von Moritz Ablinger und Natascha Strobl
Es ist ein riesengroßes Banner. „Smash § 274 StGB“ steht darauf geschrieben, 15.000 Menschen können es sehen. Es ist keine antifaschistische Demonstration, sondern eine Szene in einem Fußballstadion. Die organisierte Fanszene des SK Rapid macht beim Heimpspiel gegen den Wolfsberger AC ihrem Ärger über den Landfriedensbruch-Paragraphen Luft. 29 ihrer Mitglieder waren deswegen angeklagt worden, die allermeisten wurden schuldig gesprochen. Kriminalisierungsversuche treffen die aktive Fanszene von Rapid noch sehr viel härter als die politische Linke. Ein Plädoyer von Natascha Strobl und Moritz Ablinger.
Bereits im Jahr 2011 wurde 89 Rapid-Fans nach § 274 der Prozess gemacht, auch dieser endete fast ausschließlich mit Schuldsprüchen. Dennoch haben Fußball-Fans unter Linken oft kein besonders gutes Image. Sie sind laut, unberechenbar, gewaltverherrlichend, gefallen sich in über-männlichen Macho-Posen und haben absurde Vorstellungen davon, wie die Welt um sie herum gestaltet sein sollte. Böse Zungen würden hier Ähnlichkeiten mit Teilen der Linken behaupten. Fußball-Fans sind aber auch noch rassistisch, sexistisch, homophob, antisemitisch und doofe Prolos. Warum also eine differenzierte Auseinandersetzung mit Ultras und anderen Fußball-Fans?
Unterwerfung des Sports
Die kurze Antwort: Weil die Welt nicht ganz so einfach ist, wie sich das so manche vorstellen. Die lange Antwort: Fußball ist die größte und wichtigste Sportart der Welt. Sie bringt Menschen dazu, sich zu organisieren, ihre Kreativität auszuleben und politische Forderungen zu formulieren. Fußball-Fans erleben die Unterwerfung ihres Sports unter marktwirtschaftliche Gesetze ganz unmittelbar. Seit 1989 sind beispielsweise in England die Ticketpreise in der höchsten Spielklasse um über 700 Prozent gestiegen. Viele Fans können sich den Eintritt heute nicht mehr leisten. Das Stehen wurde den ZuseherInnen gleich ganz verboten. Die – proletarische – (Fan-)Kultur des Fußballs ist in seinem Mutterland so zerstört worden.
Organisierte Fußball-Fans aber begehren gegen diesen ökonomischen Ausschluss auf – nicht nur in England. Denn ähnliche, wenn auch abgeschwächte Verdrängungsprozesse, lassen sich überall in Europa beobachten. In anderen Worten: Im Stadion finden soziale Kämpfe statt. Soziale Kämpfe, die in der Linken nicht wahrgenommen werden. Gerade in einem Land wie Österreich, wo das Niveau der sozialen Kämpfe erschreckend gering ist, ist diese Ignoranz verwunderlich. Der Kampf um Teilhabe, um Mitsprache und gegen die kapitalistische Profitlogik ist Teil von organisierten Fußball-Fans. Sich rein an den Methoden zu stoßen, wie dies geäußert wird, ist arrogant und nicht zuletzt heuchlerisch. Die Ausdrucksformen von Fußball-Fans sind nun mal andere als jene von Studierenden.
Ultras gegen Rassismus
Nicht wegzudiskutieren dabei ist, dass es auf den Tribünen zu sexistischen, homophoben, rassistischen und antisemitischen Sprechchören und Vorfällen kommt. Einige Tribünen sind sogar der Rückzugsort für neonazistische Gruppen, etwa die Osttribüne bei der Wiener Austria, wo die Neonazis von „Unsterblich Wien“ noch immer präsent sind. Auch unter dem brüchigen „Keine Politik im Stadion“-Konsens vieler Fan-Gruppen äußern sich diese immer wieder diskriminierend. Sie alle aber in einen Topf zu werfen und sie rechtsextrem zu nennen, wäre absurd und nutzt nur der Gegenseite.
Offen rassistische Äußerungen und neonazistische Symbole sind auch aufgrund des Einsatzes von Ultra-Gruppen aus den Fankurven bei Rapid, Sturm Graz oder Wacker Innsbruck verschwunden. So etwa, als Richard Sukuta-Pasu, damals Stürmer von Sturm Graz, bei einem Auswärtsspiel in Ried mit Affenlauten bedacht und rassistisch beschimpft. Während die offiziellen ÖFB-Gremien nur zaghaft Stellung bezogen, war die Antwort der Sturmfans, beim nächsten Heimspiel auf einem Banner präsentiert, klar: „Von Bregenz bis Eisenstadt – Wir Schwoaze [Bezeichnung für das schwarz-weiße Sturm Graz] ham Rassisten satt!“ In der medialen und politischen Diskussion werden solche Geschehnisse allerdings nicht aufgegriffen. Im Vordergrund steht die Berichterstattung über Pyrotechnik und gewalttätige Auseinandersetzung.
Von Fans lernen?
Heißt das, dass alles gut ist? Nein, denn insbesondere homophobe und sexistische Rufe sind nicht zu überhören. Auch die Macho-Posen und der männerbündische Charakter vieler Kurven sind Realität. Gerade deswegen wäre es aus linker Sicht wichtig, weiblichen Stimmen Gehör zu verschaffen, anstatt sie weiter zu marginalisieren. Es gibt nämlich viele Frauen, die in den Fankurven stehen und nicht bloß „Anhängsel“ irgendwelcher Typen sind. In vielen Bereichen der Linken dominierte auch lange ein männliches Bild. Antifaschist_innen wurden lange als rein männlich wahrgenommen. Militanz und antifaschistischer Selbstschutz sind oft in eine männliche Mackerpose übergegangen, die rein der Egobefriedigung diente. Bedeutet das, dass wir Antifaschismus aufgeben und uns anderen Bereichen zuwenden? Nein. Fußball ist viel zu wichtig, um ihn den Rechten zu überlassen. Gerade im Kampf gegen Repression und staatliche Willkür ist die Linke die „natürliche Verbündete“ von Fußballfans.
Viel lernen könnte die organisierte Linke von Fußball-Fans ohnehin. So haben es Rapid-Fans geschafft, eine Rechtshilfestruktur aufzubauen, die Bestand hat. Die Rechtshilfe-Rapid hat viel dafür getan, dass der Landfriedensbruch-Paragraph §274 einer großen Öffentlichkeit bekannt geworden ist. Welche linke Demo hat es geschafft, 15.000 Menschen zu erreichen? Die „Smash §274“-Choreographie im Happel-Stadion hat das. Das gilt es anzuerkennen. Die Öffentlichkeit von Fußball-Fans ist zudem eine andere, als jene von linken Spektren. Sie ist schlicht größer. Das anzuerkennen darf nicht in Versuchen enden, die Kämpfe von Fußballfans paternalistisch für sich zu vereinnahmen – das würde ohnehin nicht gelingen. Stattdessen ist eine offenere Haltung der Linken gegenüber organisierten Fußball-Fans notwendig, durch die sich neue Wege erschließen lassen könnten.
Moritz Ablinger ist Redakteur von mosaik, studiert Politikwissenschaft und schreibt unter anderem für das Fußballmagazin ballesterer.
Natascha Strobl ist Politikwissenschaftlerin und Antifaschistin. Sie ist aktiv in der Offensive gegen Rechts.