„Unis besetzen, Oida*e”: Migrantische Studierende in der Pandemie

Migrantische Studierende sind während der Pandemie noch stärker in Bedrängnis als davor. Was doppelte Studiengebühren, bürokratische Hürden und diskriminierende Studiengesetze momentan für Auswirkungen haben, erklärt Juan Pablo Gerez Haded.

Im Wintersemester 2019 waren an den öffentlichen Universitäten in Österreich 17.014 ordentliche Studierende aus dem Globalen Süden inskribiert. Damit entsprechen meine Studienkolleg*innen und ich einem Anteil von 6,4% aller Studierenden in Österreich. Der Begriff „internationale Studierende” umfasst aber eine sehr diverse Gruppe, die sich aus Student*innen aus Ländern des Globalen Südens sowie des Nordens zusammensetzt, die sowohl der oberen als auch der Mittelklasse angehören. Darunter FLINT*Personen, BIPOC, Geflüchtete und Asylbewerben*innen. Trotz ihrer Verschiedenheit, haben während der Pandemie alle internationalen Studierenden aus Drittstaaten mit denselben Grundproblemen zu kämpfen. Denn erhältst du in Österreich den Aufenthaltstitel „Student”, hast du fortan drei zentrale rechtliche Hürden zu bewältigen:

  • Die Zahlung der doppelten Studiengebühr (727,72 Euro) einhergehend mit so gut wie keinen Stipendienmöglichkeiten.
  • Barrieren auf dem österreichischen Arbeitsmarkt. Wir dürfen nur bis zu 20 Stunden pro Woche arbeiten, nur im Sonderfall werden mehr Stunden genehmigt. Doch auch bei 20 Stunden kommt es zu bürokratischen Hindernissen bei der Arbeitserlaubnis durch das AMS.

Migrantische Studierende in Bedrängnis

Im Zusammenhang mit der Pandemie sind diese drei Punkte ein echter Alptraum. Wir arbeiten hauptsächlich in der Gastronomie, dem Tourismus und der Pflege. Es sind also eben jene Bereiche, die am stärksten von den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie betroffen sind. Wir sind üblicherweise geringfügig beschäftigt und haben deswegen eine Art von Arbeitsvertrag, der für die Corona-Kurzarbeit nicht gilt. Darum wurden einige der migrantischen Studierenden aus meinem Freundeskreis gekündigt. Wenn wir noch arbeiten können, ist unser Einkommen größtenteils unter die Armutsgrenze gesunken, das heißt zwischen € 200 bis € 500 pro Monat.

Noch dazu sind viele Länder des globalen Südens stark durch Arbeitsplatzabbau und eine hohe Inflation betroffen – zum Beispiel Venezuela, der Iran oder die Türkei. Aus diesem Grund mussten die finanziellen Unterstützungen, die unsere Familien nach Österreich sendeten, gekürzt oder sogar eingestellt werden. Darüber hinaus können wir wegen unseres legalen Status – dem Aufenthaltstitel „Student” – keine Sozialhilfe und auch keine Mindestsicherung beantragen. Wir bekommen solche finanziellen Unterstützungen zur Abfederung unserer prekären Situation nicht, obwohl wir in Österreich Steuerzahler*innen sind.

Privatisierung der Unis

Dabei wurden die Bildungssysteme in vielen Ländern des globalen Südens aufgrund von Sozialabbauprogrammen, die internationale Institutionen (IWF, Welt Bank, etc.) und die Europäischen Union forciert haben, privatisiert. Viele Studierende migrieren, um Zugang zum Recht auf Bildung zu haben. Der Begriff „internationale Studierende” ist für uns aus dem Globalen Süden demnach unzureichend, weil er die Geschichten unserer Migrationen und auch die koloniale Aneignung unserer Wissen unsichtbar macht.

Die meisten OECD-Staaten haben während der Pandemie reagiert, um die Bedingungen für „internationale Studierende“ zu erleichtern. Nicht so Österreich. Und das obwohl der österreichische Staat die indirekten Studienplatzkosten der migrantischen Studierenden aus dem Globalen Süden bei der OECD als Entwicklungshilfeleistung geltend macht. Die Studienbeiträge nach den Toleranzsemester für EU/EWR/CH-Bürger*innen werden als eine neoliberale Maßnahme angesehen, die besonders europäische arbeitende Studierende und die Mittelschicht benachteiligt. Die doppelte Studiengebühr bedeutet in dieser Logik die Überausbeutung derselben sozialen Schichten von Studierenden des Globalen Südens. Wenn man all das in Betracht zieht, sind die Studierenden aus dem Globalen Süden vor allem Humankapital, qualifizierte Migrant*innen beziehungsweise cash cows und keineswegs „Entwicklungshilfe“.

Bildung für alle

Studierende aus der arbeitenden Klasse und der Mittelschicht sind, insbesondere während der Pandemie, stark überlastet. Während einer Pandemie sind es wohlhabendere Studierende, die sich den Abschluss noch irgendwie leisten können  – wir sind es nicht.

Die Änderung des Universitätsgesetzes 2002 § 91 hin zu einer Befreiung aller Studierender von den Studienbeiträgen, ohne Diskriminierung, ist deswegen überfällig. Es braucht aber nicht nur die Befreiung von Studienbeiträgen. Auch die Lockerung der Arbeitserlaubnis, das heißt, eine Adaptierung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes – wie beispielsweise im deutschen Modell – und den Erlass aller Anforderungen für die Ausstellung des Aufenthaltstitels für Studierende, ist notwendig. Inklusive den Erlass der Gebühren, wie es andere EU-Ländern bereits vormachen.

Politisch aktive Studierendengruppen – Bildung Brennt, linke Fraktionen und einige Gruppen der Österreichischen Hochschüler*innenschaft – in denen sich Studierende aus dem Globalen Süden und Norden gemeinsam engagieren, suchen weiterhin den Dialog. Bisher reagierte die Türkis-Grüne Koalition im Bereich der Bildungspolitik allerdings ganz anders. Nämlich mit der UG-Novelle und der Repression am 1. Mai vor der Votivkirche, nach dem Hissen eines Banners mit der Aufschrift „Unis besetzen – Oide*a”. In einem demokratischen Land soll Hochschulbildung ein Menschenrecht und kein Privileg sein. Es liegt daher in der Verantwortung des Staates, sie durch freien Zugang zu gewährleisten. Gerade im Kontext der Pandemie ist es unerträglich, dass die Studierenden ein elitäres, koloniales Bildungssystem finanzieren. Und besonders unerträglich ist dies durch die Prekarisierung der Studierenden aus dem Globalen Süden.

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