Aktion bei OSZE: „Schweigen zum Krieg in Kurdistan brechen!“

Mit Schutzanzügen, Gasmasken, gelbem Rauch und einem Die-in machten heute 30 Aktivist:innen auf Chemiewaffenangriffe der Türkei in Südkurdistan/Nordirak aufmerksam. Während der Aktion bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kam es zu zehn Festhaltungen. Mittlerweile konnten alle Aktivist:innen wieder gehen. Mosaik sprach mit Soghomon Tehlirian und Liv Kremer von der Kampagne Defend Kurdistan über die Hintergründe der Aktion.

MOSAIK: Warum habt ihr heute der OSZE einen Besuch abgestattet?

Liv Kremer: Die OSZE ist die weltweit größte regionale Sicherheitsorganisation. Sie umfasst 57 Teilnehmerstaaten aus Nordamerika, Europa und Asien. Sie ist ein Bündnis von Staaten mit teilweise auch gegenläufigen Interessen. Aber beim Punkt Sicherheit kommen sie alle zusammen. Und da fängt das Problem an: Wessen Sicherheit ist gemeint? Die OSZE wird von der Türkei genutzt, um ihren Krieg gegen die kurdische Freiheitsbewegungen mit anderen Staaten zu koordinieren. Österreich ist nicht nur Teilnehmerstaat der OSZE, sondern sie hat im 1. Bezirk auch ihren Hauptsitz.

Soghomon Tehlirian: Die OSZE versteht sich als Dialogforum für Sicherheitsfragen und als Plattform für gemeinsames Handeln. Dadurch will die OSZE dazu beitragen, dass Menschen in Stabilität, Frieden und Demokratie leben können. Wir sind heute hier, weil die OSZE diesem Ziel nicht nachkommt. Das OSZE-Mitglied Türkei setzt in Südkurdistan chemische Waffen gegen Kämpfer:innen der kurdischen Arbeiter:innenpartei PKK ein. Die OSZE schweigt zu diesen Verbrechen.

Mit gelbem Rauch und Banner fordern Aktivist:innen Verurteilung des Giftgas-Einsatzes in Kurdistan. Foto: Phili Kaufmann & Christopher Glanzl

Was hat euch veranlasst gerade heute zur OSZE zu gehen?

Soghomon Tehlirian: Der 30. November ist der UN-Gedenktag für Opfer chemischer Kriegsführung. Er erinnert an die Einführung der Chemiewaffenkonvention 1997. Diese verbietet den Einsatz sowie die Entwicklung, Herstellung und Lagerung von chemischen Waffen. Indizien für den Einsatz chemischer Waffen durch die Türkei in der kurdischen Autonomieregion im Nordirak sind schon lange bekannt. Schon im Februar des letzten Jahres hat der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar zugegeben, dass die Türkei Tränengas einsetzt. Ein solcher Einsatz ist durch das Chemiewaffenabkommen verboten.

Liv Kremer: Im Sommer 2022 haben die Berichte aus der Region über den Einsatz chemischer Waffen stark zugenommen. Von EU, OSZE oder UN gab es keine Reaktion. Deshalb schickte im September schließlich die internationale, ärztliche Friedensorganisation IPPNW eine Delegation nach Kurdistan, um die Vorwürfe zu untersuchen. Mit erschreckenden Ergebnissen: Obwohl die Ärzte aus der Schweiz und Deutschland nicht bis in die Kampfgebiete vorgelassen wurden, fanden sie klare Indizien für den Einsatz chemischer Waffen. Auch über Tränengas hinaus. Weil aber auch diesmal offizielle Reaktionen ausblieben, hat die Kampagne Defend Kurdistan globale Aktionstage ausgerufen. Damit fordert sie unabhängige und umfassende Untersuchungen der Vorwürfe. Genau das tun wir heute auch bei der OSZE.

Kann die OSZE solche Untersuchungen überhaupt durchführen?

Liv Kremer: Nein, die OSZE kann solche Untersuchungen nicht selbst durchführen. Aber sie kann Druck auf ihre Teilnehmerstaaten ausüben, dass sie eine Untersuchung fordern. Beispielsweise bei der Organisation zum Verbot chemischer Waffen (OPCW). Sie ist für die Einhaltung der Chemiewaffenkonvention verantwortlich. Untersuchungen durch die OPCW können aber nur durch Mitgliedsstaaten angeregt werden. Diese weigern sich aber, genau das zu tun. Bestes Beispiel ist Deutschland, das zunächst die Verantwortung für das Einleiten einer etwaigen Untersuchung bei der OPCW sah. Als diese Mär aufgeklärt war, hieß es Anfang November, dass die deutsche Bundesregierung keine Veranlassung sehe, sich dem Vorschlag des IPPNW anzuschließen und eine Untersuchung zu fordern.

Soghomon Tehlirian: Was uns als Mittel bleibt, ist durch Aktionen Druck zu machen. Nur wenige Länder haben ein Interesse daran, dass die Chemiewaffenkonvention ihre Gültigkeit verliert. Insofern müssen wir darauf hinarbeiten, dass die Beweise nicht mehr ignoriert werden können. Auch die OSZE soll sich zum Einsatz von Chemiewaffen verhalten. Sie muss die Frage beantworten, welche Sicherheit ihr tatsächlich ein Anliegen ist.

Haltet ihr eine Stellungnahme und Druck vonseiten der OSZE für realistisch?

Soghomon Tehlirian: Die OSZE hat sich schon einmal kritisch zu den militärischen Operationen der Türkei in Nordostsyrien geäußert. Angesichts der völkerrechtswidrigen Invasion der Türkei im Oktober 2019 appellierte die OSZE an die Türkei, ihre Ziele mit friedvolleren Mitteln zu verfolgen. Das ist natürlich nicht das, was wir fordern. Ganz im Gegenteil. Ein solcher Appell ist völlig unzureichend. Uns schwebt vielmehr eine vollständige Verurteilung des Vorgehens der Türkei vor. Sowie ihr Ausschluss aus einer Organisation, die für Sicherheit und Zusammenarbeit steht.

Liv Kremer: Nichtsdestotrotz zeigt die Reaktion die Widersprüche auf, die wir ausweiten und zuspitzen müssen. Es ist doch nur noch zynisch, wenn die Generalsekretärin der OSZE – Helga Maria Schmid – stolz verkündet, dass die Organisation an den 16 Tagen Aktivismus gegen geschlechtsspezifische Gewalt teilnimmt. Aber gleichzeitig mit Recep Tayyip Erdoğan einen Diktator hofiert, der die Rechte von Frauen und Queers mit Füßen tritt und Bomben auf eine feministische Revolution wirft. Wir haben mit einer Organisation wie der OSZE nicht viel gemein. Wir glauben aber, dass wir uns zumindest darauf einigen können, dass das Brechen von Menschen- und Völkerrecht nicht zum Standard werden darf.

Ihr habt fallende Bomben angesprochen. In welchem Zusammenhang steht eure Aktion mit den jüngsten Luftangriffe der Türkei auf kurdische Gebiete im Nordirak und Nordostsyrien?

Soghomon Tehlirian: Der Krieg des türkischen Faschismus gegen die kurdische Freiheitsbewegung umfasst alle Facetten. Die Türkei versuchte über die letzten Jahre im sogenannten Spezialkrieg die Widerstandskraft der Menschen insbesondere in Südkurdistan/Nordirak und Rojava bzw. der Autonomen Administration in Nord- und Ostsyrien (AANES) zu brechen. Die Wasserversorgung wurde gezielt unterbrochen, landwirtschaftlich genutzte Fläche zerstört und die Bevölkerung mit anhaltenden und tödlichen Drohnenangriffen terrorisiert. In den Verteidigungsgebieten in Südkurdistan hat die türkische Armee nach anhaltenden Misserfolgen begonnen, in großem Stile chemische Waffen einzusetzen.

Liv Kremer: Jetzt wirft Erdoğan wieder Bomben. Das ist die logische Zuspitzung eines Krieges, den die Türkei seit Jahrzehnten gegen die kurdische Freiheitsbewegung führt. Dieser dient auch in vielen Fällen den Interessen des Westens und wird deswegen aktiv unterstützt.

Welche Rolle hat Österreich dabei?

Soghomon Tehlirian: Österreichische Konzerne und Politiker:innen stärken der Türkei den Rücken. Bürgermeister Michael Ludwig war erst vor kurzem in Ankara, um sich dort mit seinem Amtskollegen zu treffen. Und auch Nehammer hat sich in den letzten Monaten immer wieder positiv zur Türkei geäußert. Das in Zeiten, in denen Bomben auf Rojava fallen und die türkische Armee Giftgas einsetzt. Österreich steht also auf der falschen Seite. Wir wollen, dass sich das ändert!

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