Sucht ihr noch ein Geschenk für Familie und Freund*innen oder wollt euren eigenen Bücherstapel vor den Feiertagen etwas auffüllen? Wir helfen euch weiter und empfehlen unsere liebsten Bücher der letzten Jahre. Ob romantisch verspielt oder mit beißender Klarheit, historisch oder aktuell, für Groß oder Klein, hier ist für alle etwas dabei.
Raffaella Romagnolo: Das Flirren der Dinge. Diogenes. (Original: Di luce propria)
von Sonja Luksik
Ein blindes Waisenkind, das sich im frisch vereinigten Italien seiner Liebe zur Fotografie hingibt. Was im Klappentext von Das Flirren der Dinge zuweilen kitschig klingt, entwickelt sich auf über 350 Seiten zu einer sprachlich mitreißenden und inhaltlich eindrucksvollen Geschichte. Raffaella Romagnolo schafft es, historische Ereignisse mit dem persönlichen Schicksal des Protagonisten Antonio Casagrande zu verweben und überzeugt dabei vor allem mit detaillierten und akribisch recherchierten, jedoch keineswegs langatmigen Ausführungen über Fototechnik, Freiheitskämpfer und Fehlgeburten. Leser*innen von Romagnolos Roman Bella Ciao werden zudem auf bekannte Figuren treffen. Unbedingte Lese- und Geschenkempfehlung für alle, die historische Romane lieben oder lieben lernen wollen!
Maggie Nelson: Bluets. Hanser Literaturverlage.
von Mario Zivkovic
Seit ihrem Bestseller Die Argonauten ist Maggie Nelson auch der deutschsprachigen Leser*innenschaft bekannt. Der Genre-Mix aus Lyrik, Prosa, Biographie und Queer-Theorie machte das Buch zu einer der ausgewöhnlichsten Neuerscheinungen der letzten Jahre.
Sechs Jahre zuvor erschien Bluets. Das schönste Buch, auf das ich seit langem gestoßen bin. In zweihundertvierzig Absätzen, die manchmal auch nur aus einem Satz bestehen, erzählt Nelson in lyrischen, theoretischen und autobiographischen Fragmenten von ihrer Liebe zur Farbe Blau. Was zunächst als eine Meditation über blaue Dinge beginnt, stellt sich bald als die schmerzliche Verarbeitung einer gescheiterten Liebe heraus. Denn Blau ist nicht nur eine Metapher für Nelsons Traurigkeit, sondern für allem für Harry, einen geliebten Menschen, der sie verlassen hat. Ein seltsam-schöner, lyrischer Essay über Trauer, Liebe, Einsamkeit und Sexualität. Eine Lektüre-Erfahrung der besonderen Art, für die melancholischeren Tage der Weihnachtszeit.
Shida Bazyar: Drei Kameradinnen. Kiepenheuer & Witsch.
von Lisa Mittendrein
Etwas Schlimmes ist passiert, aber wir wissen nicht genau, was. Während sie wartet, dass ihre Freundin Saya aus dem Knast entlassen wird, schreibt Kasih eine Nacht lang alles nieder. Sie schreibt über die gemeinsame Kindheit mit Saya und Hani und über die Ausgrenzung und den alltäglichen Rassismus im Umfeld, beim Arbeitsamt oder im Flugzeug, mit dem die drei so unterschiedlich umgehen. Sie schreibt über die Gewalt, die auf der Straße und während des gerade laufenden NSU-Prozesses alles durchdringt. Kasih schreibt und schreibt und wirft uns dabei zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Fiktion und Wirklichkeit hin und her. Dabei knallt sie uns förmlich entgegen was sie alles ertragen muss, von dem jene von uns, die nicht von Rassismus betroffen sind, keine Ahnung haben.
Drei Kameradinnen ist hart und aufwühlend, weil es uns zwingt, die Augen weit aufzumachen. Es ist mutig und berührend, und erzählt von der Kraft bedingungsloser Freundschaft unter jenen, deren Existenz diese Welt kaum duldet.
Dorothee Häußermann: Wind aus Nord-Süd. Romanfetzen. tredition.
von Fabian Hattendorf
Wie lässt sich der Kampf gegen die Klimakrise mit einem guten Leben vereinbaren? Welche Lebensentwürfe kommen dafür in Frage? Diese Fragen stellen sich drei alte Schulfreundinnen, deren Wege sich auf der Suche nach ihrem moralischen Kompass trennen und wieder finden. Da ist Lotte, die ihr Leben nicht in kompletter Ablehnung und Verachtung der Gesellschaft verbringen will, die sie umgibt, und mit ihrem Partner in eine Wohnung in Frankfurt zieht. Kundrie, die für eine NGO in Brüssel arbeitet, durch halb Europa fährt und nebenbei Aktionen zivilen Ungehorsams plant. Hendrik, ihre frühere Beziehungsperson, wirft ihr zwar vor ein Leben wie eine Managerin zu führen, hat sich selbst aber in ein Hausprojekt auf dem Land zurückgezogen. Und dann ist da Nele, von der niemand so recht weiß, wo sie ist, die aber hinter dem Anschlag einer namenlosen Klimagruppe auf ein Flugzeug nach Bangkok vermutet wird. Ein Buch für alle, die nicht aufgegeben haben.
Octavia Butler: Die Parabel vom Sämann (Original: Parable of the Sower)
Auf Deutsch leider nur gebraucht erhältlich, auf Englisch bei Grand Central.
von Valentin Schwarz
Dürfte ich mir von Netflix etwas wünschen, dann das: Bitte macht aus diesem Buch eine Serie. Szenario, Handlung und Stil haben mich sofort gefesselt. Lauren, eine schwarze Teenagerin, lebt in einer Gated Community nahe Los Angeles. Sie gehört nicht zu den Reichen, sondern den Resten der Mittelklasse, rundherum herrschen Elend und Gewalt. Lauren ahnt, dass die Mauern fallen werden. Die anderen verdrängen das lieber.
Lauren leidet an Hyperempathie: Sie spürt die Schmerzen anderer, als wären es ihre eigenen – ein literarischer Kontrast zur verrohten Welt. Der Stil des Romans ist nüchtern-reduziert. Wir lesen nur, was Lauren, die keine andere Welt kennt, erlebt und denkt. Als Regen einsetzt, werden unzählige Gefäße aufgestellt, um das „Gratis-Wasser“ aufzufangen. Im Kalifornien des Jahres 2024, kommentiert Lauren, hat es sechs Jahre lang nicht geregnet. Parable of the Sower ist dreißig Jahre alt, wirkt aber erstaunlich zeitlos. Seine Dystopie fühlt sich so echt an, als wäre sie nur einige Krisen entfernt.
Ljuba Arnautovic: Junischnee. Hanser Literaturverlage.
von Theresa Schlag
1934 in Wien. Hier beginnt die Geschichte von Karl, der von seiner Mutter zum Schutz vor den Nationalsozialisten nach Russland geschickt wird. Vom luxuriösen Kinderheim über eine Besserungsanstalt für Jugendliche bis in den Gulag wird Karls Weg von der politischen Willkür der Zeit bestimmt. Die Autorin Ljuba Arnautovic schafft es ihre Familiengeschichte mit einer menschlichen, aber ungeschönten Nähe zu erzählen. Der Roman handelt von dem Gefühl des ausgeliefert seins, von Zerrissenheit und Machtlosigkeit. Die Figuren in ihrem Roman sind komplex und vielschichtig. Opfer und Täter – und das macht sie menschlich.
Satomi Ichikawa: Kleines Pferdchen Mahabat. Moritz Verlag.
von Benjamin Herr
Djamilia verbringt die Sommerferien zum ersten Mal bei ihren Großeltern. Diese sind Pferdehirt*innen in der kirgisischen Steppe und wohnen in einer weißen Jurte neben einem Bach. Schon bald lernt Djamilia ein schwarzes Fohlen kennen, dass sich am Bein verletzt. Sie nennt es Mahabat, was auf kirgisisch „Liebe“ bedeutet. Sie umsorgt das Fohlen, wechselt Verbände und begleitet es am Weg zurück zu seiner Selbstständigkeit. Der Sommer geht dem Ende zu und Mahabat kann wieder mit seinen Freund*innen in der kirgisischen Steppe herumstreifen. Und auch Djamilia muss wieder zurück in das Dorf ihrer Eltern. Das Bilderbuch der Autodidaktin Satomi Ichikawa besticht durch detailreiche und luftige Aquarellzeichnungen sowie einem angenehmen Erzähltempo mit schönen Momenten. Es vermittelt Kindern den Wert von Fürsorge.
Foto Credit: Ed Robertson