Aus für dritte Piste – Was System Change jetzt plant

Vergangene Woche wurde die dritte Piste des Wiener Flughafens vorläufig auf Eis gelegt. Was dieser Erfolg bedeutet, welche Alternativen es zu AUA-Rettung und scheinheiliger Umweltpolitik gibt und wie die Klimagerechtigkeitsbewegung mit den Herausforderungen der Pandemie umgeht, darüber spricht Mira Kapfinger von System Change not Climate Change im Interview mit Mosaik-Redakteur Martin Konecny. 

Mosaik-Blog: Erst einmal Gratulation zur erfolgreichen Verhinderung der dritten Piste! Was sagt ihr dazu und wie geht es jetzt weiter?

Mira Kapfinger: Das ist natürlich ein großer Erfolg und ist nicht nur durch die Corona-Krise zu erklären, sondern wäre auch ohne unseren jahrelangen Widerstand nicht möglich gewesen. Gleichzeitig gilt es wachsam zu bleiben, denn es handelt sich erstmal nur um eine Verschiebung. Jetzt ist es Zeit, das klimaschädlichste Monsterprojekt Österreichs endgültig und offiziell zu beerdigen! Die Miteigentümerinnen des Flughafens, das sind die Stadt Wien und das Land Niederösterreich, müssen endlich ihre Verantwortung wahrnehmen und ein Aus für die dritte Piste durchsetzen. Denn es braucht eine langfristige Reduktion von Flügen, dann reicht in Zukunft eine Piste anstatt drei.

Wir sind bereit, den Kampf gegen die dritte Piste und für eine umfassende Mobilitätswende fortzusetzen. Kurz vor Bekanntwerden haben wir, gemeinsam mit lokalen Produzent*innen, ein neues Symbol für den Widerstand kreiert: das Dritte-Piste-Mehl. Dieses Mehl wird auf Flächen produziert, die durch den Flughafen zubetoniert werden sollen. Es steht für eine regionale, klein strukturierte solidarische Landwirtschaft und eine klimagerechte Mobilitätswende. Das Mehl hat uns auch die Zusammenarbeit mit einem Bauern auf diesen bedrohten Flächen ermöglicht. Dort konnten wir weit sichtbar ein Banner „Pflugfeld statt Flugfeld” aufstellen (siehe Foto oben). Damit haben wir gezeigt, dass wir in der Region präsent sind und unterstützt werden. 

Vor einem Jahr gab es eine „Einigung” zur AUA-Rettung. Die AUA wurde mit Millionen an öffentlichen Geldern am Laufen gehalten, der grüne Teil der Regierung hat klimapolitische Zusagen gefeiert. Inwiefern hält die Regierung, was sie versprochen hat?

Die AUA-Rettung ist immer noch eine Katastrophe für das Klima. Wir haben schon damals spontan vor dem Bundeskanzleramt protestiert. Weil die angeblichen Klimaschutzmaßnahmen vor allem eines sind: Greenwashing. Manche Schritte sind in Ordnung, etwa die Einführung eines Ticket-Mindestpreises oder höhere Abgaben auf Kurzstrecken. Aber damit es dem Klima etwas bringt, muss es insgesamt weniger Flüge geben, also weniger Mittel- und Langstreckenflüge.

Dann enthält die Vereinbarung zur AUA-Rettung Versprechen rund um „alternative“ Treibstoffe. Die wird es aber erstens in absehbarer Zeit nicht ausreichend geben. Zweitens führen sie im schlimmsten Fall zur Konkurrenz mit Nahrungsmitteln und der Zerstörung von Lebensräumen, denn Palmöl ist aktuell noch die realistischste Möglichkeit. 

Besonders problematisch ist, dass der AUA-Standort im Gegenzug so etwas wie eine Wachtsumsgarantie erhalten hat. Das geht ganz klar gegen die Ziele des Klimaschutzes. Ein weiteres Problem sind die Versprechen um effizientere Flugzeuge. Denn selbst wenn das geschieht, ergibt es nur Sinn, wenn die Flugzeuge die nächsten 30 Jahre mit Kerosin betrieben werden. Und das ist nicht mit den Klimazielen vereinbar. 

Das Hauptproblem ist aber sicherlich, dass die Vereinbarungen mit der AUA völlig intransparent sind. Nicht einmal das Parlament hat Zugriff auf den Wortlaut. Es gibt geleakte Entwürfe. Darin steht etwa, dass die Auflagen von der AUA nur dann zu erfüllen sind, wenn dem “keine wirtschaftlichen Gründe entgegenstehen”. Es ist also gut möglich, dass so eine Wirtschaftlichkeitsklausel sämtliche Klimabedingungen aushebelt.

Und wie sieht die Situation bald ein Jahr später aus?

Unsere Befürchtungen scheinen sich zu bestätigen. Eines der Versprechen war, dass die AUA keine Flüge mehr auf Strecken anbietet, die in unter drei Stunden mit dem Zug erreichbar sind. Allerdings hat die AUA schon im Juni wieder den Ultrakurzstreckenflug Wien-Graz aufgenommen und öffentlich gefeiert. Ebenfalls hat die AUA versucht, Millionenboni an ihre Manager*innen auszuzahlen. Nur durch großen öffentlichen Druck konnten wir das verhindern.

Gleichzeitig drückt sie bei den normalen Beschäftigten die Löhne. Und erst im Dezember haben wir erfahren, dass ein Reisebüro mit der AUA Flüge ins Nirgendwo angeboten hat, also Rundflüge von Wien nach Wien. Der Gipfel der dekadenten Klimazerstörung. Der Aufschrei, den das ausgelöst hat, konnte diese Flüge aber stoppen. All das zeigt, dass die Staatshilfen die AUA nicht zu einer sozialeren und ökologischen Fluglinie gemacht haben und es weiter öffentlichen Druck braucht.  

Was wäre die Alternative zur Staatshilfe für die AUA?

Das Geld gleich in eine klimagerechte Mobilitätswende zu investieren. Die Beschäftigten brauchen natürlich Unterstützung, aber es braucht einen Umbau zu Arbeitsplätzen, die auch eine Zukunft haben. Viele Dinge könnte man auch gleich umsetzen. Etwa die Abschaffung von Inlandsflügen, eine schrittweise Einstellung von Kurzstreckenflügen in die Nachbarländer, eine Kerosinsteuer und vor allem eine progressive Abgabe für Vielflieger. So müssten die, die besonders viel Schaden verursachen, auch einen größeren Beitrag leisten. Ebenso könnte von der AUA im Gegenzug für die Staatshilfen verlangt werden, dass sie eine mit dem 1,5 Grad-Limit vereinbare Strategie fährt. Das würde bedeuten, dass sie sich von ihrem klimaschädlichen Kerngeschäft wegbewegt, hin zu umfassender Mobilität.

Ende Dezember haben die Politikwissenschafter Ulrich Brand und Heinz Högelsberger gefordert, die AUA mit der ÖBB zu einem umfassenden Mobilitätskonzern zu fusionieren. Was hältst du davon? 

Das halte ich für einen sehr spannenden Beitrag, gerade wenn er mit öffentlichem Eigentum und gesellschaftlicher Mitbestimmung einhergeht. Wobei er auch Gefahren birgt. Die Gewinne vieler Fluglinien flossen lange in private Taschen und wir wollen nicht, dass jetzt hier die Verluste vergesellschaftet werden.

Manche Stimmen sagen: Es ist doch gut, wenn alle Menschen fliegen können und schnell und bequem an ihr Ziel kommen. Aber können das überhaupt alle?

Nein, fliegen ist nicht für alle und kann es auch nicht sein. Im Gegenteil, der Flugverkehr ist eines der krassesten Beispiele für Klimaungerechtigkeit. Studien zeigen, dass es vor allem die Reichen sind, die fliegen. Zahlen von 2018 belegen, dass nur zwei bis vier Prozent der Weltbevölkerung überhaupt international fliegen und nur ein Prozent der Menschen für 50 Prozent der CO2-Emissionen aus dem Flugverkehr verantwortlich sind. Gleichzeitig trifft die Klimakrise uns alle. Aber die Ärmsten und jene, die am wenigsten zu ihr beitragen, besonders hart.

Die Ausdehnung des Flugverkehrs geht einerseits nur auf dem Rücken der Beschäftigten. Andererseits wird sie auch nicht für alle gleich möglich sein. Menschen mit einem EU-Pass können in über 190 Staaten ohne Visum reisen, Menschen aus Somalia nur in 40 Länder. Solange ein Pass darüber entscheidet, wohin ich reisen kann, ist ein gerechtes Mobilitätssystem unmöglich. Um Fliegen zu demokratisieren, müsste man einerseits Bewegungsfreiheit für alle sicherstellen und Reichtum umverteilen. Selbst dann wird es aber Grenzen geben, planetare Grenzen.

Es wird weiterhin Flüge geben und dafür gibt es gute Gründe. Aber dass die gesamte Weltbevölkerung mehrmals im Jahr um den Planeten jettet, ist einfach nicht realistisch. 

Corona hat das Klima von der politischen Tagesordnung verdrängt, obwohl die Krise unvermindert weitergeht. Wie wollt ihr den Fokus wieder verschieben?

Das ist natürlich schwierig, aber wir versuchen auch unter den Bedingungen der Pandemie lautstark für Klimagerechtigkeit einzutreten. Mit unangemeldeten Fahrraddemos oder der Blockade der Industriellenvereinigung. Blockadeaktionen lassen sich auch mit Abstand super durchführen. 

Ich erwarte mir auch von den Medien mehr. Wenn die Medien ähnlich über die Klimakrise berichten würden wie über Corona, wären wir da schon viel weiter. Stellt euch vor, jeden Tag würden in den Nachrichten neue Statistiken und Grafiken über das Klima so präsentiert, wie heute die neuesten Corona-Zahlen!

Der grüne Teil der Regierung behauptet gerne, dass schon wahnsinnig viel im Klimabereich weitergehe und Klima auch im „Wiederaufbau“ nach Corona eine zentrale Rolle spiele. Wie bewertet ihr das?

Es stimmt, dass das Klima öfter ein Thema ist. Aber gleichzeitig sehen wir, etwa an den AUA-Staatshilfen, dass die Klimabedingungen nicht das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben sind. Wir sehen auch, dass nicht alle Krisen gleich bekämpft werden. Weder auf der Klimakrise noch auf der Menschenrechtskrise an den Grenzen Europas liegt derselbe Fokus wie auf der Coronakrise. Es muss darum gehen, alle Krisen und ihre Verknüpfungen als solche zu behandeln. Die Pandemie hängt ja bekanntlich auch mit der ökologischen Krise und der Krise des Kapitalismus zusammen, weil solche Erreger viel eher durch industrielle Massentierhaltung oder die Zerstörung von Lebensräumen entstehen und die zunehmende Erderhitzung solche Pandemien wahrscheinlicher macht.

Derzeit scheint die Regierung immer noch „Klima und Grenzen schützen“ zu wollen. Vielleicht kann man so das Klima schützen, aber dieses menschenverachtende Motto hat nichts mit Klimagerechtigkeit zu tun. Aber den systemischen Wandel, der nötig ist, wird ohnehin keine Regierung herbeiführen. Das müssen wir schon selber tun.

Und was dürfen wir für das neue Jahr von der Klimagerechtigkeitsbewegung erwarten?

Jetzt geht es darum, auf dem Weg aus der Krise für einen gerechten und ökologischen Umbau von Wirtschaft und Produktion zu kämpfen. Ein konkreter Kampf der dieses Jahr ansteht, ist der Lobautunnel. Die Bauarbeiten könnten 2021 beginnen. Wir wollen diesen Konflikt zu dem machen, was er ist, zu einem gesellschaftlichen Konflikt, der uns alle betrifft.

Interview: Martin Konecny

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