Standort über alles: Wie Schwarz-Blau über Umweltschutz und Rechtsstaat drüberfährt

Die schwarz-blaue Regierung will die Umweltverträglichkeitsprüfungen umgehen: Das neue Standortentwicklungsgesetz sieht vor, dass Genehmigungen automatisch erteilt werden können, wenn das Verfahren zu lange dauert. Der Vorschlag ist absurd, miserabel ausgearbeitet – und brandgefährlich, wenn er wirklich umgesetzt wird. Gregor Schamschula erklärt, worum es dabei geht.

„Österreich ist abgesandelt.“ Mit diesem Satz beschrieb die Wirtschaftskammer die eigene Frustration über die Wirtschaftspolitik Österreichs vor einigen Jahren. Und auch unter Schwarz-Blau geht die Erzählung ungebrochen weiter: Der Wirtschaft geht es so schlecht, deshalb müssen wir alles für sie tun.

Dieser Geschichte schaden auch lästige Fakten wie ständiges Wirtschaftswachstum, steigende Gewinne und hohe Investitionsquoten nicht. Die neueste Erfindung dazu ist das Standortentwicklungsgesetz (StEntG) aus dem Wirtschaftsministerium. Die Genehmigungserfahren würden zu lange dauern, deshalb müssten die größten Projekte Österreichs automatisch und per Gesetz genehmigt werden. Doch was steckt dahinter?

Die größten Verfahren Österreichs

UVP steht für „Umweltverträglichkeitsprüfung“. So werden Verfahren bezeichnet, in denen jährlich die etwa dreißig größten Wirtschaftsprojekte Österreichs auf ihre Genehmigungsfähigkeit überprüft werden. Das sind etwa Großindustrieanlagen, Autobahnen, Hochspannungsleitungen und große Kraftwerke. Ziel der UVP: Alle notwendigen Gesetze werden von der gleichen Behörde in einem gemeinsamen Verfahren angewandt und geprüft, ob das Projekt genehmigungsfähig ist. In Fällen, die nicht der UVP unterliegen, müssen einzelne Genehmigungen eingeholt werden.

Eine weitere Besonderheit der UVP-Verfahren: Anders als etwa bei vielen kleineren Verfahren dürfen Einzelpersonen, BürgerInneninitiativen und Umweltschutzorganisationen teilnehmen und sich dafür einsetzen, dass ihre Rechte und der Umweltschutz eingehalten werden. Die Behörde hat deshalb auch die Pflicht, wichtige Unterlagen zu veröffentlichen, um der Öffentlichkeit ein Recht zur Stellungnahme einzuräumen.

Dauern die Verfahren wirklich so lange?

Nur in etwa 2 bis 3 Prozent der UVP werden die Genehmigungen nicht erteilt. Was ist also das Problem der Industrie? Der Vorwurf lautet: UVP-Verfahren dauern zu lange. Ab Antragstellung liegt die durchschnittliche Dauer bei deutlich über einem Jahr bis zur ersten Genehmigung. Dass der Großteil der Dauer allerdings dafür aufgewendet wird, dass die Behörde den Projektwerbenden nachlaufen muss, um vollständige Unterlagen zu bekommen, wird gerne vergessen. Die durchschnittliche Verfahrensdauer ab Vollständigkeit der Unterlagen liegt derzeit bei nur sieben Monaten.

Dazu kommen „Ausreißer“, also besonders kontroverse Verfahren, die Jahre dauern, wie die berühmt-berüchtigte Dritte Piste des Flughafens Wien. Über zehn Jahre dauert dieses Verfahren bereits und sorgte für einiges Aufsehen. Und auch wenn die generelle Verfahrensdauer in UVP-Verfahren sinkt, wurden diese Ausreißer zum Anlass genommen, Verfahrensbeschleunigungen zu fordern und auch umzusetzen.

Das steht im Standortentwicklungsgesetz

Als größte Maßnahme zur Beschleunigung wird nun das Standortentwicklungsgesetz präsentiert. Per Verordnung kann die Bundesregierung Projekte bestimmen, die als „standortrelevant“ gesehen werden. Auf Antrag von Landeshauptleuten oder durch MinisterInnen. Mitglieder der Bundesregierung können also an ihr eigenes Gremium Anträge bringen, die sie dann selber bestätigen.

Solche „standortrelevanten“ Projekte bekommen dann ihre UVP-Genehmigung, wenn die Behörde nicht innerhalb von einem Jahr entscheidet. Automatisch. Ohne dass die Behörde also darüber entschieden hat, ob die Gesetze eingehalten werden und welche Auflagen nötig sind, um die Rechte von NachbarInnen oder sonstigen Einzelpersonen und die Natur zu schützen. Zusätzlich sieht das Gesetz eine Entmachtung für Beschwerden beim Bundesverwaltungsgericht vor: Rechtsmittel sind nur noch bei „wesentlichen Rechtsfragen“ zulässig. Es gibt keine mündliche Verhandlung und das Gericht darf nur maximal drei Monate für eine Entscheidung brauchen.

Interesse am Verzögern

Fachlich ist dieser Ansatz vollkommen unverständlich. Bereits jetzt hat die Behörde eine Frist bis zur Entscheidung einzuhalten und tut dies in der Regel auch. Der Grund für lange Verfahren sind Probleme bei der Vollständigkeit der Akten, personelle Unterbesetzung von Behörden, zu wenige Sachverständige und ungelöste Konflikte mit der Öffentlichkeit, die erstmals bei UVP-Verfahren besprochen werden.

Projektwerbende werden nun ein Interesse daran haben, Verfahren zu verzögern, weil sie dann ihre Projekte automatisch und ohne Änderungen genehmigt bekommen. Oder aber die Behörden müssten anfangen, regelmäßig nach elf Monaten und 29 Tagen Projekte zurückzuweisen. Denn dann müsste das Verfahren neu beginnen.

Rechtswidrig, rechtswidriger, am rechtswidrigsten

Beeindruckend ist aus rechtlicher Perspektive, wie fehlerhaft die Konstruktion des Gesetzes ist. Das Standortentwicklungsgesetz verstößt nämlich gegen:

  • Einfache Gesetze: Die Schutznormen aus Gewerbeordnung, Naturschutzgesetzen, dem Wasserrecht und vielen mehr können verletzt werden, wenn die Behörde durch automatische Genehmigung die Einhaltung eben nicht kontrollieren kann.

 

  • Verfassungsgesetze und Grundprinzipien der Bundesverfassung: Das Rechtsstaatlichkeitsprinzip wird verletzt, weil die Behörde durch den Automatismus einen Bescheid ausstellen müsste, der Gesetzen wie dem Wasserrechtsgesetz, den Naturschutzgesetzen usw. widerspricht. Unsachlich und der Gleichbehandlung widersprechend wäre jedenfalls auch die Bevorzugung einer Partei im Verfahren, die es quasi durch Zeitablauf „gewinnen“ würde.

 

  • Grundrechte: Das Recht auf ein faires Verfahren (Art 47 der Grundrechtecharta der EU, Art 6 der EMRK) gewährleistet das Recht, von einer/m gesetzlichen Richterin/Richter gehört zu werden. Weitere Grundrechte wie das Recht auf Eigentum (Art 5 Staatsgrundgesetz) sowie das Recht auf Privatleben (Art 8 EMRK), welches auch das Recht auf Leben in einer unversehrten Umwelt umfasst, würden durch den Automatismus ebenfalls verletzt.

 

  • Europarecht: Die europarechtliche UVP-Richtlinie erfordert eine inhaltliche Prüfung vor der Genehmigung. Die automatische Genehmigung würde somit gegen die Richtlinie verstoßen. Die Behörden und Gerichte haben somit die unionsrechtliche Pflicht, die entsprechenden Teile des Standortentwicklungsprozesses nicht anzuwenden. Tun sie es doch, wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich einleiten. Die so erhaltenen Genehmigungen würden aufgehoben und somit wertlos. Weiter gedacht könnten Projektwerbende sogar den Staat dafür klagen, bewusst dem Unionsrecht widersprechende Bewilligungen auszustellen, wenn ihnen dadurch wirtschaftlicher Schaden entsteht.

 

  • Völkerrecht: Die Aarhus-Konvention ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der Umweltrechte der Öffentlichkeit festschreibt. Österreich und die EU sind Vertragsparteien. Der Entfall von UVP-Genehmigungen wäre ein offensichtlicher Verstoß gegen die Öffentlichkeitsbeteiligung bei Verfahren und gegen den vorgesehenen Rechtsschutz.

 

Dabei wäre die Lösung so einfach

Eine rechtskonforme und sachliche Lösung läge so nahe. Ordentliche Ausstattung der Behörden und ein größerer Sachverständigenapparat bringen volkswirtschaftlich ein Vielfaches dessen, was sie kosten. Die Lösung von Konflikten mit der Öffentlichkeit sollte ausgelagert werden auf strategische Umweltprüfungen auf der Planungsebene.

Das Standortentwicklungsgesetz wird auch unabhängig von Fragen des Umweltschutzes negative Folgen haben: Rechtsunsicherheit für die Projektwerbenden, Klagen vor diversen Gerichten, ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Österreich und ein Höchstgericht, das das Gesetz aufheben wird.

Autor

 
Nach oben scrollen