Elend, Eliten, Ellbogen-Mentalität – die Folgen kapitalistischer Politik sind in aller Welt spürbar. Das Haus Bartleby, eine Gruppe von KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen und AktivistInnen, greift nun zu ungewöhnlichen Mitteln: Das „Kapitalismustribunal“ will die herrschende Wirtschaftsordnung auf die Anklagebank setzen.
Es entwickelt sich etwas Neues, was ohne bewährte Fehler auskommen will. Das Kapitalismustribunal ist eine Initiative, in der persönliche Erlebnisse im Kapitalismus mit den großen gesellschaftlichen Fragen verbunden werden. In Wien, der Stadt in der Mitte Europas, findet nun die erste Gerichtswoche des Kapitalismustribunals statt. Dort werden von 1. bis 12. Mai gesammelte Anklagen präsentiert. TeilnehmerInnen sind u.a. mosaik-Blogger Robert Misik, Saskia Sassen, Wolfgang Neskovic, Lili Fuhr, Alon Harel, Fetsun Berhane, Louis Klein, Graeme Maxton und viele andere mehr. Am Abend verwandelt sich der Gerichtshof in die „Siebte Internationale“ mit internationalen Gesprächsgästen und der Versammlung. Dazu zählt auch Diem 25 im Wiener Werk X am 5. Mai mit Yanis Varoufakis und Srecko Horvat.
Ist der Kapitalismus ein Verbrechen?
Seit Mai 2015 konnte jedeR online den Kapitalismus anklagen. Anklagevertretung und Verteidigung bringen Argumente vor. Es wird systematisiert und fair verhandelt. Das Ziel der hochkarätig und international besetzten Mai-Prozesse ist, sich ein Bild von der derzeitigen ökonomischen Systematik zu machen. Mehr als 300 Einzelpersonen haben Anklagen eingereicht. Die Urteile werden dann im November 2016 ebenfalls in Wien gefasst.
Die Entwicklung des Kapitalismustribunals wurde Anfang 2015 zusammen mit dem Club of Rome ausgearbeitet. Seit Mai 2015 können Anklagen eingebracht werden. Ende 2015 fanden die ersten drei Vorverhandlungen in Berlin statt. Mit mehr als 400 TeilnehmerInnen wurde dort das zu verhandelnde Feld bestimmt.
Am deutschen Wesen soll die Welt genesen?
Das Kapitalismus-Tribunal will auch Alternativen zu einem Kapitalismus in der Krise diskutierbar machen. Schließlich beobachten wir beobachten spätestens seit der Krise in Griechenland, wie die Eliten das deutsche Modell des Neoliberalismus brutal in Europa durchsetzen. Die Frontstellung ist aber nicht Deutschland gegen den Rest Europas, sondern es sind die Eliten, die dem neoliberalen Modell nacheifern. Wir alle müssen mit den Folgen dieser Politik leben: Armut und Elend dehnen sich aus, Universitäten wandeln sich zu Ausbildungsbetrieben und Arbeit muss spaßiges Selbstverwirklichungsprojekt sein. Die Burn-Out-Gesellschaft ist die logische Folge.
Der großen Mehrheit der Menschen stehen einzelne GroßeigentümerInnen und Erben gegenüber. Sie leisten wenig, besitzen jedoch fast alles: Betriebe, Land, Mietwohnungen und Medien. Trotzdem sehen ArbeiterInnen und Angestellte ihre natürlichen Feinde oft in Flüchtlingen und MigrantInnen, die ihre Arbeitskraft billig verkaufen. Konkurrenz, Leistungsdruck und Ellbogen-Mentalität erscheinen aktueller denn je.
Bestimmen wir die Regeln selbst!
Die Entwicklungen sprechen für sich: Die ökologische, ökonomische und soziale Katastrophe findet gerade statt. Doch was spricht eigentlich dagegen, die Regeln der Wirtschaft und Gesellschaft, in der wir leben, selbst zu bestimmen? Für die VerfasserInnen dieses Artikels ist klar: Es braucht grundlegende und systematische Erwägungen über unser Wirtschaftssystem.
„Wir lagen die ganze Zeit richtig“, erklärte Graeme Maxton, Generalsekräter des „Club of Rome“, zu Beginn des Kapitalismus-Tribunals im Dezember 2014. Die WissenschaftlerInnen des Clubs of Rome legten bereits 1972 mit „Die Grenzen des Wachstums“ ein analytisches Werkzeug vor, das mittlerweile als unbestreitbar bezeichnet werden kann. Die Prognosen über die Auswirkungen der Fortsetzung des ökonomischen Systems haben sich allesamt bewahrheitet. Mehr als 40 Jahre nach Erscheinen dieser Analyse ist es höchste Zeit zu handeln. Wir müssen die Regeln der Wirtschaft selbst bestimmen!
Der Auftakt des Tribunals findet am 1. Mai im brut Theater in Wien statt, die Gerichtsverhandlungen täglich von 4. bis 12. Mai ebendort, jeweils von 12 bis 21 Uhr.