Umjubelter Star in ausverkauften Stadien, meistgestreamte Künstlerin auf Spotify und frischgekürte „Person des Jahres“ des Time-Magazins: Der Hype um Taylor Swift hat 2023 einen neuen Höhepunkt erreicht. Er hat nicht nur mit dem Werk der US-amerikanischen Popsängerin zu tun, sondern verrät uns einiges über Gefühle im Kapitalismus, meint mosaik-Redakteurin Sonja Luksik.
„Sie ist so gut darin, ihre persönlichen Erfahrungen Millionen von Menschen zugänglich zu machen. Wenn ich ihre Lieder höre, denke ich an das, was ich durchgemacht habe – nicht daran, was sie durchgemacht hat“, beschreibt ein Fan die Faszination für den Popstar im Time-Magazin. Geschichten über die kleinen und großen Freuden sowie Zumutungen des Lebens verpackt Taylor Swift seit 20 Jahren in Musik. Ihr gelingt es, eine treue und zugleich stetig wachsende Fangemeinde auf der ganzen Welt um sich zu scharen.
Vom Country-Girl zum Mega-Star
„Taytay“ – wie sie von eingefleischten „Swifties“ genannt wird – begann bereits mit 14 Jahren Texte zu schreiben. Es folgte ein Umzug nach Nashville, die Hauptstadt der Countrymusik, und der Durchbruch in diesem Genre. Nach drei Country-Pop-Alben fokussierte sich Taylor Swift auf eingängige Pophits.
Mit dem Erfolg stieg der mediale Rummel um Swift, jede persönliche Entscheidung wurde kommentiert und bewertet. Für besonderes Interesse sorgte das Liebesleben der damals Mittzwanzigerin. Bei der Skandalisierung ihrer angeblich zahlreichen Dates und Beziehungen kam die sexistische Doppelmoral der Medien zum Vorschein. Auf diese nimmt Taylor Swift im Song „Slut“ Bezug:
But if I’m all dressed up
Taylor Swift in ihrem Song „Slut“
They might as well be looking at us
And if they call me a slut
You know it might be worth it for once.
„Swiftonomics“: Profitabler Fankult
Der Umgang mit Anfeindungen und Missgunst ist seit jeher Teil von Taylor Swifts Karriere – und ihren Songtexten. 2009 begann die bis heute anhaltende Fehde mit Kanye West, 2019 katapultierte sich Scooter Braun auf ihre Feindesliste. Der Musikmanager kaufte damals das Label „Big Machine“ und damit die Rechte an den ersten sechs Alben der US-Sängerin auf. Swifts Antwort war so simpel wie brillant: Sie startete ein groß angelegtes Re-Recording-Projekt, im Zuge dessen sie seither ihre alten Alben neu aufnimmt und mit dem Zusatz „Taylor’s Version“ veröffentlicht. Der Plan ging auf, denn die Fans streamen die neu aufgenommenen Alben, gehen in Massen zu ihrer weltweit stattfindenden Stadiontour und schauen sich den dazugehörigen Film im Kino an.
Für das Phänomen, welches den Einfluss der 34-Jährigen auf die US-Wirtschaft beschreibt, gibt es bereits einen Namen: „Swiftonomics“. Vor allem junge Frauen geben sehr viel Geld für Konzerttickets und Merchandise aus, reisen zu Konzerten, übernachten in Hotels, essen in Restaurants und kurbeln damit die Wirtschaft der jeweiligen Städte an. Der profitable Fankult verschaffte Taylor Swift unlängst einen Rekord: Sie ist die jüngste Sängerin, die zur Milliardärin wurde.
Selbstliebe statt Scham
Doch was genau macht Taylor Swifts enormen Erfolg aus? Ihr Songwriting schafft es, dass sich Menschen auf der ganzen Welt in den darin auftauchenden Erfahrungen und Erlebnissen wiedererkennen. Im Laufe ihrer Karriere zeigte sie zudem keine Scheu, musikalisch zu experimentieren und mit verschiedenen Genres (neben Country und Pop auch Indie, Folk, Rock und Hip-Hop) in Berührung zu kommen. Ein Teil des Erfolgs lässt sich darauf zurückführen. Denn Taylor Swift kultiviert – und monetarisiert – ihre Vergangenheit. Ein Beispiel dafür ist ihre aktuelle Tournee: „The Eras Tour“ umfasst die unterschiedlichen Epochen ihres künstlerischen Schaffens. Etwas, was bei anderen jungen Musiker*innen überheblich wirken würde, stellt bei Swift nur den nächsten logischen Schritt in einer Serie von Superlativen dar.
„Alles, was du durchgemacht hast, hat dich zu dem gemacht, was du jetzt bist“, mag wie ein fader Kalenderspruch klingen, doch manche Kalendersprüche sind wohl einfach wahr. In einer Zeit, in der vor allem die „Generation Z“ Selbstakzeptanz und Selbstliebe zelebriert, ist es kein Zufall, dass Taylor Swift so gut ankommt.
Mobilisierung von Gefühlen
Denn in einer von Geschlechternormen und Leistungsdruck geprägten Gesellschaft gilt „Self Care“ bereits als radikaler Akt. Allein, dass ein solcher Begriff existiert und Konjunktur hat, verrät einiges über die Rolle von Gefühlen und Sorge im Kapitalismus.
Das Verhältnis von Kapitalismus und Gefühlen ist ein höchst widersprüchliches und drückt sich einerseits in der Mobilisierung, andererseits in der Leugnung von Affekten aus. Fürsorge, Bescheidenheit und Einfühlsamkeit werden als typisch weibliche Eigenschaften konstruiert und gegenüber männlichen Attributen wie Leistungsbereitschaft, Selbstbewusstsein und Stärke abgewertet. Diese Zuordnung zu Geschlechtern passiert nicht zufällig, sondern erfüllt bestimmte Funktionen – allen voran die Legitimierung und Aufrechterhaltung von geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung.
Für Hausarbeit und Kindererziehung gelten Frauen als besonders geeignet, ihre Sphäre sei jene der Reproduktion. Sorgetätigkeiten in den eigenen vier Wänden werden aus Liebe verrichtet – und wo Liebe im Spiel ist, kann es sich nicht um Arbeit handeln, die dementsprechend nicht bezahlt werden muss, so die kapitalistisch-patriarchale Logik. Im Krankenhaus, Reinigungswesen, Kindergarten oder in der 24-Stunden-Pflege putzen und sorgen vor allem Frauen für andere. Durch die Abwertung von scheinbar weiblichen Eigenschaften und Gefühlen kann diese Arbeit extrem schlecht bezahlt werden.
Sorgloser Kapitalismus
Kapitalismus ist wesentlich auf die Mobilisierung und Geschlechterzuordnung von Affekten angewiesen. Auf der anderen Seite leugnet er jedoch Gefühle und Sorge. Wie passt das zusammen? Die Soziologin Brigitte Aulenbacher beschreibt das Phänomen als „sorglosen Kapitalismus“ und bezieht sich damit auf den Umgang mit den sozialen Grundlagen des Lebens. Dazu zählt auch die Selbst- und Fürsorge, deren gesellschaftliche Bedeutung und daraus resultierenden individuellen Bedürfnisse konsequent geleugnet werden. Sorgearbeit erscheint im Kapitalismus selbstverständlich, über sie muss nicht viel gesprochen werden. Sie wird entweder als unbezahlt in den Familien vorausgesetzt, oder privatisiert und zur Ware gemacht, beziehungsweise im öffentlichen Sektor unterfinanziert.
Die Verleugnung von Gefühlen im „sorglosen Kapitalismus“ erscheint auch bei der Suche nach Erklärungen für den Hype um Taylor Swift relevant. Denn nicht-verwertbare Gefühle, die vielleicht sogar mit Geschlechterstereotypen brechen, gibt es trotz alledem weiterhin. Die Verleugnung dieser Affekte, Prozesse der „Sorglosmachung“ tragen zum Erfolg von Sphären bei, die diese Bedürfnisse und Sehnsüchte erfüllen. Sie finden ihren Ausdruck in Popmusik, konkret in einer jungen Künstlerin namens Taylor Swift, die ihr Handwerk perfekt beherrscht. In einer entfremdeten Welt, in einer Arbeitswelt, in der man ständig funktionieren muss und in der sexistische Zurichtungen Alltag sind, ist der Wunsch nach Authentizität und der Erfahrung, verstanden zu werden, groß.
Sam Lansky bringt dies in seinem „Time“-Artikel über die „Person des Jahres“ auf den Punkt:
Maybe this is the real Taylor Swift effect: That she gives people, many of them women, particularly girls, who have been conditioned to accept dismissal, gaslighting, and mistreatment from a society that treats their emotions as inconsequential, permission to believe that their interior lives matter. That for your heart to break (…) is a valid wound, and no, you’re not crazy for being upset about it, or for wanting your story to be told.
Sam Lansky im time-Magazin
Affektive Demokratie
Es ist kein gutes Leben, in dem bestimmte Gefühle systematisch verwertet oder abgewertet, andere wiederum geleugnet werden. Die Politikwissenschafterin Birgit Sauer hält dem das Konzept der „affektiven Demokratie“ entgegen und führt ihre Gedanken dazu in der mosaik-Podcast-Folge „Sorge, Emotionen und Affekte“ aus. Klar ist: Es braucht eine Überwindung kapitalistischer, patriarchaler und sorge-negierender Verhältnisse. Affekte können als demokratische Ressource, Verletzbarkeit als Ausgangspunkt für politisches und widerständiges Handeln gesehen werden. Auf dem Weg dorthin spricht nichts dagegen, Musik von Taylor Swift in den Ohren zu haben.
Foto: Ronald Woan