Acker statt Bagger – Widerstand gegen die Ostumfahrung

Baumhaus in Lichtenwörth

In Wiener Neustadt – Österreichs Betonhauptstadt – soll noch mehr Platz für Autos her: Die über 60 Jahre alten Pläne einer „Ostumfahrung“ sollen im Herbst realisiert werden. Der wachsende Widerstand in den betroffenen Gemeinden Lichtenwörth und Wiener Neustadt bekommt mit einer Baumhaus-Besetzung in der bedrohten Au und einem Protestacker eine neue Dimension. Betania Bardeleben mit einer Reportage über den Protest.

Langsam wird es wärmer. Der Frühling kommt und so fühlt sich auch die Stimmung auf dem Protestcamp auf dem Acker von Bio-Bauer Hans in Lichtenwörth an. Die Unterstützer*innen, die an diesem Tag aus Graz, Wien und Linz hergekommen sind, sitzen keineswegs nur herum und warten auf heranrollende Bagger. Beim Fluss Warme Fischa suchen kurz vor Abenddämmerung zwei Helfer*innen nach Lehm. Sie versorgen die Baumwunden, die beim Schneiden der Obstbäume entstanden sind. Nahe beim Baumhaus stehen einige Helfer*innen und betrachten ihr Tageswerk: Einen Zaun aus Holzpfählen rund um den neu erbauten Folientunnel. Er ist mit allerlei Gemüsesorten bepflanzt. Dieser gemeinschaftlich bepflanzte Acker soll ein Zeichen sein gegen den Straßenbau und für Ernährungssouveränität: Schaut, was man stattdessen mit dem Land machen kann. Zugleich ist es ein Akt rebellischer Hoffnung angesichts der drohenden Zerstörung. Denn dort wo heute Knoblauch sprießt, könnten morgen LKWs donnern. 

Der Folientunnel am Acker von innen
Der Folientunnel am Acker in Lichtenwörth, (c) System Change not Climate Change

Auf diesem Acker an der Grenze von Wiener Neustadt zu Lichtenwörth soll die geplante Umfahrungsstraße B17 den Verkehrsring rund um Wiener Neustadt schließen. Im Januar diesen Jahres kündigten Bürgermeister Klaus Schneeberger (ÖVP) und der zuständige Verkehrslandesrat Udo Landbauer (FPÖ) den Beginn der Bauarbeiten für Herbst 2024 an. Bereits vergangenen Herbst waren dafür die ersten Bäume gefällt worden. 

Investitionen in die Vergangenheit

Biobauer Hans, bürgerlich Johann Gribitz, ist einer von 34 Bauern bzw. Bäuerinnen, die die Stadt zwang, ihr Land zu verkaufen. Ihm und den anderen acht Grundbesitzer*innen, die sich weigerten, droht nun die Enteignung. „Durch solche Projekte wird es Bio-BäuerInnen schwer gemacht“, so eine Person, die zur Unterstützung nach Lichtenwörth kam. Sie zeigt gerade einigen Kletterneulingen, wie man sich mithilfe eines einfachen Knotens und eines Seiles auf das Baumhaus hochhiefen kann. „Es heißt, man kann gegen den Klimawandel nichts machen“, ergänzt sie. „Sowohl Schuld als auch Lösungsansätze werden bei den einzelnen Konsument*innen gesucht. Die Straße wird nicht für die Allgemeinheit gebaut, wie behauptet wird. Wer profitiert, sind Schwertransport- und Logistikunternehmen.“

Bereits heute ist Wiener Neustadt mit seinen Gewerbegebieten und Bodenverbrauch von 583 m² Flächenverbrauch pro Person „Betonhauptstadt Österreichs“. Dass die neue Straße, deren geschätzte Kosten auf inzwischen 60 Millionen gestiegen sind, eine Verkehrsentlastung bringen soll, glauben in der Umgebung die wenigsten. Wie ein Gutachten der Verkehrstechnik im Auftrag des Bundesverwaltungsgerichts nachweislich feststellte, bringen mehr Straßen auch mehr Verkehr. Selbst falls die Straße kurzfristig Wiener Neustadt weniger Verkehr bringen sollte, bedeutet sie gut 14.200 Fahrzeuge, die das Naherholungsgebiet bei Lichtenwörth queren. 

Umweltverträglichkeitsprüfungen gingen bereits 2019 zugunsten der Straße aus. Vertreter*innen der Initiative „Vernunft statt Ostumfahrung“ merkten jedoch an, dass die Prüfung zu einem Zeitpunkt durchgeführt wurde, an dem Klima noch kein Teil davon war. Als das Straßenbaukonzept aufkam, waren Klimaschutz und verkehrsberuhigte Lebensräume noch kein großes Thema. Die grüne Stadträtin Tanja Windbüchler-Souschill vermutet darin eine Wahlkampfstrategie der ÖVP: Ein Infrastrukturprojekt, welches eine Verkehrsentlastung verspricht, bringe Wähler*innenstimmen. Die Interessen der Baulobby werden geschützt, Grundbesitzer*innen dafür enteignet.

Eine Bewegung formt sich

Seit über 40 Jahren protestieren Anwohner*innen bereits gegen diese Straße. Gleich drei Bürger*inneninitiativen bildeten sich, darunter „Vernunft statt Ostumfahrung“. Im vergangenen Frühling machte diese auf sich aufmerksam und holte sich die Unterstützung der antikapitalistischen Klimagruppe „System Change not Climate Change“. Diese war auch maßgeblich am Bündnis „Lobau Bleibt“ beteiligt, das vorerst erfolgreich den Bau der Lobau-Autobahn gestoppt hat. Bereits im Sommer 2023 fand ein Klimacamp auf dem bedrohten Acker in Lichtenwörth statt. Im November verschärften sie den Widerstand: Die Idee der symbolischen Besetzung entstand und die Zusammenarbeit mit Bäuerinnen und Bauern sowie Initiative gefestigt. Unter den dabei beteiligten Menschen finden sich auch viele Aktivist*innen, die beim Klimacamp oder „Lobau Bleibt“ aktiv waren.

Das Baumhaus in der Au
Das Baumhaus in der Au, (c) System Change not Climate Change/Betania Bardeleben

Gegen die Zerstörung – für ein anderes Zusammenleben

Ein Besucher, der zum ersten Mal bei der Besetzung ist, sitzt am Abend auf einem der Sessel in Hans’ Scheune. Sie ist inzwischen zu einem gemütlichen Wohnzimmer geworden. Auf die Frage hin, was sein Eindruck von diesem Protestcamp ist, lässt er sich lange Bedenkzeit. „Es fühlt sich sehr echt an“, meint er dann. „Im alltäglichen Leben fühlt sich vieles oft sehr künstlich an.“ Die Person neben ihm, die sich Blume nennt und mehrmals die Woche nach Lichtenwörth fährt, fügt hinzu: „Hier zu sein, macht einem auch klar, wie gut man mit wenigen Sachen auskommt und nur mit geretteten Lebensmitteln kochen kann.“ 

„System Change“-Aktivistin Sophie kommt ebenfalls regelmäßig her. Sie ist bereits seit Monaten im Protest involviert und hilft im Awarenessteam als Ansprechpartnerin für zwischenmenschliche Konflikte mit: „Wenn ich herkomme, bin ich konzentriert auf das, was im Hier und Jetzt passiert. Alltagsprobleme sind vergessen. Es kommt einem so vor, als wäre das hier wichtiger.“ Es sei für sie belastend, so viel Energie in diese eine Straße zu stecken, während weltweit so zahlreich Klimaverbrechen begangen werden. Gleichzeitig genießt sie die Natur im Augebiet und konnte bereits viele schöne Momente auf dem Feld erleben: „Menschen verschiedener Generationen haben ein gemeinsames Ziel. Was hier passiert, fühlt sich sinnvoll an.“

Gemeinsames Ziel: Acker statt Bagger

Die zahlreichen engagierten Gruppen und Individuen haben verschiedene Motivationen: Anwohner*innen stören neben Feinstaub und Lärm auch die Steuergeldsummen, die das Projekt schluckt. Die Bäuerinnen und Bauern protestieren für ihr Grundstück und ihre reichhaltigen Äcker. Jäger*innen wollen ein gutes Jagdgebiet erhalten. Für andere ist die Besetzung ein symbolhafter Ort gegen die kapitalistische Zerstörung oder ein Freiraum zum Ausprobieren von politisch-aktivistischer Selbstorganisation. Für alle jedoch ist der Umweltschutz ein tragender Faktor: Schließlich bedeutet der Bau der B17 nicht nur den Verbau von wertvollen Böden, sondern auch die Rodung eines Natura-2000-Schutzgebietes. Ein Naherholungsgebiet für Menschen und Lebensraum von Tieren wie dem Eisvogel und dem Ziesel, ein landesweit vom Aussterben bedrohtes Nagetier

„Kämpfe vereinen!“, lautet daher der Slogan des Bündnisses für den Frühling. Seitdem die Stadt Wiener Neustadt ihre Pläne für den Straßenbau immer mehr vorantreibt, erscheinen auch immer mehr widerständige Akteur*innen und Formen des Protests. Der Protest bedeutet einen großen Arbeitsaufwand, da sich alle in ihrer Freizeit für Lichtenwörth engagieren. Dazu bemerkt Sophie eine frustrierende Realität: „Es gibt nun eine Werbekampagne für die Ostumfahrung in Wiener Neustadt. Im Gegensatz zu uns bekommen die Personen, die an den Ständen für die Straße werben, alle Geld dafür.“

Doch durch ihren Protest erlangen die Aktivist*innen Handlungsmacht zurück. Während „Lobau Bleibt“ wurde eine bereits bestehende Baustelle besetzt. Es bleibt daher die Hoffnung, das erfolgreicher Widerstand möglich ist. Die Menschen vor Ort vermuten, dass die Rodung noch vor Beginn der Vogelbrutzeit Ende März beginnt. Sophie meint dazu mit Überzeugung: „Selbst wenn gerodet und das Baumhaus geräumt wird, ist wichtig zu zeigen, dass solche Projekte nicht einfach so umgesetzt werden können. Wenn Bagger kommen, werden Menschen da sein.“

Person in Hängematte
(c) System Change not Climate Change

Titelfoto: Betania Bardeleben/System Change not Climate Change

Autor

  • Betania Bardeleben

    Betania Bardeleben ist freie Journalistin mit Schwerpunkt soziale Ungleichheit, Bewegungen und MENA-Region. Master in Türkisch-Deutsch Sozialwissenschaften in Ankara und Berlin. Bachelorstudium der Kultur- und Sozialanthropologie in Wien und Utrecht.

 
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