Der Würgeengel – Europas Eliten und ihr Syriza-Mobbing Teil 1

Europas Eliten wollen die Syriza-Regierung in die Kapitulation mobben. Gleichzeitig verbreitet sich die Ansicht, Tsipras, Varoufakis & Co. würden es ihren GegnerInnen durch Ungeschicklichkeit leicht machen. Ist da etwas dran? Teil 2 erscheint am Freitag, 20. März auf mosaik-blog.at

Wer zu einer einfachen Weltauffassung neigt, für den oder die sind die Dinge leicht schwarz-weiß. Kräfte der Finsternis stehen gegen die Kräfte des Lichts. Die Unterdrückten gegen die Unterdrücker. Aufklärung gegen Verdummung. Wir können uns hunderte solcher Gegensätze ausdenken. In der wirklichen Welt sind die Dinge oft eine Prise komplexer: Kompromisse werden eingegangen, die Kräfte des Lichts setzen sich nicht vollends durch, aber die Kräfte der Finsternis sind gelegentlich auch bereit, sich mit ihnen zu arrangieren. Zumal es, wie wir ja alle wissen, auch auf der Seite des Lichts ein paar Schattenplätze gibt, und deshalb genauso auf der Seite der Finsternis ein paar Gutmeinende und wache Geister, die bereit sind, sich mit einem neuen Konsens abzufinden, wenn sich die Umstände ändern.

Weniger poetisch und dafür etwas politischer gesprochen heißt das: Politische Blöcke sind nie völlig geschlossen und es gibt immer Raum für Manöver. Das gibt auch der politischen Linken gelegentlich die Möglichkeit, kleine, aber signifikante Fortschritte zu erzielen, selbst wenn ein Sieg im grundsätzlichen Sinn nicht im Angebot ist.

So gesehen gab es Anfang Februar durchaus realistische Gründe zu der Annahme, dass die Syriza-Regierung in Griechenland auch innerhalb des Rahmens der europäischen Institutionen (der EU-Institutionen und der mit ihr verbundenen Institutionen der Euroguppe) die Möglichkeit hat, Fortschritte zu erzielen. Schließlich dämmert so manchen auch in Regierungsämtern langsam, dass Austerität einfach nicht funktioniert. Schließlich gibt es auch beispielsweise in Italien und Frankreich Regierungen, in deren eigenem Interesse ein Aufweichen der deutschen Kürzungs-Dominanz ist und schließlich hat der Wahlsieg von Alexis Tsipras und seiner Partei die politischen Kräfteverhältnisse in Europa verändert. Auch die EZB-Führung kämpft mit ihren Programmen zum Quantitative Easing gegen Depression und Deflation in Europa an. Bemühungen, die aber erfolglos bleiben müssen, solange die politische Seite keine Akzente zur Belebung der Konjunktur setzt. Hier gibt es also auch innerhalb des herrschenden Blocks durchaus Interessenkonflikte. Daher konnte man es zumindest für möglich halten, dass sich daraus ein Spielraum öffnet, der genützt werden kann.

Kaum Hoffnungen auf Kurskorrektur

Sechs Wochen später muss man feststellen, dass sich bis dato jedenfalls ein solches Fenster nicht geöffnet hat – und wenn es je einen Spalt offen war, dann ist es krachend zugeschlagen worden. Hoffnungen auf eine Kurskorrektur in kleinen Schritten sind zerstoben.

In den Verhandlungen, die im Abkommen vom 20. Februar mündeten, haben die FinanzministerInnen der Eurogruppe die griechische Seite mit Blockaden, Drohungen und Erpressung zu einer Abmachung geprügelt, die auf der einen Seite wesentliche Teile der bisherigen Programme unangetastet lässt, und die auf der positiven Seite nur zwei Momente aufweist: Einerseits ist sie vage genug, um praktischen Spielraum zu lassen, andererseits wurden die Budgetziele Griechenlands gelockert. Dieser einzige konkrete positive Punkt ist aber durch die Tatsache längst obsolet, dass sich das Steueraufkommen Griechenlands in den letzten Monaten dramatisch reduzierte. Das heißt: Vom Primärüberschuss, der der Regierung Spielraum gegeben hätte, ist heute praktisch nichts mehr übrig.

Angesichts dessen, was seither geschah, gibt es keinen Zweifel mehr, dass es das Ziel der wesentlichen europäischen AkteurInnen – also der FinanzministerInnen der Mitgliedstaaten und der EZB – ist, die griechische Regierung praktisch zu erdrosseln. Allein die EU-Kommission setzt Kontrapunkte, freilich im Rahmen ihrer begrenzten Möglichkeiten.

Der griechischen Regierung geht das Geld aus – aber die WortführerInnen der Eurogruppe bekunden höhnisch, die mit dem Abkommen vom Februar verbundenen Geldmittel werden erst irgendwann fließen, schließlich muss die Syriza-Regierung ja erst beweisen, dass sie ausreichend gefügig ist. Die Euro-Regierungen wollen “die griechische Regierung zur Kapitulation mobben”, kommentiert der New Yorker

Auch die EZB zieht von Tag zu Tag die Daumenschrauben fester, und zwar in einem Maße, das ihr als “unpolitische”, neutrale Institution der Geldpolitik nicht zukommt. Sie macht Politik, wie sie das schon in einigen anderen Fällen getan hat, etwa in den letzten Tagen der Berlusconi-Regierung in Italien oder bei der Quasi-Erpressung der zypriotischen Regierung. Sie sieht es auf skandalöse Weise als ihr Recht an, demokratische Entscheidungen zu korrigieren – ein klarer Verstoß gegen Geist und Buchstaben der europäischen Verträge. Sie lässt nur mehr Tropfen aus dem Liquiditätshahn für die griechischen Banken. Sie gestattet indirekte Staatsfinanzierung, die die griechische Regierung kurzfristig Liquiditätsengpässe überstehen ließe, nur in kleinsten homöopathischen Dosen. Alles Dinge, von denen jeder und jede weiß, dass sie sich ganz anders verhalten würde, wenn sie es mit einer konformistischen Regierung zu tun hätte.

Und das, wohlgemerkt, obwohl sich “Syriza ohnehin in die Richtung bewegt hat, die die EU will – in den Augen mancher ihrer Mitglieder sogar zu weit” (John Cassidy im New Yorker). Beinahe jeder – auch noch so maßvolle – Vorschlag der Syriza-Regierung wurde abgeschmettert. Zu allem sagten die AnführerInnen der Eurogruppe – das heißt de facto der alles bestimmende deutsche Finanzminister Schäuble – ihr stetes und wiederkehrendes Njet. Und das, ohne auch nur selbst irgendeinen konstruktiven Vorschlag zu machen. Man kann ja sagen: Euer Plan gefällt uns nicht, wir schlagen dafür einen anderen vor. Doch etwas dieser Art blieb ja völlig aus, wie Harald Schumann im Tagesspiegel analysierte.

“Keinerlei Vorschlag, wie denn stattdessen die Not der Griechen gemindert oder wenigstens die medizinische Katastrophe im Land aufgehalten werden soll. Vielmehr soll das bisherige Programm einfach fortgesetzt werden, ganz gleich, welches Unheil das anrichtet. Die „geschlossenen Verträge“ und „vereinbarten Regeln“ seien nun mal einzuhalten, erklärt Schäuble triumphierend. So wird immer klarer, dass es beim Ringen zwischen der Athener Linksregierung und den anderen Euro-Staaten nicht wirklich ums Geld geht. Wäre Kanzlerin Merkel, Minister Schäuble und ihren Kollegen tatsächlich daran gelegen, möglichst viel der an Griechenland ausgereichten Kredite zurückzubekommen, dann würden sie die Chance nutzen, die eine vom Oligarchenfilz und Klientelismus unbelastete Regierung in Athen bietet. Dann würden sie Tsipras und seinen Ministern den finanziellen Spielraum verschaffen, den diese für den Aufbau eines funktionierenden Staatswesens und den Bruch mit dem alten Machtkartell benötigen. Aber die VerwalterInnen der Euro-Krise fürchten den Erfolg einer linken Regierung offenkundig mehr als die milliardenschweren Verluste auf ihre Kredite, die das Scheitern der Regierung Tsipras ihnen zwangsläufig bescheren wird. Schließlich könnte das Beispiel Schule machen. Auch in Spanien, Portugal und sogar in Irland könnten linke Basisbewegungen bei den dort anstehenden Wahlen die Mehrheit gewinnen. Schäuble und die Kanzlerin nehmen die Gefahr billigend in Kauf.”

Es ist mittlerweile also völlig offensichtlich, dass es nicht nur nicht gelungen ist, den herrschenden Block in Europa aufzuweichen, sondern dass dieser sich sogar verhärtet hat und entschlossen ist, die griechische Regierung auflaufen zu lassen. “Wir blickten vom ersten Tag an in den Lauf einer geladenen Pistole”, ist aus Syriza-Führungskreisen zu hören.

Ist die Syriza-Regierung zu konfrontativ?

In dieser Situation werden nun paradoxerweise nicht jene Stimmen lauter, die den fatalen Kurs der Eurozonen-Zampanos kritisieren, sondern jene, die dafür der griechischen Regierung die Schuld geben. Deren wesentliche Akteure würden ungeschickt und chaotisch agieren, unnötig konfrontativ und aggressiv sein und sogar mögliche BündnispartnerInnen abschrecken, wird da auch von durchaus wohlwollenden BeobachterInnen kritisiert. Wenn es in Westeuropa je so etwas wie einen medialen Honeymoon für die Syriza-Leute gegeben hat – er ist jetzt jedenfalls vorbei. Spin-Doctoren und JournalistInnen, die der Macht, die mit Nähe lockt, bereitwillig auf den Leim gehen, haben daran einen nicht unerheblichen Anteil.

Jetzt ist freilich äußerst fraglich, ob ein “konzilianteres” oder sonst wie geschickteres Agieren der Syriza-RepräsentantInnen irgendetwas am ganz offensichtlich planmäßigen Crash-Kurs der Eurogruppe geändert hätte – aber dennoch darf natürlich die Frage gestellt werden, ob die Syriza-Akteure auch ihrerseits etwas falsch gemacht haben. Eine echte, klare Strategie war ja nicht immer zu erkennen. Vor allem Tsipras und Varoufakis begannen ihre Amtszeit mit einer reisediplomatischen Charmeoffensive, haben sich dann aber auch zeitweise herausfordernd kompromisslos gegeben. Die Frage, ob das einem raffinierten taktischen Konzept oder eher erratischem Tagesagieren geschuldet war, liegt natürlich auf der Hand. Möglicherweise lag dem eine “Good-Cop/Bad Cop”-Strategie zugrunde, oder der Plan, man könnte mehr rausholen, wenn man eine Konfliktstrategie fährt, ein Plan, der bloß nicht aufgegangen ist. Gewiss haben beide auch ein paar Fehler gemacht. Die betreffen auch die mittlerweile zum Überdruss strapazierten Aspekte von “Stil” (Motorrad, offene Hemden, Homestorys), die natürlich eine zweischneidige Sache sind: Erst rufen sie ein positives Bild im Sinne von “die sind frisch, ganz anders” hervor, bergen aber gleichzeitig die immense Gefahr, nach einer gewissen Zeit nach hinten los zu gehen (“haben die keine anderen Themen als Klamottenfragen?”). Viele der Vorwürfe werden eindeutig in einem Info-Krieg fabriziert: Da wird von Brüsseler Spin Doctoren gezielt gestreut, alle Euro-FinanzministerInnen seien schon völlig genervt von Varoufakis’ makroökonomischen Belehrungen – und niemand fällt die Absurdität des Argumentes auf, dass man im Kreise von FinanzministerInnen offenbar nicht über Wirtschaft diskutieren will. Gewiss wurden auch eindeutige politische Fehler gemacht: Zu sagen, dass nach einem sog. Grexit als nächstes Italien der Bankrott drohen würde, weil auch dieses Land praktisch insolvent ist, mag durchaus der Wahrheit entsprechen, ist aber dennoch nicht besonders klug, wenn man die italienische Regierung oder auch nur Teile der italienischen Öffentlichkeit als Verbündeten gewinnen will. Auch die offenherzige Bekundung, dass Griechenland als illiquide behandelt wird, obwohl es eigentlich insolvent ist, erleichtert der EZB nicht gerade die weitere Versorgung des Landes mit Geld, wenn man weiß, dass deren Statuten nur erlauben, Mittel für “illiquide” Institutionen zur Verfügung zu stellen, nicht aber für “insolvente” (gleiches gilt auch für das Regelwerk des IMF).

Gleichzeitig kann man einwenden, dass die Syriza-AkteurInnen hier einfach in einem Zielkonflikt sind: Einerseits ist der Umstand, dass sie Tacheles sprechen, ein wesentlicher Teil ihres Erfolges bei den Leuten, andererseits macht man sich damit in der Welt der Diplomatie ebenso wenig Freunde wie in der Finanzwelt, in der man ja das Kapital, das “scheu wie ein Reh” ist, nicht durch flotte Sprüche verstimmen darf.

Diese Kritik wird nicht nur aus den Kreisen neokonservativer FeindInnen der griechischen Regierung vorgetragen, sondern auch von gemäßigt Mitte-Links-Akteuren in Politik und Medien, die durchaus ein gewisses Wohlwollen haben. Oft werden hier natürlich Kleinigkeiten aufgeblasen, und man kann schon nach der Verhältnismäßigkeit fragen, wenn bei dem einen Finanzminister tagelang über seinen Mittelfinger gestritten wird, während kaum jemand etwas dabei findet, dass sein deutscher Amtskollege seinerzeit gerne 100.000 D-Mark Schwarzgeld in verschlossenen Briefumschlägen entgegen nahm. Aber all das heißt natürlich deswegen noch lange nicht, dass alle Aspekte der Kritik falsch sind. Und natürlich kann man sagen: Fehler macht ein jeder. Man kann aber auch hinzusagen: In einer prekären Situation, in der es darum geht, Bündnisse zu schmieden und Terrain zu gewinnen, sollte man eher so wenige Fehler wie möglich machen.

Hier geht es zu Teil 2 des Beitrags.

Robert Misik ist Journalist und Sachbuchautor. Er lebt und arbeitet in Wien.

 

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