In Berlin trat am 9. Februar die Bewegung „Democracy in Europe – Movement25“ erstmals an die Öffentlichkeit. Initiiert von dem ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis und unterstützt von zahlreichen AktivistInnen, PolitikerInnen und Intellektuellen aus ganz Europa, will sie nicht weniger als die Rückeroberung der Demokratie in Europa. Raul Zelik war bei der Gründungsveranstaltung dabei und stellt hier eine erste Einschätzung zur Diskussion.
Für Bedenkenträger ist die Varoufakis-Initiative Diem25, die am Dienstag in der Berliner Volksbühne vorgestellt wurde, ein gefundenes Fressen. Der linksliberale Publizist Albrecht von Lucke spottete, bei Varoufakis werde 12 Euro Eintritt für die Revolution verlangt. Und Feuilletonisten kritisierten die Werbeästhetik und die weichgespülte Erneuerungsrhetorik des Theaterabends.
Doch tatsächlich hat die DiEM25-Initiative, die sich die radikale Demokratisierung Europas auf die Fahnen schreibt, einen stärkeren Impuls gesetzt, als man erwarten durfte. Dass der geschasste Finanzminister nach wie vor als Medienmagnet funktioniert und sowohl die morgendliche Pressekonferenz als auch die Abendveranstaltung im großen Saal aus allen Nähten platzten, war weniger überraschend. Auch die Antworten von Varoufakis und seinem Mitstreiter, dem kroatischen Philosophen Srecko Horvat, auf die zu erwartende Kritik, blieben im Rahmen. Nein, natürlich könne ihr Versuch scheitern, eine transnationale Bewegung aufzubauen. Und nein, Bewegungen gründe man gewöhnlich nicht auf einer Pressekonferenz. Aber in Anbetracht der europäischen Krise und des sich rasant ausbreitenden Faschismus der Rechten müsse man endlich Gegenprojekte entwickeln.
Ein radikaldemokratischer Blick
Bemerkenswert war allerdings die Runde, die die OrganisatorInnen offensichtlich chaotisch, aber nicht wahllos versammelt hatten. An die 150 Personen debattierten den ganzen Tag über und teilten in dreiminütigen Kurzstatements ihre Sicht der Lage mit. Dabei wurde das Bild eines pluralen und radikal anderen Europas erstaunlich sichtbar. Der polnische Verleger Slawomir Sierakowski machte auf die extremen Schwierigkeiten kritischer Politik in Osteuropa aufmerksam. Die französisch-arabische Filmemacherin Hind Meddeb sprach über den Kolonialismus als die unsichtbare Seite europäischer Identität. Der US-amerikanische Wikileaks-Aktivist Jacob Appelbaum verwies auf die Staatenlosen als Teil der neu zu schaffenden demokratischen Gemeinschaft, und der italienische Philosoph Sandro Mezzadra stellte die Flüchtlingskrise in den Mittelpunkt jeder linken Politik. Parteiprominenz spielte in dieser Runde keine Rolle, stattdessen dominierte ein diffuser gesellschaftlich-radikaldemokratischer Blick.
Sicherlich sind auch die Leerstellen nicht zu übersehen. Varoufakis‘ „anderes“ Europa ist weiß und stark von AkademikerInnen geprägt. Und ja – der Diskurs von DiEM25 ist so offen „demokratisch“, dass er an Beliebigkeit grenzt. Doch die These, die sich dahinter verbirgt, ist politischer als viele KritikerInnen unterstellen. Varoufakis geht davon aus, dass wir den autoritären und reaktionären Durchmarsch in Europa erleben. Demgegenüber gelte es eine Bewegung aufzubauen, die Liberale ebenso erreicht wie Grüne und Linke.
Transnationale Selbstorganisierung
Varoufakis will also nicht nur eine paneuropäische, sondern auch eine „transversale“ Bewegung, wie sie sich zuletzt bei den Platzbesetzungen 2011 in Spanien und Griechenland gezeigt hat. Bemerkenswert war in diesem Zusammenhang auch, wer DiEM25 im spanischen Staat unterstützt. Nämlich nicht die Partei-Granden von Podemos, die in den Medien zuletzt als „große Strategen der neuen Linken“ gefeiert wurden, sondern die alternativen, basisdemokratischen Bürgerkandidaturen. Das Netzwerk der Ciudades Rebeldes, der seit Mai linksregierten Großstädte steht exemplarisch dafür, wie eine Demokratisierungsbewegung aussehen könnte. Aus der Bewegung gegen Zwangsräumungen PAH entstanden, haben diese Kandidaturen den Versuch gestartet, Institutionen zu verändern, ohne ihre Basisdemokratie preiszugeben.
DiEM25 möchte offenkundig etwas Ähnliches in Gang setzen und dabei Selbstorganisierung, lokale Arbeit und ein transnationales Projekt miteinander verbinden. Dass das gelingen wird, darf man bezweifeln. Bewegungen werden tatsächlich nicht auf Pressekonferenzen gegründet. Aber die Varoufakis-Initiative ist trotzdem wichtig. Sie betreibt eine Art Agenda-Setting für die alternative Linke in Europa. Auf der Abendveranstaltung waren zwar dann neben Slavoj Zizek und Julian Assange vor allem PolitikerInnen zu hören, aber auch da eher solche, die aus Bürgerbewegungen kommen. Kritische Grüne aus Großbritannien, Frankreich und Portugal, Unabhängige aus Irland, aber auch eine Vertreterin von Blockupy.
Die Lage ist ernst
Der Gründungsabend von DiEM25 lässt sich leicht als langatmige Theaterveranstaltung denunzieren, für die Eintrittskarten gelöst werden mussten (im Übrigen auch von den Prominenten). Doch aus Perspektive der europäischen Peripherie stellt es sich anders dar: Griechenland war 2015 der Beweis, dass auch die simpelsten Sozialstandards in der EU nur noch verteidigt werden können, wenn grenzüberschreitende Bewegungen entstehen. Dem europäischen Rand kann es egal sein, welches Hemd Varoufakis in Berlin trug. Was zählt ist, dass etwas in Gang gesetzt wird, das nicht gleich repräsentieren und Ämter übernehmen will.
Am 19. Februar geht es in Madrid mit der von antikapitalistischen Linken bestimmten Plan-B-Konferenz in die nächste Runde. Die Lage ist ernst, und eine Kritik, die eine antirassistisch-demokratische Initiative leichtfertig kaputtredet, macht sie noch ernster.
Raul Zelik ist Schriftsteller, Übersetzer, Aktivist und Politikwissenschafter in Berlin. Dieser Beitrag erschien erstmals auf seinem Blog.