Islamgesetz: Muslimische Staatskirche für mehr „Säkularismus“?

Da Musliminnen und Muslime vermeintlich nicht säkular genug sind, erhalten sie in Österreich nun eine muslimische Staatskirche zwangsverordnet. Islamische Vereine müssen sich entweder darin eingliedern oder werden aufgelöst. Ein Kommentar von Ibrahim Yavuz zum neuen Islamgesetz.

Am 25. Februar ist es also passiert. Österreich hat ein neues Islamgesetz verabschiedet, das seither europaweit kontrovers diskutiert wird. Ob auch andere Staaten dem Beispiel folgen und eine repressive Haltung gegen MuslimInnen in eigene Gesetze gießen – wenn dies nicht ohnehin schon der Fall ist – bleibt vorerst offen.

Muslimische Staatskirche?

Die MuslimInnen kennen keine Kirche. Nirgendwo in der islamischen Welt hat sich historisch eine derartige Institution etabliert. Umso hochmütiger ist, dass nun europäische Nationen für MuslimInnen ausgerechnet das etablieren wollen, was die Aufklärung für die etablierten, christlichen Kirchen überwinden wollte. Nicht nur die Selbstorganisationen der MuslimInnen werden mittel- und langfristig unter den Folgen dieses Gesetzes leiden, sondern auch die Politik. Die Interessenvertretung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ), die sich alle Moscheegemeinden und Vereine einverleibt und somit gegenüber der „Zivilgesellschaft“ ihre Macht ausbauen soll, ist sich der Verantwortung dieser Aufgabe gar nicht bewusst: Die Regierung wird die Interessenvertretung für jede Kleinigkeit in den Moscheevereinen zur Rechenschaft ziehen.

Auf der anderen Seite hat es die Politik „geschafft“, eine Interessenvertretung zu kreieren, die zwar strukturell gestärkt wurde, aber gleichzeitig viel stärker unter staatlicher Aufsicht stehen wird. Nach „oben“ hin geht die Interessenvertretung also geschwächt aus diesem Prozess hervor. Wie stark der Staat von dieser neuen Macht Gebrauch machen wird, ist bis dato offen. Es ist aber wenig beruhigend, wenn Themen wie die „Gefährdung der Gesundheit“ in ein Gesetz gepackt werden, das „die Rechte und Pflichten der Muslime“ regeln soll. Hat Österreich wirklich keine größeren Probleme?

Muslime und Musliminnen als ungleiche Andere

Die Art und Weise der Verhandlungen und auch die getroffenen Entscheidungen in der IGGiÖ weisen demokratiepolitische Defizite auf. Auf der anderen Seite hat die Regierung ein weiteres Mal gezeigt, wie man autoritär, über die Köpfe der Menschen hinweg und mit viel Irreführung ein Gesetz verabschieden kann. Ein Gesetz, das den Großteil der Menschen einer Minderheitenreligion diskriminiert.

Ist das der Sinn eines Gesetzes? Anstatt Probleme zu beheben, neue Probleme erschaffen? Diese Politik ist – leider – von Islamfeindlichkeit geprägt und kann die Situation nicht realistisch einschätzen. Das Ergebnis ist fatal. Das Argument der Regierung, „Ungleiches wird Ungleich behandelt“ ist an dieser Stelle mehr als nur falsch. Es ist auch ein Eingeständnis seitens der Politik, dass für sie MuslimInnen „anders“ sind und auch anders behandelt werden müssen. Die anstehenden Wahlkämpfe, die auch auf dem Rücken der MuslimInnen ausgetragen werden, ist ein weiteres Zeichen für die vergiftete Atmosphäre in Österreich, die nun seit einiger Zeit herrscht und womöglich noch einige Zeit auch andauern wird.

Ende der Zurückhaltung?

In Österreich haben sich viele MuslimInnen in der öffentlichen Debatte jahrelang zurückgehalten, in der Hoffnung, existierende Probleme „intern“ lösen zu können. Nun scheint jedoch der längst überfällige Punkt erreicht, wo dies irrelevant geworden ist. Denn die „interne“ Debatte – vor allem innerhalb der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) – wurde einfach ignoriert. Nicht nur persönliche Inkompetenzen sind das Problem, sondern auch die fehlende Bereitschaft zu Transparenz und Kommunikation. Am Ende sehen sich die MuslimInnen Österreichs mit Tucholsky konfrontiert: „Das Gegenteil von Gut ist nicht Böse, sondern gut gemeint“.

Es bleibt zu befürchten, dass die muslimische Basis in Zukunft immer mehr gegen ihre „eigene Interessensvertretung“ ankämpfen werden muss, weil diese nicht in der Lage sein wird, entsprechend Antworten auf die Probleme der Menschen hierzulande zu geben. Zudem hat die IGGiÖ durch ihre gegen die eigene Basis erteilte Zustimmung zu dem Gesetz schon längst ihre Glaubwürdigkeit verloren.

Das Islamgesetz, als institutionalisierte Form der Islamfeindlichkeit, degradiert die MuslimInnen in diesem Land zu BürgerInnen zweiter Klasse. Aber vielleicht, so bleibt zu hoffen, hat es auch „positive“ Effekte. Es ist nun an der Zeit, dass MuslimInnen dieses Landes sich politisch aktiv einbringen. Einmal mehr hat die Islamgesetz-Debatte gezeigt, dass die verbreitete unpolitische Haltung und die Philosophie des „Hauptsache ich werde in Ruhe gelassen“ auf kurz oder lang nichts bringt. Es ist überfällig, dass MuslimInnen sich offensiv in der linken politischen Landschaft einbringen.

Ibrahim Yavuz ist Masterstudent der Turkologie und Philosophie an der Universität Wien und Mitbegründer des Netzwerks Muslimische Zivilgesellschaft.

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