Mutterschaft ist in unserer Gesellschaft katastrophal organisiert. Wie viel Müttern zugemutet wird und wofür man sich am Muttertag einsetzen sollte, darüber schreibt Mosaik-Redakteurin Barbara Stefan.
An meinen ersten Muttertag als Mutter kann ich mich noch genau erinnern. Am Morgen ist der Vater meiner Tochter (damals ein Monat alt) noch halbbetrunken im Wohnzimmer gelegen. Er war die ganze Nacht aus. Als ich ihn in der Früh aufweckte, hat er mich gefragt, ob ich das heute alleine schaffe, denn er sei zu müde und verkatert. Abgemacht war das nicht. Aber ich war bereits gewohnt, dass er von Teilung der Reproduktionsarbeit nicht besonders viel hielt. Um einen neuerlichen Streit um unbezahlte Arbeit und Freizeit zu vermeiden, hab ich nur traurig „Ja” gesagt. Obwohl ich aufgrund des nächtlichen Stillens wieder einmal sehr wenig geschlafen hatte. Den Muttertag verbrachte ich mit meiner eigenen Mutter, die mich bekochte, damit ich genug Kraft für das Stillen hatte. Ich habe mich inzwischen glücklich getrennt.
Das ist zwar eine individuelle Erfahrung, aber die folgenden fünf Gründe zeigen, wie viel Müttern gesamtgesellschaftlich zugemutet wird. Und warum sich das dringend ändern muss.
1. Geburt
Die Belastung beginnt bei der Geburt. Hier herrscht kapitalismustreue Kosteneffizienz: Geburten sollen möglichst schnell und gleichzeitig risikoarm über die Bühne gehen. Personalmangel, überarbeitetes Geburtshilfepersonal, Interventionskaskaden und Gewalt gegenüber Gebärenden sind die logische Konsequenz auf Geburtsstationen. Die Soziologin Christina Mundlos schreibt in ihrem Buch „Gewalt unter der Geburt“, dass knapp jede zweite Frau während des Geburtsvorgangs von Übergriffen betroffen ist. Wer es sich leisten kann, kauft sich eine Hausgeburt, private Hebamme oder Geburtenhaus – damit wird die „natürliche” Geburt zum Privileg.
2. Postpartale Depression
Etwa 10 – 15% der Frauen sind davon betroffen. Die Dunkelziffer ist ein Vielfaches höher. Sie kann im Wochenbett auftreten oder auch erst ein Jahr nach der Geburt. Die Gleichsetzung dieses Phänomens mit einer Krankheit lässt vermuten, dass es sich um ein individuelles Abweichen von einer vermeintlichen Normalität (ohne Depression) handelt. Tatsächlich sind die neuen Lebensumstände und der Rollenwechsel von einem selbstverantwortlichen Individuum hin zu einer Mutter, die rund um die Uhr für die Bedürfnisse eines hilflosen Babys zur Verfügung stehen muss, für die meisten Frauen extrem belastend.
Wenige trauen sich über die Überlastung zu sprechen, aus Angst als „schlechte” Mutter dargestellt zu werden. Hinzu kommt die starke soziale Isolation sowie die Angst, dem Kind zu schaden oder etwas falsch zu machen. Viele Frauen und Eltern müssen über lange Zeiträume mit wenig Schlaf auskommen. Die Notwendigkeit, sich zusätzlich um Haushalt, gesunde Küche, Putzen, Einkaufen und die Wäsche kümmern zu müssen ist extrem belastend – und Mütter werden dabei von der Gesellschaft alleine gelassen.
3. Mutter-Shaming und mentale Last
Laut einer Studie der University of Michigan erfahren etwa zwei Drittel aller Mütter Kritik für den Umgang mit ihren Kindern. Meist kommt diese vom Vater, den eigenen Eltern oder den Schwiegereltern. Doch auch Medien und Politik machen Druck. Tatsache ist, dass man sich während der Elternschaft vom Baby- bis ins Teenageralter mit SEHR vielen Fragen auseinandersetzen muss und die ganze Zeit schwierige Entscheidungen zu treffen hat. Schwierig deswegen, weil die Bandbreite an Informationen sehr unterschiedlich ist und gleichzeitig das fiktive Damokles-Schwert über den Erziehungsberechtigten pendelt, ob die Entscheidungen dem eigenen Kind schaden werden. Die Kritik beginnt bei Ernährung, geht über Schlaf und Stillen, bis hin zu Sicherheits- und Erziehungsfragen und sie wird häufiger an Mütter adressiert. Frau kann es kaum richtig machen.
Zusätzlich trägt sie den Großteil des „mental loads” (dt. mentale Last), also den Überblick über Arzttermine, Geburtstage, Lieblingsessen, Haare und Nägel schneiden, die Bettzeit usw. (unendlich so weiter). Ein Gedankenrad, das nie aufhört und ja, viele Mütter zusätzlich zu Lohnarbeit, Liebesbeziehung, Freundschaften oder gar ehrenamtlichem und politischem Engagement leisten.
4. Armutsgefährdung und fehlende Unterhaltssicherung
Sehr häufig kommt es in den ersten Jahren nach dem Kind zu Trennungen. Viele Paare unterschätzen die psychische Arbeitsbelastung, die mit einem Kind entsteht. Zeit für sich selbst, romantische Beziehung oder Sexualität bleibt oft wenig. Dass ca. 90% der Alleinerziehenden Frauen sind zeigt, dass ihnen nach Trennungen der Großteil der Obsorge und finanziellen Verantwortung zufällt. Obwohl Alleinerzieherinnen häufiger Vollzeit lohnarbeiten müssen als Frauen in Paarbeziehungen, reicht das Geld nicht aus. 2019 waren etwa ein Drittel aller Ein-Eltern-Familien armutsgefährdet. Schätzungen gehen davon aus, dass die Armutsgefährdung seit Pandemiebeginn auf die Hälfte angestiegen ist.
Umfragen zufolge bekommt etwa ein Fünftel aller Mütter keinen Unterhalt, die Hälfte aller Frauen bekommt nicht einmal den Regelbedarfssatz, der ohnehin weit unter dem tatsächlichen Bedarf liegt. Alleinerzieherinnen und ihre Kinder leben oft in zu kleinen oder gar schimmeligen Wohnungen, müssen Lebensmittel rationieren und besitzen manchmal sogar zu wenig Geld für Heizung, Schulausflug oder entwicklungsfördernde Materialien. Viele Mütter sind im Alter von Altersarmut betroffen, da sie oft lange Jahre nur Teilzeit und ohnehin in schlechter bezahlten Berufen arbeiten. Gleichzeitig ist die Aussicht auf Armut und Überarbeitung für viele Mütter so abschreckend, dass sie es eher in dysfunktionalen, toxischen oder gar gewalttätigen Beziehungen aushalten, als sich zu trennen.
5. Rechtsextreme Väterrechtsgruppen
Als wäre das alles noch nicht genug, lobbyieren in Österreich seit zwei Jahrzehnten Väterrechtler für Veränderungen im Familien-, Obsorge- und Unterhaltsrecht. Sie verfügen über gute Kontakte zu ÖVP und FPÖ und besetzen immer wieder Sitze im Parlament. So konnten sie etwa über das Modell der geteilten Obsorge oder Doppelresidenz rechtliche Verschlechterungen für Mütter erkämpfen. Bei der gesetzlichen Ausarbeitung dieser Modelle waren z.B. der Verein „Väter ohne Rechte” beteiligt, während frauenpolitische Organisationen keinen Zugang zu der Arbeitsgruppe hatten.
Die Idee des Gesetzes drehte sich nicht darum, Väter in die Verantwortung für ihre Kinder zu nehmen, sondern ihnen Macht und Einfluss gegenüber den Müttern und ihren Kindern zu garantieren. Zudem ging es darum die Unterhaltsregelungen zugunsten der Väter auszugestalten. Die Väterrechtsbewegung besitzt wichtige Strukturen, in denen sich „frustrierte Väter” sammeln und weiter in ihrem misogynen, reaktionären Weltbildern radikalisieren. Von der Linken werden sie als eine ernstzunehmende Rekrutierungs- und Organisierungsstruktur der extremen Rechten unterschätzt.
Forderungen am Muttertag
Was wollen wir am Muttertag statt Blumen? Eine Gesellschaft, die sich nicht um die Bedürfnisse des Kapitals herum organisiert, sondern die Bedürfnisse der Menschen und ihre gesunde Reproduktion ins Zentrum stellt. Im Kampf bis zur Revolution fordern wir Einiges – nicht nur am Muttertag.
Wir brauchen eine bessere Finanzierung von Geburtsstationen mit ausreichend Personal, Betreuung und Zeit für Gebärende. Außerdem flächendeckende, kostenfreie Kinderbetreuung. Eine Unterhaltssicherung für Kinder (unabhängig von der Zahlungsfähigkeit oder -willigkeit des Vaters) basierend auf den tatsächlichen Kosten eines Kindes. Es braucht einen leichten und kostenfreien Zugang zu Psychotherapie. Garantierte ökonomische Unabhängigkeit von Frauen mit Betreuungspflichten, etwa durch den unbürokratischen Zugang zu guten, sozialen Transferleistungen. Oder noch besser: Einen vollen arbeitslosen-, pensions- und sozialversicherten Lohn für Reproduktionsarbeit. Ökonomische Unabhängigkeit ist, nebenbei bemerkt, auch eine Gewaltpräventionsmaßnahme. Generell braucht es eine bessere Finanzierung von Gewaltpräventions- und -schutzeinrichtungen, statt weiteren Kürzungen.
Auf der juristischen Seite muss ein Obsorge- und Unterhaltsrecht, das sich an den Bedürfnissen der Person orientiert, die die tatsächliche Verantwortung für Kindererziehung zukommt, eingeführt werden. Zur Absicherung im Alter verlangen wir die volle Anrechnung der Kindererziehungszeiten auf die Pension. Und nicht zuletzt: Die Kollektivierung und Vergesellschaftung von Reproduktionsarbeit – durch Kantinen, Wäschereien oder die Förderung kollektiver Lebensformen.