Wie uns die Gas-Lobby eine Teuerungskrise bescherte

Gas-Fabrik

Was hat die europäische Gas-Lobby mit der aktuellen Teuerung zu tun? Vieles. Die NGO Corporate Europe Observatory (CEO) legt den Einfluss von Unternehmen und Lobbygruppen auf die EU offen. Mitarbeiter Pascoe Sabido erklärt, wie die Gas-Lobby schon lange vor dem Krieg in der Ukraine den Samen für diese Krise gesät hat, welche Rolle sie momentan spielt und warum wir private fossile Energiekonzerne abschaffen müssen. 

Klara Wäscher: Warum scheint es für die europäische Gas-Lobby so einfach, ihre Interessen auf EU-Ebene durchzusetzen? 

Pascoe Sabido: Der offensichtlichste Grund ist ihre enge Beziehung zu Entscheidungsträger:innen. Vor einigen Jahren haben wir eine Studie durchgeführt, die klar gezeigt hat, dass die Gas-Lobby im Jahr über 100 Millionen Euro für Lobbyarbeit ausgibt und mehr als 1000 Lobbyist:innen beschäftigt. Da können wir NGOs mit unseren begrenzten Mitteln nicht mithalten. Die finanzielle Seite ist aber nur die halbe Geschichte.

Die andere Hälfte ist eine kulturelle und ideologische Nähe zwischen Entscheidungsträger:innen und fossiler Lobby. Denn was im Interesse der Wirtschaft ist, ist auch im Interesse der Entscheidungsträger:innen der EU. Das sehen wir schon lange: In den frühen 90er Jahren legte eine große Industrielobby den Grundstein für den Binnenmarkt und die Privatisierung von Energiekonzernen. Die Gas-Lobby war ein zentraler Bestandteil dieser Lobby. Denn Energiesicherheit ist die Grundlage der europäischen Produktivität, des BIPs, des Gesundheitswesens, der Schulen, des Verkehrs. Energie ist das Lebenselixier der Wirtschaft. Das ist auch der Grund, warum die meisten dieser Unternehmen früher öffentlich waren.

Woran können wir die Ergebnisse dieser Lobbyarbeit konkret festmachen? 

2009 wurde das dritte EU-Energiepaket geschnürt. In Zuge dessen wurde das sogenannte Europäische Netz der Fernleitungsnetzbetreiber (ENTSO-G) gegründet, in dem alle großen Gaskonzerne vertreten sind. Die österreichischen Mitglieder sind TAG (Hauptanteilhaber das italienische Snam, Anm. d. Red.) und GasConnect (ehemals OMV, heute Verbund, Anm. d. Red.). 

In dem Rahmen wurden die vertretenen Konzerne gefragt, wie sie die Gasnachfrage in Europa in den nächsten zehn Jahren einschätzen. In den Jahren zwischen 2010 und 2015 haben sie die Nachfrage bewusst überschätzt. Auf Grundlage dieser Annahmen wurden dann dieselben Unternehmen gefragt, welche Empfehlungen sie für Infrastrukturprojekte zur Deckung der von ihnen selbst bezifferten Nachfrage geben würden. Wiederum diese Unternehmen haben die Infrastruktur gebaut, für die sie selbst die Nachfrage und Empfehlungen gegeben haben. Das ist natürlich ein eindeutiger Interessenkonflikt von Seiten der Gas-Lobby und das hat zum jetzigen starken Gas Lock-in geführt. 

Abgesehen von diesem Lock-in, welche Rolle spielt die Gas-Lobby in der aktuellen Teuerungskrise? 

Es war verblüffend, wen die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, um Rat fragte, als der Krieg in der Ukraine ausbrach: den European Round Table of Industry. Das sind die CEOs von Total, Shell, Eni, BP, Vattenfall, EON und anderen. Die Gaskonzerne müssen also nicht einmal Lobbyarbeit leisten. Die EU wendet sich von selbst an sie.

In Sitzungsprotokollen sehen wir, dass die CEOs dieser Konzerne vor allem sagen: „Mischt euch nicht in den Markt ein“ und gleichzeitig nach staatlichen Hilfen schreien. Bei den jüngsten Treffen haben die CEOs von Shell, Total und anderen auf langfristige Gasverträge mit den USA gedrängt. Anstatt sich also auf Lösungen für die Teuerungskrise zu konzentrieren, wie z.B. die Isolierung von Häusern, den Einbau von Wärmepumpen und Solarpanelen, drängen sie auf noch stärkere Lock-ins von Gas durch Verträge wie jenem mit den USA. 

Sie betreiben auch aktive Lobbyarbeit gegen Maßnahmen, die zu niedrigeren Rechnungen beitragen würden. So zum Beispiel bei der Übergewinn-Steuer: Jetzt haben wir eine Steuer, die voller Schlupflöcher ist und nicht viel Geld einbringt. Auch der Vorschlag für einen Preisdeckel ist so lächerlich hoch, dass selbst die extrem hohen Preise, die wir in diesem Sommer erlebt haben, nicht gedeckelt werden würden. Die Lobbyarbeit verschlimmert die Krise der Lebenshaltungskosten zusätzlich. 

Was können wir tun, um das zu stoppen?

Akut zur Teuerungskrise: Wir brauchen Soforthilfe für alle, die sich das Leben nicht mehr leisten können. Dafür ist klar, dass Profiteure der Krise zahlen sollen. Diese Profiteure sind nicht nur Energieunternehmen. Konzerne machen gerade branchenübergreifend Gewinn. In den USA machen die Unternehmensgewinne bis zu 50 Prozent der Inflation aus. In der EU sind die fossilen Energieträger für die Hälfte der Inflation verantwortlich. 

Wir müssen Mittel und Wege finden, um Politik und Lobby zu trennen. Außerdem brauchen wir mehr Demokratie. Ohne eine Auseinandersetzung mit den Grundlagen der EU, die alle auf Wettbewerb und Markt beruhen, wird das nicht gehen. Die Entscheidungen müssen aus den Händen der Brüsseler Bürokraten genommen- und von lokalen Regierungen getroffen werden. Nur so können wir sicherstellen, dass die Betroffenen ein Mitspracherecht haben und ein Menschenrecht auf Energie durchsetzen. 

Mit privaten, profitorientierten Konzernen ist das nicht möglich. Denn bleibt die Entscheidungshoheit über fossile Brennstoffe bei Konzernen, werden diese nie im Boden bleiben. Deshalb müssen wir diese Unternehmen wieder demokratisieren, verstaatlichen und in öffentliches und soziales Eigentum überführen. 

Wie würde eine solche Verstaatlichung aussehen? 

Verstaatlichung ist heutzutage eine riesige Debatte. Es werden Geister aus den 70ern von Top-down Verstaatlichung ohne Mitsprache von Betroffenen heraufbeschworen. Wenn wir verstaatlichen wollen, muss das wirklich im öffentlichen Interesse sein. Ein Problem ist heute, dass selbst öffentliche Unternehmen aufgrund von EU-Gesetzen und -Verträgen meist wie Privatunternehmen geführt werden. 

Deswegen müssen wir „das Öffentliche“ neu definieren. Das geht nicht ohne die Eigentumsfrage. Die Eigentumsfrage dreht sich aber nicht nur um Arbeitnehmer*innen, sondern auch um die Einbeziehung der Gemeinden. Es gibt großartige Beispiele für die Rekommunalisierung von Energie in Frankreich und Deutschland, wo auch die Energieverbraucher beteiligt sind. Oder die Niederlande, wo alle Wasser- und Energieunternehmen im öffentlichen Interesse geführt werden müssen. 

Was muss sich zuerst ändern: das System oder die Unternehmen?

Das ist ein Henne-Ei-Problem: In gewisser Weise denke ich, dass wir uns auf diesen Konflikt einlassen müssen. Wir müssen zeigen, wie schwierig es ist, ein auf das öffentliche Interesse ausgerichtetes Unternehmen in einem System zu führen, das einen zum Wettbewerb zwingt. Das eine sollte aber nicht auf das andere warten. Wir sollten versuchen, beides gleichzeitig zu ändern. 

Foto-Credits: Benjamin Massello

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