Skandal um Tiroler Festspiele Erl: Warum Bau-Milliardär Haselsteiner einen Blogger verklagt

„Modernes Sklaventum“, „Korruption“, „sexuelle Nötigung“: Der Tiroler Blogger Markus Wilhelm hat schwere Vorwürfe gegen Gustav Kuhn, den Leiter der Festspiele Erl, ans Tageslicht gebracht. Nun wird er von Kuhn und dem Bau-Milliardär Hans-Peter Haselsteiner mit Klagen eingedeckt. Gernot Trausmuth berichtet über die Hintergründe.

Die Tiroler Gemeinde Erl ist bekannt für ihre Passionsspiele. Unter der künstlerischen Leitung von Gustav Kuhn sollen die dort engagierten KünstlerInnen am eigenen Leib eine moderne Leidensgeschichte erfahren haben.

Im Februar brachte Markus Wilhelm auf seinem Blog dietiwag.org, der schon eine Reihe von Skandalen im „Heiligen Land“ aufgedeckt hat, Vorwürfe gegen den künstlerischen Leiter der Tiroler Festspiele Erl ans Tageslicht.

Im Festspieldorf werden großteils KünstlerInnen aus Italien und Weißrussland engagiert. Ihr Arbeitsalltag sei laut Berichten von ehemaligen MitarbeiterInnen von schlechter Bezahlung und miserablen Arbeitsbedingungen gekennzeichnet. Dazu soll in Erl auch ein System von Angstmacherei, Diskriminierung und Machtmissbrauch bis hin zu sexuellen Übergriffen gegenüber weiblichen Künstlerinnen herrschen.

„Hungerlohn“, „Misshandlungen“

Zitate von ehemaligen KünstlerInnen und MitarbeiterInnen lassen tief blicken: „Ich hab in der Saison (…) unter Gustav Kuhn dort als Bühnentechniker gearbeitet. Das war schon sehr heftig! Ein kleines Team von Bühnentechnikern, das praktisch im Dreischichtmodus gearbeitet hat, bis zur Erschöpfung und somit unverantwortlich!

Die Bezahlung war miserabel! (…) Dort habe ich auch mitbekommen, wie die oftmals aus Osteuropa stammenden Orchestermusiker gelinde gesagt ausgebeutet wurden.“ „Der Verdienst, der bleibt, ist ein Hungerlohn. Und dafür wird man noch misshandelt.“

Schweigepflicht für MitarbeiterInnen

Kuhn scheint eine Vorliebe für stundenlange Proben zu haben, bei denen die MusikerInnen ewig durchspielen müssen. Zeugen berichten, dass sich die KünstlerInnen meist nur im Supermarkt ihr Essen holen, damit sie sich ein bisschen etwas ersparen können. Die Dienstverträge sehen Gehälter vor, die weit unter den branchenüblichen Standards liegen. Die Bruttobezüge sollen bei gerade einmal 38 bis 40 Euro pro Tag liegen.

Eine von Wilhelm veröffentlichte „Vereinbarung“, die die Mitwirkenden unterzeichnen müssen, sieht vor, dass ihnen weder Urlaub, Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, Krankenentgelt, Kündigungsschutz noch Abfertigung zustehen bzw. dass arbeitsrechtliche Bestimmungen bei diesem Beschäftigungsverhältnis keine Anwendung finden. Die MusikerInnen unterschreiben außerdem, dass sie eine Schweigepflicht über die Zustände in Erl einhalten.

Ehemalige KünstlerInnen berichten anonym von Demütigungen und Mobbing. Frauen, die in Kuhns Beuteschema fallen, soll sich der „Maestro“ schon mal zum „Walkürentest“ aufs Zimmer bringen lassen. Im Pfarrwidum soll der Meister sogar ein eigenes „MFZ“ (Maestro-Freizeit-Zimmer) haben.

Kuhn und Haselsteiner klagen

In der Karwoche hat die Gewerkschaft mit Unterstützung von linken AktivistInnen in Erl ein Flugblatt verteilt, um die KünstlerInnen über ihre Rechte zu informieren.

Bei den Verantwortlichen der Tiroler Festspiele liegen die Nerven seitdem blank. Gustav Kuhn selbst hat bereits gegen Markus Wilhelm geklagt. Und nun ist auch der Mann in den Ring gestiegen, der den Kulturbetrieb in Erl als gönnerhafter Mäzen finanziert: Milliardär und Baulöwe Hans-Peter Haselsteiner, das Aushängeschild liberalen Unternehmertums in diesem Land. Haselsteiner ist Vorstand der Festspiele Erl Privatstiftung, der 100%-Eigentümerin der Festspiele Erl BetriebsgesmbH. Vier zivil- bzw. medienrechtliche Klagen haben Haselsteiner und Kuhn gegen den Blogger bereits eingebracht.

Spendenkampagne für Markus Wilhelm

Haselsteiner und Kuhn können sich in Tirol der Unterstützung durch die Landespolitik sicher sein. Haselsteiners Privatstiftung bekam für die Jahre 2017 bis 2019 jährliche Subventionen von über einer Million Euro zugesprochen. Haselsteiner selbst hat von Landeshauptmann Platter (ÖVP) das silbervergoldete „Ehrenzeichen des Landes Tirol“ verliehen bekommen. Auch die Tiroler Medienlandschaft berichtet sehr wohlgesonnen über Kuhn und Haselsteiner.

Markus Wilhelm hat es einmal mehr gewagt, mit seiner kritischen Berichterstattung diesen Machtzentren die Suppe zu versalzen. Die Klagen gegen ihn könnten existenzbedrohende Ausmaße annehmen. Eine Spendenkampagne soll dem Blogger nun den Rücken stärken.

Entscheidend wird aber auch sein, ob die gewerkschaftliche Kampagne bei den Tiroler Festspielen Erl die betroffenen KünstlerInnen so stärkt, dass sie sich wehren und ihre Rechte einfordern können.

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