Seit Dezember 2023 ermittelt die Staatsanwaltschaft Wien gegen die Letzte Generation. Der Verdacht: Bildung einer kriminellen Vereinigung. Linke österreichische Organisationen und Gruppen haben sich jetzt mit einer Erklärung an die Seite der Klimaaktivist:innen gestellt. Hannah Eberle und Anselm Schindler schreiben, was diese Gruppen erkannt haben.
„Der staatliche Angriff auf jene, die mit Mitteln des zivilen Ungehorsams auf die Klimakatastrophe und damit die Zerstörung von Lebensgrundlagen aufmerksam machen, ist unverschämt.“ So heißt es in der Erklärung, welche diese Woche in Solidarität mit der Letzten Generation veröffentlicht wurde. Unterzeichnet ist sie von Gruppen aus Wien, Graz, Kärnten und ganz Österreich. Die Erklärung ist eine Reaktion auf die zunehmende Härte, mit der die österreichischen Behörden seit Kurzem gegen die Letzten Generation vorgehen. Durch Sachbeschädigung und die Blockade kritischer Infrastruktur erzeuge die Letzte Generation laut letzteren eine öffentliche Unordnung. Diese sei nicht mehr nur als illegal, sondern als „kriminell“ anzusehen.
Der Vorwurf stützt sich auf einen Ordnungsbegriff, zu dem Unordnung und Klimaverschmutzung dazu gehören: Unkontrolliertes Fliegen mit Privatjets, überbordender Individualverkehr, Flächenversiegelung (pro Tag 16 Fußballfelder) und die Industrie. Die Ermittlungen gegen die Letzte Generation in Österreich seien eine „Drohgebärde“. Sie seien darauf ausgerichtet, „möglichst weitgehender Ermittlungen“ zu ermöglichen, heißt es in der Erklärung. So ermöglichen die Ermittlungen beispielsweise das Sammeln von Daten von Schüler:innen, Pensionist:innen, Eltern und eben allen, die die Behörden in Verbindung mit der Letzten Generation sehen. „Inzwischen hat der Ermittlungsakt 1.000 Seiten“, berichtet Mina Canaval. Sie ist eine der Sprecher:innen der Letzten Generation in Österreich. Die Beweislage sei trotz der vielen Seiten allerdings dünn, so Canaval. „In der nächsten Zeit wird sich entscheiden, ob Anklage erhoben wird oder nicht.“
Solidarität bleibt unsere Waffe!
Die Solidarität innerhalb der Linken mit der Letzten Generation wird – unter anderem in Deutschland – oftmals als „halbherzig“ beschrieben und kritisiert. Auch in Österreich hat es gedauert, bis sich die Linke äußert. In ihrem jetzigen Statement zeigt sie aber, dass sie drei wesentliche Aspekte erkannt hat:
1) Strategiedebatten ohne Entsolidarisierung: Die Klimabewegung ist schon immer geprägt durch eine Vielzahl an Aktionsformen. Das macht es notwendig, intern Strategiedebatten zu führen, in denen auch gestritten werden kann. Ob also die Strategie zu einer Wahl antreten zu wollen oder die Strategie relativ wahllos Menschen zu blockieren, richtig ist, kann fragwürdig bleiben. Aber: Gerade die radikale, zuteilen militante Klimabewegung hat immer eingefordert, dass sich andere Teile der Bewegung nicht nach Außen hin von ihnen distanzieren, weil das nach Innen zur Spaltung beiträgt. Daran müssen sich diese Teile der Bewegung jetzt auch selbst halten. Die Trennung zwischen dem, was als guter oder schlechter Protest gilt, dürfen nicht von jenen bestimmen, die die Klimakrise leugnen oder die Gesetze machen.
2) Gemeint sind wir alle: Die Kriminalisierung gegen die Letzten Generation muss als Teil einer allgemeinen autoritären Verschiebung verstanden werden. Diese Verschiebung geschieht graduell. Es gibt nicht den einen Moment, in dem dann ‚alles verboten‘ ist, die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird oder alle Protestierenden im Knast landen. Autoritäre Verschiebung bedeutet, dass die Art, wie gesellschaftliche Konflikte geführt werden, zunehmend von Oben geregelt wird. Wer sich nicht an die immer strenger werdenden Spielregeln hält, wird dann einfach als kriminell und verfassungsfeindlich etikettiert. Die Einengung der Kriterien, die festlegen, wer noch mitspielen darf und wer nicht, orientieren sich dabei an den Interessen der Reichen und Mächtigen. Sie hauen auf die Linke drauf, während sich der Spielraum der Rechten schrittweise erhöht. Der Versuch, Klimaproteste mittels Verboten und Etikettierung als „kriminell“ klein zu machen, ist der vielleicht auch hilflose Versuch durchzugreifen. Gerade weil eine politische Auseinandersetzung nicht gewünscht ist.
3) Verlust von Anschlussfähigkeit: Die Linke muss handeln, denn die Kriminalisierung ist auch ein Geschenk an die Klimaleugner:innen. Und das in einer Zeit, in der immer mehr Menschen auch in ihrem Lebensalltag spüren, dass die klimatische Entwicklung ihre Existenzen bedroht. Besonders Leute aus den unteren Klassen und Schichten bekommen angesichts der Hitzewellen massive Probleme. Wer in schlecht gedämmten Mietshäusern wohnt, wird sich schlechter vor der Krise schützen können als Leute mit viel Platz und Klimaanlage – um nur einen Aspekt zu nennen. Auch in der Landwirtschaft wird die Klimaerhitzung die kleineren Betriebe am härtsten treffen. Das macht Leute für die Klimabewegung potenziell ansprechbar und die Letzte Generation versucht das nicht zuletzt mit für alle offene Treffen zu nutzen. Die jetzige Strafverfolgung kann die Anschlussfähigkeit zerstören. Wahrscheinlich ist genau das auch gewollt.
Wie geht es jetzt weiter mit der Letzten Generation?
Die Letzte Generation Österreich fokussiert sich weiter auf Verkehrsblockaden. „Wir wollen weiter die Regierung an ihre Verantwortung erinnern“, so Mina Canaval. Es ist also gut möglich, dass der Staat die Daumenschrauben weiter anziehen wird und die Repression gegen die Organisation erhöht. Die Klimaaktivist*innen wehren sich dagegen mit Anwält*innen und haben auch auf juristische Ebene eine Gegenstrategie. Sie fordern von der Regierung, das Klimaschutz ein Grundrecht wird. „Wenn Klimaschutz ein Grundrecht ist, hat man auch einen andere juristischen Hebel, wenn die Regierung ihre Verantwortung nicht übernimmt“, erklärt Mina Canaval.
Es kann allerdings angezweifelt werden, dass sich dieses Grundrecht mit Verkehrsblockaden erkämpfen lässt. Denn es ist in Zweifel zu ziehen, dass der bürgerlich-kapitalistische Staat überhaupt dazu in der Lage ist, für Klimagerechtigkeit zu sorgen. Der Staat folgt kapitalistischen Spielregeln, er muss in der internationalen Staatenkonkurrenz durchsetzen können, koste es was, es wolle – und seien es Klima und Ökosystem. Der Staat ist „ideeller Gesamtkapitalist“ (Marx), soll heißen, er muss immer auch den Interessen der wichtigsten Kapitalfraktionen dienen – und die sind in weiten Teilen fossil. Das sollte uns grundsätzlich skeptisch machen, inwieweit es Sinn hat, an die Regierung dieses Staates zu appellieren. Diese Fragen muss die Klimabewegung weiterdiskutieren. An der Solidarität mit der Letzten Generation und an der Notwendigkeit, trotz Differenzen gemeinsame Antworten auf die steigenden Repression zu finden, ändert das aber nichts.
Foto: Letzte Generation Österreich