Der Widerstand lebt im Hambacher Forst

Wenn es nach Politik und dem Energiekonzern RWE geht, soll der artenreiche Hambacher Wald dem Braunkohletagebau weichen. Seit sechs Jahren ist der Wald von Klimaaktivist*innen besetzt, seit letzter Woche räumt ihn die Polizei. Warum der „Hambi“ der aktuell wohl wichtigste Ort Europas im Kampf um Klimagerechtigkeit ist, erklärt Mathias Krams.

Seit einer Woche läuft sie, die Räumung von Wegblockaden und über 50 Baumhäusern im Hambacher Wald im deutschen Rheinland. Ein Großaufgebot der Polizei soll die Rodung des Waldes ab Mitte Oktober ermöglichen. Räumpanzer und Hebebühnen sind im Einsatz, riesige Schneisen werden in den Wald geschlagen, um mit den Fahrzeugen zu den Baumhäusern zu gelangen. Nach dem Tod eines Journalisten am Mittwoch, der aus 15 Metern abstürzte, ist die Räumung vorübergehend ausgesetzt. Währenddessen versuchen Wasserwerfer am Waldrand – wie zuletzt am vergangenen Sonntag – die tausenden Demonstrant*innen vom Eindringen in den Wald abzuhalten.

Sie kämpfen für einen Wald von immenser Bedeutung: 350 Jahre sind dort die ältesten Bäume alt, 142 bedrohte Arten sind heimisch. Doch von dem einst 5500 Hektar großen Waldgebiet sind nun mehr 500 Hektar übrig. Und auch diese sollen bald der Kohleförderung weichen. Die Entschlossenheit, die die Besetzer*innen an den Tag legen, wie sie sich mit ihren verletzlichen Körpern der Natur- und Klimazerstörung in den Weg stellen, hat längst für große nationale wie internationale Aufmerksamkeit gesorgt.

Politik auf Seiten RWEs

Der Hambacher Forst ist zum internationalen Symbol für den Widerstand gegen kapitalistische Naturzerstörung und die Verstromung von Braunkohle geworden. Aus der Luft betrachtet wirken die Braunkohlegruben wie tiefe Narben in der weitläufigen Landschaft. Zusammen verschlingen diese Tagebaue in Deutschland mehr als die vierfache Fläche des Bodensees. Allein die Gruben im Rheinland stellen die größten CO2-Quellen Europas dar und tragen täglich zur Klimakrise und globalen Ungerechtigkeiten bei. Den Gruben zum Opfer gefallen sind außerdem zahlreiche Dörfer in der direkten Umgebung. Ganze Ortschaften wurden umgesiedelt, der denkmalgeschützte Immerather Dom wurde abgerissen, Dorfgemeinschaften zerstört.

Verantwortlich dafür ist eine Politik, der die Profitmaximierung von Großkonzernen wichtiger ist als das Wohlergehen von Mensch und Natur. Besonders deutlich zeigt sich das auch bei der laufenden Räumung: Veranlasst wurde sie durch die Landesregierung Nordrhein-Westfalens. Perfider Vorwand ist der fehlende Brandschutz bei den Baumhäusern der Besetzer*innen. Dabei beschlagnahmte die Polizei selbst zuvor Feuerlöscher.

Verwunderlich ist ein solches Handeln der Landesregierung aufgrund der zahlreichen Verstrickungen zwischen RWE-Konzern und der Landes- und Lokalpolitik nicht. Über Jahrzehnte haben sich die Interessen des Konzerns tief in die Regierungspolitik eingeschrieben. Viele Kommunen in Nordrhein-Westfalen, darunter Dortmund, Essen und Mühlheim an der Ruhr, halten Anteile an RWE. Ihre städtischen Haushalte sind damit finanziell vom Profit des Unternehmens abhängig. Immer wieder finanzierte der Konzern Nebeneinkünfte von zahlreichen politischen Entscheidungsträger*innen. Auch CDU-Ministerpräsident Armin Laschet wird vorgeworfen, sich im Konflikt einseitig für RWE-Interessen einzusetzen.

Breiter Widerstand

Aus Empörung über diese Politik ist eine breite Allianz entstanden, die auf vielfältige Weise dafür kämpft, die Zerstörung zu stoppen. Dazu gehören die die ausdauernden Besetzer*innen des Waldes, die ihren Lebensmittelpunkt in den Hambacher Forst verlegt haben. Die Kampagne Ende Gelände mobilisiert für Aktionen des zivilen Ungehorsams zu den Kohlegruben, um für Klimagerechtigkeit zu streiten. NGOs wie der Bund für Natur und Umweltschutz (BUND) und Greenpeace versuchen durch Klagen, der Zerstörung Grenzen zu setzen und unterstützen durch das Aufstellen von Wohncontainern die Infrastruktur des Widerstandes. Teil der Allianz sind auch lokale Bürger*inneninitiativen wie die Buirer für Buir, die sich für den Erhalt des Waldes und eines lebenswerten Zuhauses einsetzen und für die lokale Verankerung der Proteste sorgen.

Waldpädagoge Michael Zobel vermittelte durch über 50 Führungen – zuletzt mit mehr als 1.000 Menschen – Wissen über den einzigartigen Lebensraum. Auch Vertreter*innen der regionalen Kirchen engagieren sich, wie beispielsweise jene zwölf Pfarrer*innen, die sich durch eine Sitzblockade der Räumung in den Weg stellten – und von der Polizei weggetragen wurden. Mit „Sorge und Unverständnis“ blickt die Evangelische Kirche in Deutschland auf die anstehenden Rodungen im Wald. Die Fortführung des Kohleabbaus gefährde die Lebensgrundlage kommender Generationen.

Umkämpfte Naturverhältnisse

Die Auseinandersetzungen um den Hambacher Forst sind weit mehr als ein lokaler Konflikt um ein Stück Wald. Sie stehen exemplarisch für das Ringen um die Ausgestaltung gesellschaftlicher Naturverhältnisse. Dabei geht es um die Frage, wie wir Ressourcen ausbeuten, wie wir produzieren und konsumieren, aber auch welche Emissionen und Abfälle dadurch erzeugt und in die Natur zurückgegeben werden.

Wenn sie es auch mit unterschiedlichen Worten ausdrücken – die einen sprechen von der Überwindung von Ausbeutung und Herrschaft, die anderen von der Bewahrung der Schöpfung und wieder andere vom Erhalt eines lebenswerten Zuhauses –, die breite Allianz der Waldbeschützer*innen eint, dass sie die (fast) uneingeschränkte Ausbeutung und Zerstörung der Natur ablehnen. Sie wollen die Unterordnung der Natur unter die kapitalistische Mehrwertproduktion, wie sie prägend ist für unsere Produktions- und Gesellschaftsordnung, nicht länger hinnehmen.

Vom Hambacher Wald lernen

Der symbolträchtige Kampf im Hambacher Wald um genau dieses kapitalistische Naturverhältnis ist auch für Österreich von Bedeutung. Sein Ausgang wird über Deutschland hinaus richtungsweisend dafür sein, ob es gelingen kann, klima- und umweltzerstörende Politik aufzuhalten und eine Kehrtwende einzuleiten. Bisher sind die CO2-Emissionen Österreichs im Vergleich zum Jahr 1990 – trotz sogenannter Klimamaßnahmen der Regierungen – um kein einziges Gramm gesunken. Zuletzt stiegen sie sogar wieder an. Auch hierzulande werden durch klimaschädliche und naturzerstörerische Großprojekte in erster Linie Konzerninteressen bedient. Die Natur wird dem Profit geopfert, ernsthaft kämpft die Politik nicht gegen die Ursachen der Klimakrise.

Solidarisch zu sein mit den Kämpfen in Hambacher Forst bedeutet nicht nur Unterstützung der Menschen dort. Es bedeutet, selbst aktiv zu werden und sich gegen den geplanten Bau der dritten Piste am Flughafen Wien-Schwechat sowie des Lobautunnels zu wehren. Von den Erfahrungen im Hambacher Wald können wir dabei lernen, dass zum einen eine öffentliche Zuspitzung der Konflikte nötig ist, um auf die katastrophalen Auswirkungen dieser Großprojekte hinzuweisen. Zum anderen zeigt sich im Hambacher Forst aber auch, dass durch entschlossenes Handeln und breite gesellschaftliche Bündnisse Dynamiken entstehen können, die auch eingefahrene Verhältnisse ins Wanken bringen.

Mathias Krams arbeitet im Bereich Internationale Politik an der Universität Wien zu Themen der Politischen Ökologie und Verkehrspolitik.

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