Bahn-Streik: „Gewerkschaft und Klimabewegung schmieden Allianzen“

ÖBB-Streikende von hinten

Von 0 bis 24 Uhr steht der Bahnverkehr in Österreich still. Klimabewegung und Gewerkschaft sind heute gemeinsam für die Mobilitätswende und bessere Arbeitsbedingungen der Eisenbahner:innen auf der Straße. mosaik-Redakteur Mathias Krams sprach mit Olivia Janisch (Verkehrs und Dienstleistungsgewerkschaft Vida) und Lucia Steinwender (System Change, not Climate Change) über die Vereinbarkeit ihrer Ziele.

mosaik: Der Tag begann heute mit einer gemeinsamen Störaktion bei der sogenannten Klimakonferenz der WKO (Wirtschaftskammer Österreich). Was hatte es damit auf sich?

Lucia Steinwender: Immer wieder veranstaltet die WKO Greenwashing-Events um sich damit zu schmücken und vorzugeben, für Klimaschutz zu sein. Ihr tatsächliches Handeln spricht jedoch eine andere Sprache. Mit Störaktionen gegen diese Events zeigen wir auf, dass die WKO effektiven Klimaschutz und die dringend nötige Mobilitätswende blockiert.

Nachdem sich die WKO nicht auf die Forderungen der Vida eingelassen hat, läuft seit Mitternacht ein österreichweiter Streik der Eisenbahner:innen. Was habt ihr gefordert?

Olivia Janisch: Wir haben diesmal einen Fix-Betrag gefordert. Denn untere und mittlere Einkommen, die am stärksten von der Inflation betroffen sind, werden dadurch am meisten unterstützt. Wir sind mit der Forderung nach 500 Euro gestartet. Während der Verhandlungen sind wir auf unser Gegenüber zugegangen und haben die Forderung auf 400 Euro gesenkt.

Die Mobilität ist die Achillesferse im Kampf gegen die Klimakrise. Ganz wichtig für die Mobilitätswende sind Nachtzüge. Doch dort haben wir ein Netto-Einstiegsgehalt von 1356 Euro. 400 Euro machen den entscheidenden Unterschied, um die Teuerung aufzufangen.

Wird ein Streik im Zugverkehr die Leute nicht wieder dem Auto näher bringen und die Mobilitätswende damit behindern?

Olivia Janisch: Die Arbeitsniederlegung ist das letzte Mittel, auf das wir als Arbeitnehmer:innen zurückgreifen. Die Bahn muss zukunftsfit werden, dafür braucht es auch konkurrenzfähige Gehälter. Die Alternative dazu wäre der Kollaps des ganzen Bahnsystems, wenn wir Personal nicht halten und gewinnen können. Und das kann niemand wollen.

Bis 2027 braucht es 20 000 zusätzliche Beschäftigte. Doch Einkommen und Arbeitsbedingungen bei der Bahn sind derzeit auf dem begrenzten Arbeitsmarkt nicht konkurrenzfähig. Für die Mobilitätswende braucht es Initiativen wie das Klimaticket und Investitionen in den Ausbau der Bahnen in Österreich. Aber es braucht auch die Beschäftigten, die dann die Züge führen, zusammenstellen und warten.

Wieso unterstützt die Bewegung für Klimagerechtigkeit die Streiks?

Lucia Steinwender: Schon rund um den Klimastreik von Fridays for Future gab es Kooperationen zwischen Klimabewegung und Gewerkschaften. Aber diese gemeinsame Offensive zu den Kollektivvertragsverhandlungen ist neu für Österreich.

Die Eisenbahn ist eine Branche, in der es in Zukunft mehr Arbeit brauchen wird. Die dort arbeitenden Menschen dermaßen schlecht zu entlohnen, ist einfach eine Schande. Deswegen unterstützen System Change not Climate Change und Fridays for Future die heutigen Streiks. Wir besuchen Streikposten, um mit den Beschäftigten ins Gespräch zu kommen. Um gegenseitig unsere Positionen besser zu verstehen und zu erfahren, wie ihre Vision für den Mobilitätsektor aussieht.

Außerdem wollen wir Allianzen schmieden. Der WKO und Industriellenvereinigung geht es nicht um die Zukunft der Beschäftigten oder den Schutz des Klimas, sondern allein um Gewinne. Deswegen sehen wir die Beschäftigten im Arbeitskampf als unsere natürlichen Verbündeten.

Olivia Janisch: Die Klimakrise geht uns alle an und die Bahnen sind Teil der Lösung. Also ist es nur logisch, dass wir als Gesellschaft gemeinsam für die Bewältigung der Klimakrise und für das Gelingen der Mobilitätswende einstehen. Das ist gelebte Solidarität. Wenn sich Menschen begegnen, die im Alltag nicht täglich miteinander zu tun haben, kann Verständnis für die Interessen sowie Arbeits- und Lebensbedingungen des anderen entstehen. Wie Beschäftigte bei den Bahnen ihre Fachberufe ausüben, ist wahrscheinlich nicht vielen bekannt.

Lucia Steinwender: Diese Allianz ist nicht nur eine strategische, um sich gemeinsam gegen die Interessen der WKO durchzusetzen. Auch in unserer Zukunftsvision einer klimagerechten Mobilität spielen die Beschäftigten eine zentrale Rolle. Wenn wir den Mobilitätssektor in Zukunft radikaldemokratisch organisieren wollen, dann müssen die Entscheidungen von denen, die Mobilitätsangebote nutzen, und denen, die sie tagtäglich bereitstellen, getroffen werden – nicht von gewinnorientierten Unternehmen.

Wie geht es mit der Kooperation nach dem heutigen Tag weiter?

Olivia Janisch: Es gibt einige inhaltliche Bereiche, wie etwa den Güterverkehr, die man sich gemeinsam anschauen könnte. Schließlich sollen in Zukunft mehr Güter auf der Schiene als auf der Straße befördert werden.

Lucia Steinwender: Ende April 2023 findet außerdem die durch die Arbeiterkammer initiierte Akademie für sozial-ökologischen Umbau statt. Dort sind viele Gewerkschaften, Klimagruppen und auch Wissenschaftler:innen involviert. Auch dort geht es darum Verständnis füreinander zu entwickeln. Aber auch darum Fragen zu thematisieren, bei denen sowohl Klima- als auch Gewerkschaftsbewegung noch an sich arbeiten müssen. Etwa hinsichtlich der Frage, wie ein gutes Leben sowohl auf persönlicher als auch kollektiver Ebene ohne Wirtschaftswachstum aussehen kann.

Die Aktionen von Last Generation erregen viel Aufmerksamkeit. Aber ich glaube es ist wichtig, dass der Kampf gegen die Klimakrise zielgerichtet ist. Reiche stoßen viel mehr Emissionen aus und verbrauchen mehr Ressourcen als Menschen mit niedrigen Einkommen. Es geht darum, an diesen großen strukturellen Stellschrauben zu drehen. Die WKO will das verhindern.

Foto: @Viennaforfuture

Heute ist die Gewerkschaft Vida gemeinsam mit der Klimabewegung auf der Straße, beim Thema Dritte Piste am Flughafen Wien standen sie sich aber auch schon gegenüber.

Olivia Janisch: Wir wollen Kurzstreckenflüge innerhalb Europas auf die Schiene verlagern. Doch in den Branchen, die wir vertreten, gibt es unterschiedliche Betroffenheiten. Es geht darum, für alle, die sich um die Zukunft sorgen, Perspektiven zu schaffen. Der Umstieg von Kabinenpersonal in der Luftfahrt zur Zugbegleitung ist zum Beispiel nicht allzu schwer. Während den Corona-Lock-Downs gab es von der Gewerkschaft Informationsveranstaltungen für Beschäftigte und wir haben beim Wechsel beraten. Umqualifizierungen müssen aber auch finanziert werden. Etwa über Arbeitsstiftungen.

Können Klima- und Gewerkschaftsbewegung voneinander lernen?

Lucia Steinwender: Definitiv. Etwa beim Thema Organisierung, wenn man sieht, wie viele Menschen in Gewerkschaften organisiert sind. Wenn wir den Mobilitätssektor demokratisieren wollen, dann können wir dabei sicher auf Strukturen der Gewerkschaft zurückgreifen. Aber auch aus der Vergangenheit kann von gewerkschaftlichen Kämpfen gelernt werden. Etwa zur Frage der Vergesellschaftung der Stahlindustrie, für die sich die IG-Metall in Deutschland in den 1980ern einsetzte. Wir müssen gemeinsam für strukturelle Veränderung und mehr Mitspracherechte kämpfen. Aus der Vergangenheit lernen würde aber auch bedeuten, den Kampfgeist der Gewerkschaften wieder zu stärken.

Olivia Janisch: Beteiligung ist beim Thema Mitsprache das Stichwort und ergänzt Teilhabe im Sinne von Stimme abgeben. Betriebsräte in den Betrieben und die freiwillige Mitgliedschaft in der Gewerkschaft bieten dafür die demokratischen Strukturen. Als Gewerkschaften geben wir dieses Wissen gerne weiter. Wir können aber auch selbst viel durch gemeinsames Diskutieren lernen. Man lernt sehr viel, wenn man sich organisiert. Dieses demokratisch bleiben. Dieses mutig bleiben. Dieses interessiert bleiben am Leben und nicht immer dieser Rückzug ins Individuelle.

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