Wer bitte braucht ein „IKEA-Grätzelfest“? Kid Pex im Gespräch

Mit den Worten „FUCK OFF ÖSTERREICHISCHE KULTURLOBBY!!!“ hat Kid Pex einen Brief an die Medienagentur friendship.is auf Facebook veröffentlicht. Auslöser war, dass der Wiener Rapper kurzfristig von einem Festival ausgeladen wurde, das die Agentur dieser Tage im 15. Bezirk in Wien ausrichtet – für den Möbelkonzern IKEA. Unter dem Titel „hej 1150“ will IKEA das Grätzl „noch schöner und lebenswerter“ machen. Wir haben Kid Pex ein paar Fragen dazu gestellt.

mosaik: Du bist sehr kurzfristig von der Agentur friendship.is wieder ausgeladen worden. Gar nicht so freundschaftlich eigentlich. Was sind deiner Meinung nach die Gründe dafür?

Kid Pex: Es ist offensichtlich, dass die Agentur die wahren Gründe nicht nennen wollte oder durfte. Und mich dann mit irgendwelchen billigen Ausreden abspeisen wollte. Zuerst schreiben sie mir im April schleimerische Mails, wie „wahnsinnig“ sie sich auf meinen Auftritt freuen und bitten mich telefonisch, den Termin wochenlang zu reservieren. Wir hatten auch schon telefonisch die Gage fixiert. Und dann heißt es plötzlich, ein anderer Organisator wäre auch an Bord und mein Auftritt am „Grätzlfest“ ist jetzt plötzlich unsicher geworden.

Bei der Bekanntgabe des Line-Ups kamen dann alle zuvor genannten Künstlernamen vor, aber meiner war nicht dabei. Sie hatten nicht einmal den Anstand, nicht einmal die Eier und die Eierstöcke, mir abzusagen und den wahren Grund zu nennen. Dabei kenn’ ich die Gründe nur zu gut. Seitdem ich mich für Flüchtlinge einsetze, vermehrt seit 2012 auf antifaschistischen Veranstaltungen und Demonstrationen bin, Norbert-Hofer-Parodien gemacht habe, gegen Mateschitz und seine rechten Freunde Lieder gemacht habe und Themen angesprochen habe, die sich nicht viele in Österreich ansprechen trauen, sind meine Bookings z.B. bei Stadtfesten zurückgegangen.

Aber auch in der Hip Hop Szene merke ich, dass man mir seitdem ausweicht, wahrscheinlich aus Angst, dass sich die Sponsoren anscheißen. Heinrich Himalaya lud mich vor zwei Jahren zur Veranstaltung „Rapper lesen Rapper“ ein, ich habe damals einen Text vorbereitet und übersetzt. Er meinte, bei einer der  nächsten Veranstaltungen bin ich fix dabei. Seitdem sind zwei Jahre vergangen, aber auch er hat nicht die Eier, die wahren Gründe zu nennen, als ich ihn darauf ansprach. Das Gift namens österreichisches Scheinheiligkeits-System ist eben überall – auch im Hip Hop.

Aber der Tschusch hält nicht mehr die Pappn und ich werde immer wieder die österreichische Gemütlichkeits-Freunderlwirtschaft-Schweigespirale brechen. Es war Zeit, das publik zu machen und zu zeigen, wie verlogen, scheinheilig und ängstlich diese ganze Kulturlobby ist. Ich bin Hip Hop, Bruder. Und „IKEA-Grätzlfest“, Red Bull Music, McDonalds-Rapper und andere kapitalistische Wichser versuchen die Gegenbewegung Hip Hop in Österreich zu brechen, indem sie Rapper und Rapperinnen mit Scheinen kaufen. Aber nicht mit mir!

Stimmt es, dass dir bei der ursprünglichen Anfrage gar nicht klar war, dass IKEA der große Sponsor ist?

Weder im telefonischen, noch im schriftlichen Kontakt mit mir wurde kommuniziert, dass das ganze eine große IKEA-Branding-Party ist. Mit der Absicht, die feierliche Übernahme von Fünfhaus durch Großkonzerne, spekulierende Immobilien-Haie, Bobos, Elite-Hipster und wannabe-intellektuelle Kultur-Heinzis zu feiern.

Sie nannte irgendwo am Ende der Mail, dass unter anderem Ikea Kooperationspartner sein wird, sprach aber nie davon, dass das Fest im kompletten Konzern-Design und mit dem Titel aufgezogen wird. Es hieß gegenüber mir immer nur „Grätzlfest“.

Du hast auch die Auswahl der Acts kritisiert und wirfst dem Veranstalter vor, zu 80 Prozent Acts mit rein österreichischem Background genommen zu haben. In Fünfhaus hingegen haben 40 Prozent der BewohnerInnen keinen österreichischen Pass.

Es ist in Österreich, besonders in Wien, immer wieder das gleiche Phänomen zu beobachten. Irgendwelche Kultur-Heinzis, die in Elite-Mikroblasen samt Selbstbeweihräucherung leben, wollen plötzlich auf „ich bin so open-minded“ tun. Dann schreiben sie sich Sachen auf die Fahnen, wie dass sie jetzt die Randgruppen in den Ausländerbezirken ansprechen wollen. Versteh’ mich nicht falsch, ich schätze mehrere der Acts, die dort auftreten. Ich halte sie auch für enorm wichtig in ihrem Segment. Auch wenn ich es traurig finde, dass sie sich für so etwas hergeben. Aber es sind – und das ist nicht das erste Mal – dann meistens Studentenrapper, hochgebildete Künstler, FM4-Lieblinge, die am besten dann auch nicht zu viel polarisieren.

Das fundamentale Problem ist: Du schreibst dir etwas wie Minderheitenrepräsentation auf die Fahnen oder in das Leitbild des Festivals, lässt dann aber den Österreicher im Namen der Ausländer reden. Aber sie haben keine Ahnung, wie es war bzw. ist als Jugo oder Türke in Wien aufzuwachsen. Sie haben zu dieser Erfahrungswelt null Bezug. Ihnen hat der Klassenvorstand nicht gesagt: „Das kannst bei denen Jugos machen“. Und sie können das nie zur Gänze nachfühlen, auch wenn sie sich mit uns solidarisieren.

Dabei es gibt so viele authentische Straßenrapper aus Fünfhaus, Ottakring und Simmering. Wenig bekannte und bekanntere wie z.B. die Eastblok Family, zu denen die Kids aus ihren Bezirken aufschauen. Aber beim „IKEA-Grätzlfest“ suchst du solche Leute vergeblich. Weil IKEA und die Veranstalter sich genau vor solchen Leuten anscheißen. Frei nach dem Motto: „Ja, mach ma was im armen Ausländerbezirk, aber ja nicht zu viel Berührungspunkte zur wahren Realität der dort lebenden Menschen“. Dann präsentieren wir ihnen lieber das IKEA-Disney-Wunderland, als die Realität. Alles nur scheinheilige Scheiße…

Die VeranstalterInnen wollen das Grätzl „noch schöner und lebenswerter“ machen. Vielleicht, weil die aktuelle Bevölkerung nicht „hip“ und zahlungskräftig genug für Ikea & Co ist?

Es ist ein großer kapitalistischer Zirkus mit schwerwiegenden Folgen für das ganze Grätzl. Das alles ist vergleichbar mit den angeblichen amerikanischen Friedensmissionen, die ja offiziell „Demokratie, Frieden und Wohlstand“ bringen sollen, aber in Wirklichkeit den Leuten auch das letzte Hemd nehmen und für große Konzerne und Rohstoff-Lieferanten arbeiten. Scheinheilige Scheiße.

Das Festival ist Vorbote der Eröffnung des ersten innerstädtischen IKEAs am Westbahnhof. Ein Herzensprojekt der Wiener Grünen und ihres Planungssprechers Christoph Chorherr. Dabei ist der Konzern für seine Steuertricks bekannt und wird für steigende Mieten verantwortlich gemacht. Wäre das nicht Grund genug, IKEA im Westen von Wien nicht so willkommen zu heissen?

Ich bin so enttäuscht von der angeblichen Mainstream-Linken in Österreich, dass die da mitspielen, lobbyieren und weiß Gott was. Aus der Gegenbewegung in Zwentendorf wurde letztendlich IKEA-Land. Das ist tragikomisch, ebenso wie es immer klarer wird, dass Rechte und Kapitalisten sich gegenseitig verbünden. Elke Kahr, Robert Krotzer und die KPÖ in Graz sind meine Helden. Das sind Leute, die nicht viel reden, sondern vor allem viel tun für die Randgruppen: Aus ihrer eigenen Tasche, wahrhaftig. Elke und Ute Bock sind meine Vorbilder.

Das heißt also, man müsste Alternativen aufbauen? Wie schaut so etwas im Hip Hop in Wien aus?

Ich habe Flüchtlingen, Obdachlosen und jungen Rappern und Rapperinnen ohne Mittel und Infrastruktur immer geholfen. Genauso wie ich mich für Randgruppen wie Frauenfußballerinnen eingesetzt habe. Weißt du, ich bin lieber am Rand, bei den realen Leuten.

Und ich bin genervt von dieser ganzen scheinheiligen österreichischen Kulturlobby. Deswegen habe ich mich entschieden, eigene Festl zu machen. Gemeinsam mit DJ Dent und ESRAP veranstalten wir Gürtel Squad. Bei uns sind alle willkommen, ob intellektuelle Rapper, Straßenjungs oder feministische Rapperinnen. Wir trauen uns das, was sich niemand traut. Nämlich interkulturelle Verbindungen aufzubauen, verschiedene Milieus und Acts an einem Abend zu mischen und einen positiven Ausgangspunkt zum Dialog zu schaffen. Und das auf Augenhöhe. Und wir zahlen jedem Act Gage, auch wenn wir keinen Sponsor haben. Wir machen was für die Szene, wahrhaftig und ohne Profit-Absichten.

In deinem Posting meinst du, dass du einen Teil deiner Fans aufgrund deines politischen Engagements verloren hast. Wie ist es dazu gekommen?

Ich hatte 2010, 2011 sehr viele serbische, bosnische und kroatische Hörer, mit meinem Millionen-Hit Kako je u Becu. Politisch wusste man schon immer, wo ich stehe, aber ich habe es dann immer mehr auch in die Musik einfließen lassen. Seit ich 2013 gemeinsam mit A.Geh Wirklich für die Flüchtlinge Stellung bezogen habe, begann der Teil der serbischen und kroatischen Community, der auf die billigen Tricks von HC Strache und sein orthodoxes Gebetsband reinfällt, mich zu kritisieren und anzugreifen.

Ich kritisiere oft die österreichische Politik, aber ich nehme mir auch kein Blatt vor dem Mund, wenn es um meine eigene Community geht. Ich finde es scheiße, dass so viele Serben und Kroaten diejenigen wählen, für die sie bis zum Jahr 2008 nur „Ausländer“ und „Balkanbanditen“  waren. Vor allem wenn man bedenkt, dass viele von Ihnen selbst ehemalige Flüchtlinge sind, die jetzt gegen die neuen Flüchtlinge schießen.

Ich verstehe vieles und bin tolerant, bin auch in vielen verschiedenen Milieus unterwegs, aber die Aufwertung von uns mit der gleichzeitigen Abwertung von anderen werde ich nicht hinnehmen. Natürlich hat mich das was gekostet. Wenn das der Preis ist, ist das der Preis. Ich will auch morgen noch in den Spiegel schauen können.

Danke für das Interview!

Kid Pex tritt am 23. Juni bei einem Soli-Konzert unter dem Motto „Getroffen hat es einige, gemeint sind wir alle!“ des Bündnisses Linz gegen Rechts in der Linzer Kapu auf.

Interview: Rainer Hackauf.

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