mosaik – Politik weiterhin neu zusammensetzen

Sonnenschirm am Strand. Darüber das Logo von mosaik - Politik neu zusammensetzen

2015 startete mosaik mit großen Ambitionen. Nichts Geringeres war das Ziel, als die österreichische Politik neu zusammenzusetzen. mosaik-Redakteur Hannes Grohs wirft einen Blick zurück und fragt, was für die heutige Situation daraus zu lernen ist.

*** Dieser Beitrag ist der erste Artikel im Rahmen der Reihe mosaik strategy summer. Von Ende Juli bis Ende September veröffentlicht mosaik jede Woche einen Artikel zu strategischen Fragen linker/emanzipatorischer Bewegungen und Kämpfe. ***

Als linkes Medium will mosaik eine Plattform sein, die emanzipatorische Politik zugänglich macht. Positionen und Kämpfe sollen sichtbar werden, die darauf ausgerichtet sind, sich und andere von Unterdrückung zu befreien. Artikel, Interviews, Reportagen und Podcast-Beiträge sollen solidarische Alternativen aufzeigen. Dabei bemüht sich mosaik um eine Sprache und Vermittlung, die nach außen offen ist. Als mosaik-Redaktion wollen wir aber auch nach innen wirken. Wir sehen unsere Aufgabe darin, linke Debatten zu begleiten, verschiedene Stimmen in Austausch zu bringen und Diskussionen anzustoßen. Das tun wir aus interner Perspektive. Wir sind auch abseits der redaktionellen Arbeit in politischen Gruppen und Auseinandersetzungen aktiv. In der Redaktion kommen wir mit dem notwendigen Abstand zu unserer Praxis zusammen und versuchen aus einer gewissen Vogelperspektive Politik neu zusammenzusetzen und Widersprüche produktiv werden zu lassen. Um das auch weiterhin und mit mehr Nachdruck als zuletzt tun zu können, laden wir dazu ein, mosaik aktiv mitzugestalten.

Die Anfänge 2015

Anfang 2015 erschienen die ersten Beiträge am mosaik-blog. Eine (ehrenamtliche) Redaktion veröffentlichte sie. Sie setzte sich aus Personen verschiedener linker politischer Richtungen zusammen. Stark geprägt war sie von Menschen, die in den Jugendstrukturen der Sozialdemokratie groß geworden sind. Aber auch Junge Grüne, der Wandel sowie Personen aus verschiedenen Strömungen der Universitätslinken und gewerkschafts- bzw. NGO-nahe Redakteur*innen mischten mit. Ihr Blick war damals – neben anderen Themen – insbesondere auf den Süden Europas gerichtet.

In Griechenland ging SYRIZA – die „Koalition der radikalen Linken“ – als stärkste Kraft aus den Parlamentswahlen hervor und versprach, dem EU-Austeritätsregime ein Ende zu bereiten. In Spanien formierte sich zur selben Zeit PODEMOS. Die Partei entstand aus der sozialen Protestbewegung 15-M und war bereit, erste Wahlerfolge zu erzielen. Nach Jahren der Krise und scheinbarer Ausweglosigkeit waren erstmals wieder emanzipatorische Erfolge in Europa auf parlamentarischer Ebene zu verzeichnen. Angetrieben wurden sie von der Straße und den Protesten jener Menschen, die unter den politischen Maßnahmen nach der Weltwirtschafts- und Eurokrise am meisten litten.

Im Eröffnungsinterview orteten die damaligen mosaik-Redakteur*innen Sonja Ablinger und Lukas Oberndorfer eine große Krise des Kapitalismus. Die gesellschaftliche Situation sei offen, befinden sie damals. Sowohl eine nachhaltigen Veränderung in eine ‚fortschrittliche‘ als auch konservativ-reaktionär Richtung sei möglich. Es ginge um das entsprechende Angebot, das formuliert werden könne. Und hier wäre Österreich besonders schlecht aufgestellt. Das habe nicht zuletzt der Skandal rund um die Kärntner Hypo Alpe Adria gezeigt. Bis zu 11 Milliarden Euro an öffentlichen Gelder wären bei der Verstaatlichung der Bank versenkt worden. Der Unmut war groß, aber laut Ablinger und Oberndorfer fehlte es an einem Akteur, „der am Höhepunkt diesen Skandal auf fortschrittliche Weise zum Thema gemacht und aufgezeigt hätte, was da wirklich passiert ist.“

Politik neu zusammensetzen

Die Redakteur*innen schlussfolgerten daraus, dass in Österreich Politik neu zusammengesetzt werden müsse – und zwar linke Politik. Sonja Ablinger beschreibt das so: „Politik neu zusammensetzen heißt, überhaupt wieder Räume zu schaffen, wo man gemeinsam linke Alternativen – auch kontrovers – diskutieren kann, wo ein gegenseitiges Vertrauen entsteht, um gemeinsam politisch handlungsfähig zu werden.“ Die mosaik-Redaktion sollte ein Ort dafür sein.

Im Bewusstsein, dass sich Politik nicht alleine neu zusammensetzen lässt, war der Blog jedoch nur ein Baustein einer größeren Strategie. Zwischen 2015 und 2016 lud die mosaik-Redaktion politisch aktive Menschen aus ganz Österreich zu mehreren großen Treffen – sogenannten „Ratschlägen“ – nach Wien ein. Die Fragestellung dieser Treffen: Wie kommen linke Kräfte aus der Defensive und wie können demokratische, solidarische Alternativen stark gemacht werden? Mehr als hundert Personen beteiligten sich kontinuierlich an diesem Prozess. Er mündete schließlich im Juni 2016 in der „Aufbruch-Konferenz“. Diese sollte mit rund 1.000 Teilnehmer*innen „die mit Abstand größte linke Organisierungs-Konferenz in Österreich seit Jahrzehnten“ werden. Ergebnisse dieser Konferenz waren die Gründung lokaler Aufbruch-Gruppen in allen Bundesländern sowie eine erste Kampagne unter dem Titel „Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten“. Etablierte Medien berichteten rund oder im Nachgang der Konferenz – wie etwa der Falter oder die Wiener Zeitung.

Vom Aufbruch zurück zum Medienprojekt

Die weitere Geschichte von Aufbruch muss (und sollte!) an anderer Stelle erzählt werden. Online-Recherchen zeigen sich dazu wenig ergiebig. Die Website der Initiative ist heute nicht mehr aufrufbar. Am mosaik-blog findet sich lediglich noch ein Interview mit Aktivistinnen der auf der Konferenz ins Leben gerufenen Kampagne. Eine davon ist Anna Svec – später maßgeblich am Aufbau der Wiener Partei LINKS beteiligt, für welche sie bei der Nationalratswahl im Herbst in Zusammenarbeit mit der KPÖ auf Bundeslistenplatz 5 antritt.

Für mosaik bedeutete der Aufbruch einen Umbruch. Viele Redaktionsmitglieder widmeten sich vorrangig dem neuen Projekt und schieden aus der redaktionellen Arbeit aus. Die verbliebenen „professionalisierten“ mosaik als Medien-Projekt. So formulieren es heute damalige Redakteur*innen mit der angebrachten Vorsicht. 2017 wurde erstmals die Stelle der koordinierenden Redaktion geschaffen. Damit hielt zusätzliches journalistisches Know-How in die Redaktion Einzug. Inhaltlich erhielt das Projekt einen Drive durch den Aufstieg Sebastian Kurz‘ und einer sich abzeichnenden Türkis-Blauen Koalition. Gegen diese schrieb mosaik in der Folge an. Aber auch andere Themen wurden begleitet. So hatte es sich mosaik gemeinsam mit dem Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft zur Aufgabe gemacht, den Diskurs um und die Auseinandersetzung mit anti-muslimischen Rassismus zu stärken. Das führte sowohl in- als auch außerhalb der Redaktion zu Debatten. Personell sorgten größere Redaktionserweiterungen um 2017, 2018/19 sowie 2021 immer wieder für Erneuerung.

Politische Zeitschleife

Politisch ist in all diesen Jahren viel passiert. Auf den steilen Aufstieg von SYRIZA folgte der lange Abstieg. Aus dem neoliberalen Würgegriff konnte die linke Alternative Griechenland nicht befreien. PODEMOS hat sich als Partei gefestigt. Über die Grenzen Spaniens hinausgehende Strahlkraft hat das Projekt aber schon lange nicht mehr. Auf der Gegenseite haben sich die Rechten konsolidiert. In Österreich wurde die Türkis-Blaue Regierung Realität. Mit viel Glück ist sie verfrüht zu Ende gegangen. Fünf Jahre später steht das Land vor einer Nationalratswahl, aus der die FPÖ wohl als stimmenstärkste Partei hervorgehen wird. International ist die Lage nicht besser – man blicke in die USA, nach Ungarn oder Indien. Dazu kommt eine neue Qualität der geopolitischen und regionalen Zuspitzungen, die insbesondere in den Kriegen in der Ukraine und in Gaza ihren Ausdruck finden.

Starke linke Stimmen dazu, die – wie bereits zur Anfangszeit von mosaik gefordert – ein Gegenangebot machen, sind Mangelware. Die Klimagerechtigkeitsbewegung, die vor allem rund um 2019 als Hoffnungsträgerin galt, befindet sich im Winterschlaf. Liest man die Worte der mosaik-Redaktion zur damaligen Aufbruch-Konferenz, fühlt man sich fast in einer politischen Zeitschleife: „Die Situation ist ernst, die gesellschaftlichen Konflikte spitzen sich zu und wenn es uns nicht gemeinsam gelingt, demokratische und solidarische Alternativen stark zu machen, werden wir von rechts überrollt.“

Der nächste Aufbruch?

Zeit also für den nächsten politischen Aufbruch? Ja und nein. ‚Ja‘ in dem Sinne, dass sich die Debattenkultur innerhalb der Linken dringend ändern muss. Wir scheinen gerade weit davon entfernt, Widersprüche auszuhalten und Konflikte produktiv zu lösen. Das schränkt unsere Handlungsfähigkeit ein. ‚Ja‘ auch dahingehend, dass wir auf vertrauter Basis wieder verstärkt zusammenarbeiten müssen. 2015 sprachen die mosaik-Redakteur*innen von einem notwendigen Mauerfall zwischen Gewerkschafter*innen, kritischen Stimmen innerhalb der Sozialdemokratie und Grünen sowie einer breiteren (aber auch radikaleren) Linken. Heute gibt es mit der KPÖ bundesweit und mit LINKS in Wien ein anderes parteipolitisches Angebot als damals. Den Kontakt zu Gewerkschafter*innen versucht insbesondere auch die Klimagerechtigkeitsbewegung zu halten und neu aufzubauen.

Es gibt aber auch ein klares ‚Nein‘ zu einem neuen politischen Aufbruch. Nämlich, wenn es darum geht, wieder alle linke Gruppen in einen Topf zu werfen, einmal kräftig durchzuschütteln und zu schauen, was dabei rauskommt – nur um es Wochen oder im besseren Fall Monate später wieder sterben zu lassen. Klar sollen Dinge ausprobiert werden. Aber es braucht auch ein Bewusstsein dafür, welcher Wert in Kontinuität liegt und in einer bewussten Praxis, die auf bereits Vorhandenem aufbaut.

Aus diesem Grund haben wir auch mosaik nicht sterben lassen. Obwohl wir vor wenigen Monaten an einem Punkt standen, an dem Vieles dafür gesprochen hätte. Eine ausgedünnte ehrenamtliche Redaktion und eine zentrale journalistische Expertise, die sich nach Berlin verabschiedet hat, wären unter anderem Gründe gewesen. Schwer wogen auch die zahlreichen verpasste Chancen, mit mosaik eine produktivere Rolle für innerlinke Verständigung und Vermittlung einzunehmen – sei es etwa im Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine oder nach dem 07. Oktober.

Einladung zum Mitgestalten

Die Argumente, mosaik weiterzuführen, überwogen aber letzten Endes. Wir wollten eine bald zehn Jahre bestehende linke Struktur nicht leichtfertig versenken. Vor allem weil wir – trotz geschätzter neu entstandener Medienprojekte wie Unter Palmen oder dem Tagebuch – die Notwendigkeit von mosaik und seinem Anspruch, Politik neu zusammenzusetzen, immer noch sehen. Das wir uns dabei auch erneuern müssen? Geschenkt. Deswegen endet dieser Artikel auch mit einer Einladung. Der Einladung das Projekt mitzugestalten, es weiter zu denken und als Teil kontinuierlicher und ernsthafter linker Politik zu stärken. Denn genau diese haben wir notwendig, wenn wir einen neuen Aufbruch wollen.

Ihr habt bis zum Ende gelesen und Lust bei mosaik mitzugestalten? Dann schreibt an kontakt@mosaik-blog.at. Wir freuen uns über Unterstützung und neue Ideen bei unserer redaktionellen und Social Media-Arbeit sowie beim Entwickeln neuer Formate.

Titelbild: Luke Dean Weymark on Unsplash

Autor

  • Hannes Grohs

    Hannes Grohs ist seit 2021 Redakteur bei mosaik. Er beschäftigt sich insbesondere mit Organisierungsfragen in Wien, um Wien und darüber hinaus.

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