Schamberger: “Wir können von der kurdischen Bewegung lernen”

Am Donnerstag hat Kerem Schamberger sein aktuelles Buch in Wien vorgestellt. Im Vorfeld hat sich mosaik mit ihm getroffen, um über seine Arbeit, das zynische Geschäftsmodell Erdoğans und die Betonung von Gemeinsamkeiten zu sprechen.

Im Zuge der Mitgliederversammlung von Transform Europe war Kerem Schamberger als Vertreter des Münchner Instituts für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung in Wien zu Gast. Gemeinsam mit Michael Meyen hat er Anfang September ein Buch unter dem Titel „Die Kurden: Ein Volk zwischen Unterdrückung und Rebellion“ herausgebracht. Schamberger hat es am Donnerstag in Wien vorgestellt, am Samstag wird es in Linz präsentiert. Beinahe hätte er aber gar nicht einreisen dürfen. An der Grenze zwischen Österreich und Deutschland zwang ihn die Polizei, aus dem Zug zu steigen. Er musste den Behörden erklären, was er in Österreich vorhabe und warum er zuletzt Palästina besuchte. „In Bayern steht man schnell auf eine ‚Gefährder‘-Liste“, sagt Schamberger. „Das führt dann zu sowas.“  Schlussendlich durfte er doch nach Österreich.

mosaik: Du hattest aufgrund deiner politischen Aktivitäten in der Vergangenheit ja  Probleme mit deinem Job. Ein Berufsverbot an der Uni München stand im Raum. Wie ist die Situation jetzt?

Kerem Schamberger: Aufgrund einer großen, internationalen Solidaritätskampagne war der Druck auf die Universitätsleitung so groß, dass sie Ende 2016 meiner Einstellung stattgeben mussten. Seit 1. Jänner 2017 bin ich nun wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Uni München. Mit dem einzigen Unterschied, dass als Nebeneffekt der Solidaritätskampagne, ein Netzwerk kritischer und antikapitalistischer KommunikiationswissenschaftlerInnen in Deutschland entstanden ist. Das war das Gegenteil von dem, was Verfassungsschutz und staatliche Repression erreichen wollten.

In dem neuen Buch, das du mit-herausgegeben hast, geht es um die Geschichte der KurdInnen. Aktuell steht ja vor allem das türkisch-kurdische Verhältnis im Fokus der Aufmerksamkeit. Fast vergisst man dabei, dass unter dem türkischen Präsidenten Erdoğan noch vor rund fünf Jahren ein Annäherungsprozess stattgefunden hat. Warum ist die Situation heute so anders?

Es gab von Dezember 2012 bis April 2015 Vorgespräche für einen Friedensprozess, in die viele – auch ich – Hoffungen gesetzt haben. Dabei war aber eigentlich immer klar, dass die AKP diese Gespräche nicht führt, um einen Ausgleich zu schaffen. Es ging ihr darum, die eigene Macht besser abzusichern. Die AKP hat zunächst versucht, die Kurden im Sinne von Wählerstimmen zu gewinnen. Gelungen ist das nie.

Im Vorfeld der Parlamentswalen vom Juni 2015 hat dann der Vorsitzende der HDP, Selahattin Demirtaş, der mittlerweile im Gefängnis sitzt, gesagt, „Wir werden dich nicht zum Staatspräsidenten machen“. Da war Erdoğan klar, dass seine Strategie nicht funktioniert.

Die Strategie nach diesen Wahlen bestand dann aus einer gezielten gesellschaftlichen Spaltung. Auf der einen stehen die Terroristen – also die türkische Linke, Kurden und Demokratiebewegung –, auf der anderen Seite alle, die Erdoğan unterstützen. Der Angriffskrieg auf Afrin von Anfang des Jahres ist hier einzuordnen, ebenso wie die Verhaftung streikenden Bauarbeiter in den letzten Tagen.

Über die Situation in Afrin wird in etablierten Medien nicht mehr viel berichtet. Wie ist die Situation vor Ort?

Es ist immer noch so, dass dort zehntausende Menschen auf der Flucht sind. Zur Zeit findet dort überdies eine Art Zwangs-Arabisierung statt. KurdInnen und andere Minderheiten werden vertrieben und dafür Araber – konkret Angehörige der so genannten „Freien Syrischen Armee“, die vor allem aus vertriebenen dschihadistischen Gruppen besteht – angesiedelt.

Gleichzeitig geht der Widerstand der multikonfessionellen Bewegung in Rojava weiter. Nicht mehr durch einen Stellungskrieg, sondern durch gezielte militärische Aktionen gegen Besatzungssoldaten und dschihadistische Kommandanten. Es geht ihnen darum, zu signalisieren: „Eine dauerhafte Besiedelung wird euch hier nicht gelingen!“

Jenseits von Solidarität, warum sollte sich die Linke im deutschsprachigen Raum für die KurdInnen interessieren?

Es geht nicht mehr um die klassische Solidarität der 1970er und 1980er Jahre, wo westliche Linke dort hingehen und „denen da“ helfen. Wir können nun viel mehr von den gesellschaftlichen Umgestaltungsprozessen – zum Beispiel in Nordsyrien – lernen. Etwa wie man eine progressive Volksbewegung mit linken Idealen initiiert, gleichzeitig aber nicht die religiösen Teile der Bevölkerung verprellt.

Die kurdische Befreiungsbewegung ist da sehr feinfühlig, das haben wir als Linke, vielleicht Marxisten, oft Atheisten nie so wirklich hinbekommen. Es geht um ein wechselseitiges Lehren und Lernen. Das Interessante an der kurdischen Bewegung ist, dass sie in Teilen sehr offen für diese neue Art der Solidarität ist.

Ende September kommt der türkische Präsident zum Staatsbesuch nach Deutschland und wird als hoher Staatsgast empfangen. Was wären linke Forderungen an die Regierungen in Deutschland oder Österreich im Umgang mit Erdoğan?

Keine Zusammenarbeit mit solchen Verbrechern. Die Bundesregierung könnte die Wirtschaftskrise in der Türkei nützen, um Druck auf die türkische Regierung zu machen. Das ist aber politisch und wirtschaftlich nicht gewollt. Vor allem, weil das Bankensystem in der Türkei von Deutschland geschützt wird, da die Banken wiederum vor allem im ausländischen Besitz stehen und daher von Deutschland als „systemrelevant“ eingestuft werden.

Welche Rolle spielt der Deal zwischen der EU und Erdoğan bei der Gastfreundschaft?

Klar, das spielt eine Rolle. Merkel und die EU unterstützen Erdoğan mit Milliarden, damit er Flüchtlinge davon abhält, nach Europa zu kommen. Um zu zeigen, wie absurd das ist: Die Politik Erdoğans sorgt dafür, dass in Afrin Anfang des Jahres hunderttausende Menschen fliehen. Zur gleichen Zeit bekommt er zwei Milliarden Euro von der EU zur Abwehr von Flüchtlingen. Das ist ein zynisches Geschäftsmodell.

Mit Max Zirngast sitzt gerade ein Journalist und Blogger aus Österreich in der Türkei im Gefängnis. Die genauen Vorwürfe sind noch unklar. Kennst du Zirngast?

Ich kenne ihn, wir sind über Facebook in Kontakt. Er schreibt für das lesenswerte re:volt magazine und kennt sich auch in der Türkei besser aus als ich, da er in Ankara gelebt hat. Seine Inhaftierung war zugleich ein Schock für mich, aber auch, so bitter das klingt, Gewohnheit. Schließlich sind viele meiner türkischen oder kurdischen Bekannten schon festgenommen worden.

Du hast dir einen Namen als Türkei-Experte gemacht, bist aber auch Aktivist. Welche Perspektiven linker Organisierung in Deutschland siehst du gerade?

Wenn wir die Analyse teilen, dass es gerade eine massive Rechtsentwicklung gibt, die darauf abzielt, auch liberale Rechte abzubauen, dann ist jetzt nicht die Zeit, die Spaltungslinien zu betonen.

Statt Vertreter der „reinen Wahrheit“ zu sein, sollte das Gemeinsame gesucht werden. Also ein gemeinsames Projekt, ein gemeinsames Narrativ, das Menschen begeistern kann. Als Marxist bringe ich meinen Standpunkt gerne in Debatten ein. Aber ich versuche möglichst ohne spalterisch und sektiererisch zu sein, immer auf der Suche nach dem Gemeinsamen.

Du bist im linken Think-Tank ISM organisiert, indem SozialdemokratInnen genauso organisiert sind wie MarxistInnen. Wie funktioniert das bei euch?

Im ISM findet sich ein breites Spektrum an Positionen, die ich teilweise auch kritisieren würde. Trotzdem müssen wir schauen, dass linke Teile der Sozialdemokratie, linke Teile der Linkspartei und die linken Ansätze aus dem sozialökologischen Spektrum zusammenarbeiten und gemeinsam etwas schaffen.

Nicht mit dem Fokus auf ein rot-rot-grünes Regierungsprojekt, sondern als eine Bewegung von unten. Die muss die sozialdemokratischen, feministischen, sozialistischen, ökologischen Leute in der Bevölkerung ansprechen. Nur dann können wir endlich von links Druck auf die etablierten Parteien machen.

Die Fragen für mosaik hat Rainer Hackauf gestellt.

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