Das gallische Dorf 2.0: Warum Soldaten und Panzer die ZAD zerstören sollen

Gepanzerte Fahrzeuge und 2500 Soldaten der französischen Armee befinden sich momentan auf heikler Mission in der kleinen westfranzösischen Gemeinde Notre-Dame-des-Landes. Ihr Auftrag: Die Zerstörung der ZAD. Das ZAD ist ein Gelände, das von UmweltaktivistInnen und LandwirtInnen besetzt wurde. Sie haben dadurch nicht nur den Bau eines Flughafens verhindert, sondern auch eine kleine, konkrete ökologische Utopie geschaffen. Benjamin Birnbaum berichtet aus Frankreich über die Hintergründe.

Bereits in den 1960er Jahren wurde das Projekt eines Flughafens in Westfrankreichs geboren. Notre-Dame-des-Landes schien perfekt: Ein flaches Terrain, wenige Einwohner und Nähe zu den wichtigen Industriestädten St Nazaire und Nantes. Durch den Flughafen sollte der Raum um Nantes ein Transport- und Industriezentrum werden. Vom „Ruhrgebiet des 21. Jahrhunderts“ und einem „Rotterdam der Luft“ war damals die Rede.

Grüne Umweltministerin für den Großflughafen

Dass das Terrain auch ein ökologisch bedeutsames Feuchtgebiet ist, schien nur wenige zu interessieren, abgesehen von protestierenden AnwohnerInnen und LandwirtInnen. Nachdem das Projekt aber schnell wieder einschlief versank auch der Protest.

Erst im Jahr 2000 wurde es wieder aufgegriffen. Ausgerechnet die damalige grüne Umweltministerin Dominique Voynet schlug vor, einen Flughafen in Notre-Dame-des-Landes zu bauen, um die beiden Pariser Flughäfen zu entlasten. Während der Baugigant Vinci den Zuschlag bekam, organisierte sich der Widerstand gegen das Projekt: die Association citoyenne des populations concernées par le projet d’aéroport (ACIPA) wurde 2000 gegründet.

„Gegen den Flughafen und seine Welt“

Im Jahr 2009 nahm der Kampf gegen den Flughafen eine konkrete Form an. Unter den Slogans „Nein zum Flughafen“ und „Vinci hau ab“ organisierte die ACIPA erste Demonstrationen in Paris und vor Ort. Bauern und Bäuerinnen begannen Hungerstreiks und eine Menschenkette umkreiste die ZAD. „ZAD“ bedeutete damals „zone d’aménagement différé“, ein Begriff aus der Raumplanung, der sich auf eine rechtliche Vorschrift für große Immobilienprojekte bezieht. Der Begriff wurde aber schnell von den Umweltaktivisten umgedeutet in „zone à défendre“, die zu verteidigende Zone.

Im Anschluss an die erste große Mobilisierungwelle 2009 wurde die ZAD von Landwirten und Umweltaktivisten mit Zelten, Hütten und Traktoren besetzt, und mittels direkter Demokratie verwaltet. Es handelte sich aber nicht nur um eine Besetzung, sondern vielmehr um die Verwirklichung einer Utopie basierend auf nachhaltiger Landwirtschaft, Schutz der Biodiversität und Selbstbestimmung. Neben Ackerbau und Viehzucht wurden im Laufe der Zeit in der ZAD unter anderem ein Gewächshaus, eine Lager- und Trocknungseinrichtung für vor Ort kultivierte Heilpflanzen, eine Kastanienbaumschule, eine Bäckerei und eine Brauerei gebaut. Im Rahmen dieser Aktivitäten entstand der Slogan „Gegen den Flughafen und seine Welt“.

Ein Knotenpunkt entsteht

In Notre-Dame-des-Landes entstand somit nicht nur ein entschlossener Widerstand gegen lokale Umweltverschmutzung. Vielmehr wurde dieser Protest zu einem Knotenpunkt breiterer Kritik an einem kapitalistischen System, das Flughäfen braucht und dadurch die Umwelt zerstört. Diese Systemkritik machte es möglich, dass der Umfang der Unterstützung gegen den Flughafen und für die ZAD bedeutsam wuchs.

So bekam der Kampf gegen den Flughafen auch die Unterstützung der Gewerkschaft CGT des Bauunternehmens Vinci. Dazu kamen Umweltorganisationen, die Bauerngewerkschaft Confédération Paysanne, ATTAC, linke Parteien, und autonomen Gruppen. Als im Frühling 2016 die Gewerkschaften gegen die Reform des Arbeitsrechts protestierten versorgten die Zadisten die streikenden ArbeiterInnen mit Nahrung. Und durch die gemeinsame Erfahrung von Polizeigewalt wurden Brücken für gemeinsame Kämpfe zwischen ZAD und antirassistischen Organisationen, die unter anderem gegen die verbreitete rassistische Polizeigewalt kämpfen, geschaffen.

Als Knotenpunkt verschiedenster sozialer Kämpfe trafen in der ZAD auch verschiedene Formen des Protests aufeinander. Linke Abgeordnete unterstützen die ZAD in den Institutionen. AnwältInnen reichten Klagen gegen die Enteignung der Landwirte oder gegen Sondergenehmigungen ein, die es dem Bauprojekt ermöglichen sollten, geltendes Umweltrecht zu verletzen. So ermöglichten sie der ZAD, Zeit zu gewinnen. Die CGT setzte das Bauunternehmen Vinci unter Druck. Barrikaden wurden nicht nur von Autonomen gebaut, auch die Landwirte nutzten ihre Traktoren als Hindernis gegen die Bulldozer von Vinci und die Räumungsversuche der Polizei. NaturwissenschaftlerInnen erforschten die Biodiversität und veranstalteten Führungen. Verlassene Bauernhöfe auf dem Gelände der ZAD wurden besetzt. Und regelmäßig veranstalten die Unterstützer der ZAD Informationsveranstaltungen und Großdemonstrationen.

Zuckerbrot und Peitsche

Seit dem Entstehen der ZAD hat der Protest gegen den Flughafen und seine Welt immer breitere Wellen geschlagen. Dadurch konnte sie sowohl der Repression als auch den Angeboten der Regierung widerstehen. Die Peitsche bekam die ZAD zum ersten mal im Herbst 2012 zu spüren. Obwohl am Vortag in Notre-Dames-des-Landes 40.000 Personen gegen das Flughafenprojekt demonstriert hatten, unterstrich der frisch gewählte Präsident François Hollande am 16, November 2012 seine Unterstützung für den Bau des Flughafens an. Damals versuchte der französische Staat im Rahmen der Operation César zum ersten Mal mittels 1200 Gendarmen und Polizisten die „ZadistInnen“ zu vertreiben.

Für Aufsehen sorgte die Operation durch die Brutalität der Einsatzkräfte. Eine Ärztin vor Ort machte den zuständigen Präfekten auf die „durch ein Einsatz der Waffen der Einsatzkräfte verursachten schweren Verletzungen“ aufmerksam. Nach einer Woche zog sich die Polizei zurück, und mehrere Tausend Personen aus ganz Frankreich strömten zur sogenannten Operation Asterix: dem Wiederaufbau der ZAD.

Danach war das Zuckerbrot an der Reihe. Am 11. Februar 2016 kündigte Präsident Hollande die Durchführung einer lokalen Volksabstimmung über den Bau des Flughafens an. Der Ausgang dieser Abstimmung wurde aber nicht dem Zufall überlassen. Vielmehr handelte es sich um ein Paradebeispiel für sogenanntes Gerrymandering: Der Wahlkreis wurde aufgrund von Meinungsumfragen so festgelegt, dass das erwünschte Ergebnis rauskommen sollte. Und das passierte auch: 55 Prozent stimmten für den Flughafen. Diese Scheindemokratie stärkte jedoch die Entschlossenheit der Flughafengegner. Als die Regierung im Herbst 2016 anklingen ließ, die ZAD zu räumen, demonstrierten erneut 40.000 Menschen vor Ort.

Die ZAD nach dem Ende des Flughafenprojekts

Am 17. Jänner 2018 erklärte Premierminister Edouard Philippe, aufgrund „außergewöhnlicher Umstände“ auf den Bau des Flughafens zu verzichten. Die Entschlossenheit der Zadisten hat die Regierung zum Rückzug gezwungen. Der Protest „gegen den Flughafen“ war erfolgreich. Im aktuellen Kampf der ZAD geht es nun darum, ob der Protest gegen „seine Welt“ auch erfolgreich sein wird.

Am 9. April kündigte die französische Regierung an, die ZAD zu räumen. Anders gesagt, sämtliche Installationen und Wohnungseinrichtungen sollten zerstört werden, und damit einhergehend sollte die Utopie der ZAD platt gemacht werden. In den Augen der Regierung besetzen die Bewohner der ZAD eine Liegenschaft, deren Eigentümer sie nicht sind. Es geht also nicht mehr nur um Ökologie, sondern um Eigentum.

So erläuterte die zuständige Präfektin Nicole Klein, dass es bei der Räumung der ZAD um die Aufrechterhaltung des Rechtsstaats und des Eigentumsrechts geht. Dass eine Räumung ohne Räumungsanordnung auch außerhalb des Rechtsstaats liegt, scheint sie nicht zu stören. Somit begann früh morgens am 9. April die Räumung der ungefähr 100 dauerhaften „illegalen“ Einwohner der ZAD. Der Einsatz wurde von 500 Soldaten und mehreren Panzerfahrzeugen durchgeführt.

Pattstellung und weitere Proteste

Trotz einer weitreichenden Polizeisperre rund um Notre-Dame-des-Landes sind seit Beginn der Militäroperation zwischen 15.000 und 20.000 Menschen in die ZAD geströmt um gegen „Terror und Zerstörung“ der Regierung zu kämpfen. Erneut wurden Barrikaden errichtet, erneut wurden die zerstörten Gebäude wieder aufgebaut.

Momentan scheint sich die Lage in einer Pattstellung zu befinden. Während Premierminister Philippe nach fünf Tagen Militäroperation ankündigt hatte, dass die Ziele der Räumung erreicht seien, ist die ZAD weiterhin besetzt. Besetzt sind momentan auch 15 Universitäten in ganz Frankreich. Dort protestieren die Studierenden gegen eine Hochschulreform. Und die Eisenbahner haben kürzlich eine dreimonatige Streikbewegung gegen die Privatisierung der Bahn begonnen. Gegen den Flughafen und seine Welt eben.

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