Der Finanzmarkt zahlt die Klimaziele? Nein danke

Grafik Kursentwicklung

Auf dem Weltklimagipfel ist die klaffende Lücke in der Klimafinanzierung Thema Nummer Eins. Geht es nach dem Internationalen Währungsfonds, soll der Finanzmarkt das Staatsversagen kompensieren. Bibi K. schreibt über einen nachhaltigen Irrweg.

Bei der Klimafinanzierung versagen alle Staaten der Welt kollektiv: Das Versprechen der Industrienationen, bis 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar für Nachhaltigkeit bereit zu stellen, ist längst gebrochen. Wo gibt’s also das große Geld, wenn nicht beim Staat? Am Finanzmarkt. Die grünen Investments boomen. Allein „grüne“ und „nachhaltige“ Anleihen machten im Jahr 2021 weltweit 1,1 Billionen US-Dollar aus. Eine Verdopplung gegenüber dem Vorjahr. Das ist ein Neunzigstel der notwendigen Infrastruktur-Investments bis 2030. Unglaublich viel ist für das Klima immer noch unglaublich wenig. Insbesondere dann, wenn sich viel Geld in Greenwashing verliert.

Laufsteg grüner Finanzinstitutionen

Mittlerweile arbeiten zahlreiche Institutionen, wie das UNFCCC (Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen) und Vehikel wie der „Green Development Fund“, zu Klimafinanzierung. Sie produzieren laufend Papiere und erlassen Verordnungen. Diese Verordnungen sollen nachhaltige Finanzprodukte regulieren und Greenwashing bekämpfen. Das grüne Verfälschen von Firmenpolitik boomt nämlich genauso stark wie die grünen Investments selbst.

Viel öffentliches Klimageld wandert also in eine neue Nachhaltigkeitsbürokratie. Das ist nicht per se schlecht. Klimawandel ist eine Mammutaufgabe und braucht Verwaltung. Aber erstens braucht das Organisieren privater Klimafinanzierung offenbar erst recht viel Staat. Und zweitens müssen die ganzen Labels und Organisationen erst einmal zeigen, dass sie nicht selbst nur ein Greenwashing-Moloch sind.

Grün grün grün ist… der US-Dollar

Greenwashing-Fälle großer Unternehmen wie BP oder Nestle lassen sich zahlreich googeln. Es muss aber nicht immer das Investitionsprojekt selbst sein, das verlogen ist. Konzerne sichern sich gerne in alle Richtungen ab: Sie finanzieren ehrliche grüne Projekte und spenden parallel dazu für klimaleugnende PolitikerInnen und Lobbies gegen Klimagesetzgebungen.

Auch fehlt es noch an einem internationalen Verständnis von „Grün“. So konnten in China grüne Anleihen vergeben werden, die neue Kohlekraftwerke finanzierten. Es handelte sich nämlich um „cleanere“ Kohlekraftwerke als die bisherigen.

Solar ist sexy, Wald nicht so

Privates Geld fließt allzu oft nicht dorthin, wo es gebraucht wird. Es finanziert aktuell fast ausschließlich Projekte zur Reduktion von CO2-Emissionen. Besonders beliebt: Solaranlagen und E-Mobilität. In bessere Wasserspeicher oder Hochwasserschutz fließt dagegen kaum Geld. Dort winken keine Gewinne.

Kapital fühlt sich auch wohler in „berechenbaren“ Verhältnissen mit guter Rückzahlungsmoral und westlicher Buchhaltungskultur. Die ärmsten Staaten, vorrangig in Afrika, erreicht das Geld dadurch kaum. Drei Viertel des Klimakapitals fließt nach Asien, in den pazifischen Raum, Westeuropa und Nordamerika. Über 80 Prozent der Investments gingen in den letzten Jahren in das renditenstarke China.

Climate Blood Money

Es handelt sich eben immer noch um Investitionen. BotschafterInnen von „Sustainable Finance“ (der gängige Begriff für grüne und nachhaltige Finanzwirtschaft) betonen daher gerne, dass der Bereich genauso lukrativ sei, wie traditionelle Finanzanlagen. Zwar ist auch das Investieren in etwas „Gutes“ (vor allem in ein gutes Gewissen) ein Wert an sich. Das betrifft aber vorrangig kleine PrivatinvestorInnen (übrigens deutlich mehr Frauen). Ein großer Pensionsfonds, von dem die Altersvorsorge von Zehntausenden abhängt, muss in erster Linie Auszahlungen und Renditen vorweisen.

Da mag es gut klingen, dass zumindest erneuerbare Energien mittlerweile die siebenfachen Renditen von einem Investment in fossile Energien bringen. Der Sektor gilt als „kompetitiv“. Das bedeutet, er kann mit den Renditen der großen kapitalistischen Ausbeutungsindustrien mithalten. In dieser Logik kann niemand erwarten, dass vorrangig sinnvolle Projekte finanziert werden.

Die neueste Variante von „Climate Blood Money“ sind Sustainability Linked Bonds. Dabei sammelt ein Projekt oder ein Staat AnlegerInnengelder ein, um ein bestimmtes Klimaziel zu erreichen, wie eine Senkung der Temperatur um 0,1 Grad. Wird das Ziel nicht erreicht, muss der/die SchuldnerIn eine Art Strafzahlung leisten. Klingt fair. Zu Ende gedacht wird er/sie aber möglichst niedrige Klimaziele vereinbaren, die bequem erreichbar sind. Und es bedeutet, dass InvestorInnen daran verdienen, dass jemand Klimaziele verfehlt. Der Ausdruck „Climate Blood Money“ wird in dem Zusammenhang nicht etwa von Greenpeace, sondern vom Wirtschaftsprüfungs-Konzern Deloitte verwendet.

Klimaschuldenspirale

Der Großteil von Klimafinanzierung über den Finanzmarkt erfolgt über Green Bonds, also Anleihen. Anleihen sind Darlehen von vielen AnlegerInnen in Form eines handelbaren Wertpapiers. Das Geld ist am Laufzeitende verzinst zurückzugeben. Eine Anleihe begeben heißt, Schulden aufnehmen. Private Klimafinanzierung führt daher zu wachsender Verschuldung. Klimaschuldner sind nicht mehr vorrangig die Verursacher des Klimawandels, sondern jene, die Geld aufnehmen, um damit fertig zu werden.

Den größten Bedarf an neuem Kapital haben die weltweit ärmsten Regionen. Diese sind meist schon hoch verschuldet und mitunter politisch abhängig von Gläubigern wie dem IWF. Es sind die Staaten mit den schlechtesten Ratings. Sie gelten als riskant und müssen höhere Zinsen bieten. Dabei sind sie von den Finanzmärkten abghängig: Aktuell steigen die Anleihezinsen stark an. Gleichzeitig steigt der US-Dollar rapide. Ein Staat wie Indien, der einen Green Bond begeben will muss sich an den neuen hohen Zinsen orientieren. Und er muss zum Laufzeitende der Anleihe, die meist in US-Dollar begeben wird, Dollar zurückzahlen, die teurer geworden sind. Indien ist bereits gefährlich hoch verschuldet. Und allein seine Schulden aus Nachhaltigkeitskapital belaufen sich auf 19,4 Milliarden US-Dollar. Um weiteres Kapital aufzunehmen rät das World Economic Forum Indien daher, dringend an seinem Kredit-Rating zu arbeiten. Damit meint es in der Regel Austeritätspolitik.

Die globale Schuld aus grünen und nachhaltigen Anleihen hat sich zwischen 2019 und Mitte 2022 vervierfacht. Können Staaten aufgrund des steigenden Zinsumfelds keine neuen Schulden aufnehmen, kann das bei Fälligkeit großer Anleihetranchen sogar Staatsinsolvenz bedeuten.

Das Klima schreibt keine Rechnungen

Im Grunde liegt das Problem schon darin, Klimaziele zuallererst in Geld zu denken: Soundsoviel Milliarden braucht es, um die Erderwärmung auf soundsoviel Grad zu begrenzen. Dabei ist vielleicht gerade einmal abschätzbar, wieviel ein Land für den Ausbau alternativer Energien benötigt. Aber niemals, wieviel es braucht, um Wetterereignisse, Verschmutzung, Hunger, Konflikte und Klimaflucht zu verhindern oder zu kompensieren. Sustainable Finance tut so, als wäre das Bezahlen das vordergründige Problem. Als könnte man Veränderung kaufen, wie alles andere auch. Doch der Kapitalmarkt stopft die Löcher falscher Wirtschaftspolitik nicht. Er wird niemals umlenken, wohin die profitabhängige „Realwirtschaft“ drängt: Zu Ressourcenverschwendung und Zerstörung.

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