Warum Freund*innenschaft politisch ist

Verschränkte Hände als Symbol für Freund*innenschaft

Wir sollten das Widerstandspotenzial von Freund*innenschaft nicht unterschätzen, findet Jennifer Friedl. Zum Valentinstag macht sie sich deshalb Gedanken über Beziehungen abseits romantischer Vorstellungen.

Mit zunehmendem Alter immer weniger Zeit für Freund*innenschaft zu haben, erscheint den meisten von uns wie ein bedauerlicher, aber unvermeidbarer, gar natürlicher Prozess. Dass auch hier die gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Bedingungen, die unser Leben strukturieren, am Werk sind, tritt selten an die Oberfläche. Warum der Rückzug in romantische Zweierbeziehungen nicht natürlich, sondern politisch vorbereitet und ökonomisch gewollt ist, Arbeitsbeziehungen keine Freund*innenschaften ersetzen und welches Widerstandspotenzial freundschaftliche Verbindung hat, zeigt uns ein Blick in gesellschaftskritische und feministische Literatur.

Die Hierarchie der Beziehungsformen

In „All about love“ schreibt bell hooks (ihr Name wird kleingeschrieben), dass der mit dem Alter zunehmende Rückzug in romantische Zweierbeziehungen unhinterfragt als nicht kontrollierbares, fast natürliches Prozedere erscheint. Freund*innenschaften gelten hingegen als optional. Zwar stimmen die meisten Menschen, so Teresa Bücker in „Alle_Zeit. Eine Frage von Macht und Freiheit“ darüber ein, dass Freund*innenschaften gesund und wichtig sind, finden aber in ihrem dichten Lebensalltag meist zu wenig oder gar keine Zeit oder Energie dafür. Aufgrund der unzureichenden Zeit, die wir für unsere Mitmenschen finden, bietet die monogame Zweierbeziehung, so Şeyda Kurt in „Radikale Zärtlichkeit. Warum Liebe politisch ist“ zudem die Funktion des häufig einzig verlässlichen Rückzugsortes aus den kräftezerrenden ökonomischen Verhältnissen, die unseren Alltag im Griff haben.

Was sich also im Rückgang von Freund*innenschaften den meisten als schmerzlicher, aber scheinbar unveränderbarer Bestandteil des Erwachsenwerdens präsentiert, verbirgt einen Vorgang, der politisch vorbereitet und ökonomisch gewollt ist und somit gesellschaftlich hervorgebracht wird. Manche Beziehungsformen, wie die romantische (am besten heterosexuelle) Zweierbeziehung, werden mit der Hoffnung auf die Entstehung einer weiteren bürgerlichen Kleinfamilie staatlich unterstützt. Andere Beziehungsformen (Freund*innenschaften oder auch queere Beziehungen) wiederrum kaum. Nicht nur die Gesetzgebung und Institutionalisierung, sondern auch das Steuerrecht haben die Naturalisierung der bürgerlichen Kleinfamilie zementiert. Dass dies nicht verwunderlich ist, betont Silvia Federici. Laut ihrem Buch „Revolution at Point Zero“ fungiert der (meist von Frauen unbezahlt geführte) Familien-Haushalt für den kapitalistischen Staat nach wie vor als wichtigste Produktions- und Reproduktionsstätte der Ware Arbeitskraft.

Neoliberale Märchen und Arbeitsbeziehungen

Freund*innenschaften nehmen ab dem jungen Erwachsenenalter ab, da die gesamte Lebenszeit und -energie zunehmend in den Kreislauf aus Beruf und Familie fließt. Kontakte außerhalb der Familie reduzieren sich häufig auf die Kolleg*innenschaft im Job, wobei sich hierbei kapitalistische Arbeitsstrukturen mit freundschaftlicher Verbindung vermischen. Kollegiale Verbundenheit kann von großer Bedeutung sein und in echte Freund*innenschaft münden. Bis zu einem gewissen Grad bleibt sie dennoch eingebunden in ein Hierarchie- und Machtgefüge, dessen Grundlage in den meisten Fällen die Erledigung der Arbeit bildet. Darüber hinaus nehmen  Freund*innenschaften mit beruflichem Erfolg ab. Verbindungen mit anderen Menschen gleichen in der neoliberalen (einer konkurrenzgeprägten, flexibilisierten und auf die Maximierung des Eigennutzens ausgelegten) Arbeitswelt häufig einem kalkulierten LinkedIn-Netzwerk, so María do Mar Castro Varela und Bahar Oghalai in „Freund*innenschaft – Dreiklang einer politischen Praxis“.

Passend dazu propagieren Betriebe heute gerne das neoliberale Narrativ „Wir sind eine Familie“, das autoritäre Betriebsführung weitgehend abgelöst hat. Das zunehmende Eingehen auf Bedürfnisse der Arbeitnehmer*innen und freundschaftliche oder familienähnliche Verhältnis zwischen der Betriebsführung und den Mitarbeiter*innen mag zwar oberflächlich als wünschenswert erscheinen, verfolgt aber darüber hinaus den Zweck, Produktivität zu steigern und Arbeitskämpfe unmöglich zu machen.

Freund*innenschaft hat Widerstandspotenzial

Freund*innen finden aufgrund von gemeinsamen Überzeugungen zusammen und bilden ein auf Solidarität beruhendes Netzwerk. Gesellschaftlich konstruierte Zugehörigkeiten durch Nation oder Kultur werden in diesem Prozess zwar nicht immer, aber häufig in Frage gestellt. Sie verlieren an Bedeutung, während sie in anderen Lebensbereichen weiterhin gewaltvoll über gesellschaftliche Teilhabe entscheiden.

Zudem bieten Freund*innenschaften die Möglichkeit, ein gemeinschaftliches Zusammenleben zu erproben. Dieses ist zwar nicht gänzlich frei, aber dennoch freier von gesellschaftlich tradierten Rollen und Handlungen, als es in Arbeitsbeziehungen oder der heteronormativen, romantischen Zweierbeziehung der Fall ist.

Freund*innenschaften haben das Potenzial, der kapitalistischen Logik entgegenzutreten. Sie erfordern Arbeit, Zeit und Energie, ohne dass sie Rendite abwerfen oder wir sicher sein können, unseren Einsatz jemals zurückzuerhalten. Sie können damit zu Räumen werden, in denen wir gemeinsam eine Beziehungspraxis erproben, die einen ausbeuterischen Charakter zurückweist – eine andere Form des Zusammenlebens also. Auch wenn dieses nach wie vor in die bestehenden Gesellschaftsverhältnisse eingebunden ist und sich niemand von uns rein durch individuelle Bemühung daraus befreien kann, so speist es sich doch entlang von Brüchen, die einen Blick auf solidarische Beziehungsweisen eröffnen.  

Foto: sweetlouise

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