in zunehmend hoffnungslosen Zeiten.

Der linke Regisseur scheut sich nicht, auch jenseits seiner Filme Stellung zu politischen Entwicklungen zu beziehen. Aus Protest gegen den Irak-Krieg kündigte er 2003 und 2006 den Boykott der Oscar-Nominierungen seiner Filme an. Auch zuletzt waren immer wieder markante Aussagen von ihm, etwa in Hinblick auf die autoritäre Wende in Europa, zu hören: „Ich sehe keine Islamisierung in Europa. Es gibt nur einen normalen, kulturellen Wandel. Dabei würden wir eine kulturelle Veränderung wohl brauchen.“

Märchenhafte Filmsprache

Kaurismäkis über Jahrzehnte entwickelte Bildsprache geht bewusst andere Wege, als die seelenverwandter Regisseure des linken, europäischen Kinos wie Ken Loach oder die Brüder Dardenne. Stehen bei den genannten meist die (neo-)realistische Darstellung sozialer Verhältnisse im Vordergrund, nähert sich Kaurismäki durch bewusst nostalgisch entrückte Bilder seinen Themen an. Filmsets sind bei Kaurismäki in der Regel im angestaubt wirkenden 1950er/60er Retrodesign ausstaffiert und erinnern in ihrer Detailverliebtheit an Filme von Wes Anderson. Die Aufmerksamkeit kann so geschickt auf Details fokussiert werden.

Unterstrichen werden diese märchenhaften Bilder zwischen gestern und heute durch musikalische Einlagen, die fixer Bestandteil Kaurismäkis Filme sind. Während in seinen frühen Filmen der finnische Tango eine wichtige Rolle spielte, sind es mittlerweile melancholischer Bluesrock oder Countrymusik.

Der hohe Wiedererkennungswert seiner Filme ergibt sich auch dadurch, dass der finnische Regisseur gerne auf einen immer wiederkehrenden Pool an SchauspielerInnen (Kati Outinen, Matti Pellonpää, Markku Peltola, André Wilms, Jean-Pierre Léaud u.a.) zurückgreift. Ebenso prägend sind lange Filmsequenzen, die mehr oder weniger ohne Worte auskommen. Und auch zwischendurch sind die Dialoge vorwiegend lakonisch und von schwarzem Humor, der mitunter in Slapstick übergeht, geprägt.

Vom Kapitalismus in Finnland…

In der aktuellen Retrospektive werden alle Filme von Kaurismäki gezeigt, womit auch seine Entwicklung über die letzten gut 35 Jahre nachvollziehbar wird. So standen in den 1980er und 1990er Jahren vor allem Geschichten aus der Arbeiterklasse im Vordergrund, beispielhaft in den sehenswerten Filmen der „Proletarischen Trilogie“: Schatten im Paradies (Original: Varjoja paratiisissa, 1986), Ariel (1988) und Das Mädchen aus der Streichholzfabrik (Original: Tulitikkutehtaan tyttö, 1989).

Die Trilogie ist ein Kommentar auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Finnlands. Im Zentrum steht die Suche nach dem Glück derjenigen, die nicht unbedingt zu den GewinnerInnen der kapitalistischen Entwicklung zählen.

Hier beispielhaft herausgegriffen sei Ariel, in dem die Geschichte des Bergarbeiters Taisto Kasurinen zum Ausgangspunkt genommen wird. Nachdem ein Bergwerk irgendwo im Norden Finnlands geschlossen hat, sind er und die anderen Bergarbeiter arbeitslos geworden. Während sich einer seiner Kollegen aus Perspektivlosigkeit erschießt, versucht Kasurinen sein Glück in der Großstadt Helsinki. Dort geht für ihn eigentlich alles schief, was schief gehen kann. Nur sein Zusammentreffen mit der alleinerziehenden Irmeli, die selber kaum über die Runden kommt, bringt Hoffnung in sein tristes Leben. Und somit kommt ein kurioser Plan ins Spiel, gemeinsam dem finnischen Elend zu entkommen.

Filme wie diese trugen dazu bei, dass Kaurismäki in Finnland lange als „Nestbeschmutzer“ angesehen wurde. So protestierte etwa der finnische Tourismusverband öffentlich gegen seine Filme, da diese dem Ansehen Finnlands in der Welt schaden würden.

…zur Flucht nach Europa

In den letzten zehn Jahren verschob Kaurismäki seine Perspektive weg von Finnland hin zu den aktuellen Entwicklungen in Europa. Mit dem Film „Le Havre“ (2011) eröffnete er den ersten Teil einer noch nicht abgeschlossenen Trilogie zum Thema Flucht. In diesen neuen Filmen geht Kaurismäki von der Hoffnung aus, die Europa als Zufluchtsort ausstrahlt. So spielt „Le Havre“ in der gleichnamigen Stadt im Norden Frankreichs und erzählt von dem Buben Idrissa, gespielt von Blondin Miguel, der der in einem Schiffscontainer aus Gabun nach Europa gekommen ist.

Idrissa will eigentlich über den Ärmelkanal nach Großbritannien, wo seine Mutter auf ihn wartet. Der ältere Schuhputzer Marcel nimmt sich des Buben an und versteckt ihn mit Hilfe der Nachbarschaft eines heruntergekommenen Wohnviertels vor der Fremdenpolizei. „Le Havre“ wurde noch vor dem „Sommer der Migration“ 2015 gedreht und nimmt diesen in gewisser Weise vorweg. Wird darin doch die Möglichkeit eines solidarischen Pols in der Gesellschaft, der Identitäten und Grenzen sprengt, erzählt.

Pessimistische Komödie

Der bisher letzte Film von Kaurismäki, Die andere Seite der Hoffnung“ (Original: Toivon tuolla puolen, 2017), nimmt eine ähnliche Geschichte als Ausgang. Diesmal geht es um den Automechaniker Khaled, gespielt von Sherwan Haji, der sich mit seiner Schwester entschlossen hat, dem Bürgerkriegsschrecken in Aleppo zu entfliehen.

Eher zufällig strandet Khaled in Finnland, nachdem er auf der Flucht über die sogenannte „Balkanroute“ an der Grenze zu Ungarn von seiner Schwester getrennt wurde. In Finnland angekommen – der Film beginnt mit einer an Charlie Chaplin erinnernden Szene, die Hautfarbe und Rassismus mehrdeutig thematisiert – stellt sich Khaled der Polizei, um Asyl zu beantragen. Sein Asylantrag wird von den Behörden jedoch abgelehnt, da die unter Bombenhagel stehende Stadt Aleppo kein grundsätzlich unsicherer Ort sei, so das Urteil. Ein Urteilsspruch den Kaurismäki übrigens nicht erfunden hat, sondern der auf realen Begebenheiten beruht.

Unterstützung erfolgt in „Die andere Seite der Hoffnung“ nicht mehr aus (Klassen-)Solidarität unter Habenichtsen, sondern „nur noch“ aus purem Anstand und Menschlichkeit. Dies ist wohl auch als Anspielung auf das Versagen linker Politik vor dem Hintergrund der autoritären Wende in Europa zu lesen. Im Gegensatz zu „Le Havre“ ist „Die andere Seite der Hoffnung“ ein wenig optimistisches Werk, wenngleich weiterhin im Format der Komödie.

Wenn nur noch die Hoffnung bleibt

Kaurismäki sieht seine Rolle als politischer Filmemacher darin, hoffnungsvolle Illusionen zu schaffen. Damit hält er an der grundsätzlichen Denkmöglichkeit ganz anderer politischer und sozialer Verhältnisse als reale Utopie fest. In seiner Rolle als politischer Beobachter klingt er aber zugleich recht desillusioniert, wenn er etwa den Rechtsrutsch in Europa und darüber hinaus kommentiert.

Ob es den angekündigten dritten Teil der Trilogie noch geben wird, bleibt derweil offen. In Interviews meint Kaurismäki launig, dass er eventuell der erste sei, der eine Filmtrilogie mit nur zwei Filmen fertiggestellt habe. Die Ankündigung, „nie wieder“ Filme drehen zu wollen, kam von ihm in der Vergangenheit schon öfter. Eingehalten hat er sie noch nie.

Bis 3. Mai läuft die Retrospektive unter dem Titel „Das Kino des Aki Kaurismäki“ im Wiener Filmmuseum, mit der man die Wartezeit zumindest ein wenig verkürzen kann.

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