7 Buchtipps aus der mosaik-Redaktion

Die Empfehlenden der mosaik-Reaktion

Wollt ihr zum Jahresende Geschichten mit euren Lieben teilen, euch in Utopien flüchten oder überzeugende Argumente für Debatten mit der Verwandtschaft sammeln? Die mosaik-Redaktion empfiehlt euch dafür ihre Lieblingslektüre der letzten Jahre.

Coverbild vom Buch "Exil der frechen Frauen" von Robert Cohen

Robert Cohen: Exil der frechen Frauen

Von Lisa Mittendrein

Eine Kommunistin, die in der Sowjetunion militärisch ausgebildet wird und als Leibwächterin eines Revolutionsführers nach Brasilien geht. Eine Journalistin, die in der antifaschistischen Presse arbeitet und flüchtende Schriftsteller:innen betreut. Eine Autorin, die im harten Pariser Exil Kinderbücher über den Faschismus und den spanischen Bürgerkrieg schreibt.

Es sind die Geschichten von Olga Benario, Maria Osten und Ruth Rewald, dreier deutscher Kommunistinnen, deren Leben, Tod und politischer Kampf mit dem historischen Moment der 1920er und 30er kaum mehr verwoben sein könnte. Ihr Leben und Tod lassen die Leserin aufgewühlt, wie unfassbar die Biographien dieser drei Frauen sind, wie hart ihre Schicksale, wie stark ihre politischen Überzeugungen.

Robert Cohens Epochenroman Exil der frechen Frauen erzählt die drei Geschichten mit Tiefe aber ohne Längen, differenziert aber mit politischer Klarheit. Und bewegend, wie es selten gelingt.

Coverbild vom Buch "The Romance of American Communism"

Vivian Gornick: The Romance of American Communism

Von Martin Konecny

Was gibt es Romantischeres, als kommunistische Parteien? In dem 1977 erschienen und 2020 neu aufgelegten Buch „The Romance of American Communism“ begibt sich die Feministin Vivian Gornick zurück in die Welt ihrer Jugend: die Kommunistische Partei der USA (CPUSA). In dutzenden Gesprächen porträtiert sie Menschen, für die die Partei vor ihrem Niedergang 1956 ein wichtiger Teil ihres Lebens war. Gornick lässt eine Welt auferstehen, in der jüdische Arbeiter:innen der Bronx, Minenarbeiter, ehemalige Landstreicher:innen und Bürgerkinder einen gemeinsamen Zweck verfolgten. Es ist eine Welt, die zurecht am Stalinismus der CPUSA zugrunde gegangen ist. Aber auch eine, die in einem von Vereinzelung geprägten Spätkapitalismus mehr als fehlt.

Oder, wie es die jüdische Arbeiterin Sarah Gordon so schön ausdrückt: „Stell dir vor, arm zu sein und nichts zu haben, was dir deine Armut erklärt, nichts, was ihr einen Sinn gibt, was dir hilft, die Tage zu überstehen, weil du glauben kannst, dass es nicht immer so sein wird. Das war es, was unsere Politik für uns war. […] Sie nährte uns, als nichts anderes uns nährte. Sie hielt uns nicht nur am Leben, sie machte uns innerlich stark.“

Coverbild vom Buch "Abschied von Atocha"

Ben Lerner: Abschied von Atocha

Von Mario Zivkovic

Ein junger amerikanischer Dichter ergaunert sich ein Auslandsstipendium in Madrid. Mit Tranquilizern und einem Joint startet er in den Tag. Er liest Gedichte, schreibt Gedichte, misstraut Gedichten. Bald findet er Anschluss in der Madrider Kunstszene. Bei Lesungen sorgt er für Begeisterung, weil er dafür nicht mehr leisten muss, als ein Dichter aus Amerika zu sein. In sein Schweigen und seine auswendig gelernten Gemeinplätze werden tiefschürfende Bedeutungen hineininterpretiert. Will er attraktiv erscheinen, inszeniert er sich als leidender Künstler. Er lügt, wo er kann. Verstrickt er sich in Widersprüche, führt er das auf seine mangelnden Spanischkenntnisse zurück.

Der Protagonist ist der zeitgenössische Hipster in Reinform: Ständig beschäftigt mit seiner Außenwirkung, selbstbezogen, tablettenaffin und entrückt von der Realität. Selbst der Terroranschlag am Puerte de Atocha dient ihm als Kulisse seiner Selbstreflexion. In Abschied aus Atocha begegnen wir einer Figur, in der wir uns vielleicht mehr wiedererkennen, als uns lieb ist. Der Roman ist witzig, smart und von der ersten Zeile an ein Lesegenuss.      

Coverbild vom Buch "Die Familie abschaffen: Wie wir Care-Arbeit und Verwandtschaft neu erfinden"

Sophie Lewis: Die Familie abschaffen. Wie wir Care-Arbeit und Verwandtschaft neu erfinden

Von Raphael Deindl

Das neue Buch der feministischen Autorin Sophie Lewis ist ein Plädoyer für die Abschaffung der Familie im besonderen Sinn. Denn politisch-philosophisch gewendet bedeutet „abschaffen“ so viel wie aufheben, also „in die Höhe heben, zerstören, aufbewahren und radikal verwandeln“.

Lewis‘ prägnante Geschichte des Familien-Abolitionismus reicht von frühsozialistischen Denkern wie Charles Furier und dem kommunistischen Manifest, über namhafte Feministinnen wie Alexandra Kollontai oder Shulamith Firestone bis hin zu Kämpfen um Lohn für Hausarbeit. Das Essay greift diese unterschiedlichen Debatten auf und liefert vor dem Hintergrund aktueller Krisenphänomene – ob Finanz-, Care- oder Corona-Krise – zahlreiche Argumente dafür, die Abschaffung der Familie als Befreiung von bestehenden Machtasymmetrien und erzwungenen Abhängigkeiten zu betrachten. Die Lektüre bietet allen Interessierten überzeugende Argumente dafür, Konzepte von Familie und damit verbundene Vorstellungen von Care zu überdenken.

Coverbild vom Buch "Erinnerungen" von Sinéad O'Connor

Sinéad O’Connor: Erinnerungen

Von Sonja Luksik

Am 26. Juli 2023 starb Sinéad O’Connor. Zwei Jahre zuvor erschien ihre Autobiografie mit dem schlichten Titel „Rememberings“. Die irische Sängerin hatte viel zu erzählen: Von ihrer Kindheit mit einer gewalttätigen Mutter, musikalischen Anfängen auf Straßen und bei Talentwettbewerben, psychischen Problemen und Drogenkonsum, Begegnungen mit Liebhabern und Weggefährtinnen. Skurril und bedrückend liest sich die Schilderung des Kennenlernens mit Prince, der mit „Nothing Compares 2 U“ jenen Song schrieb, durch den O‘Connor der internationale Durchbruch gelang. Im Gedächtnis bleiben zudem die Hintergründe des Auftritts bei „Saturday Night Live“ 1992, bei dem sie sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche anprangerte und ein Papstbild zerriss.

In „Erinnerungen“ berichtet O’Connor von diesen und ähnlichen Erlebnissen, ihrem musikalischen Weg, politischem Aktivismus (u. a. für Abtreibungsrechte) und klingt dabei – trotz aller „schweren“ Themen und persönlichen Rückschläge – nicht verbittert, sondern nahbar und humorvoll.

Coverbild vom Buch "Versöhnungstheater"

Max Czollek: Versöhnungstheater

Von Hannes Grohs

„Wie es war, darf es nicht mehr werden. Und wie es ist, darf es nicht bleiben.“

Max Czollek zeichnet in seinem neuen – Anfang 2023 erschienen – Buch „Versöhnungstheater“ drei unterschiedliche Phasen der deutschen Erinnerungskultur seit 1945 nach. Das Versöhnungstheater stellt dabei die vorläufige Spitze dar. Die Aussöhnung mit der deutschen Vergangenheit und ihren Opfern wird darin als vollendete Tatsache dargestellt. Dass es Akteur*innen gibt, die an einer solchen Aussöhnung kein Interesse haben (können), wird dabei geflissentlich übergangen. Denn die Inszenierung orientiert sich nicht an ihrem Verhältnis zur Realität, sondern am Publikum. Und das Publikum will ein unverkrampftes Verhältnis zum eigenen Nationalismus.

Czolleks Essay strotzt vor trauriger Aktualität. Es klärt deutsche Verhältnisse auf und macht aus einer pluralen Erinnerungsperspektive einsichtig, warum sich plötzlich auch die Aiwangers dieser Welt auf der richtigen Seite wähnen dürfen. Offen lässt dieses Buch nur eine Frage: Wer schreibt es für Österreich?

Coverbild vom Buch "Mein Teddy braucht mich"

Elisabeth Sedlmayer & Susanne Wechdorn: Mein Teddy braucht mich

Von Benjamin Herr

Meine Kinder haben freitags im Kindergarten den „Büchertag“. An diesem Tag suchen sie sich jeweils ein Buch aus, nehmen es mit nach Hause, bis sie es am folgenden Freitag gegen ein anderes Buch eintauschen. „Mein Teddy braucht mich“ blieb mir dabei in reger Erinnerung. Darin bekommt ein Kind einen Teddybär, der es begleitet und ihm ein Anker ist, wenn es Angst hat. Sie schauen sich gemeinsam den Vollmond an, tanzen und lesen Bücher. An einem friedlich-warmen Nachmittag im Park reißt sich plötzlich ein Hund von der Leine und schnappt sich den Teddy. Was er übrig lässt, ist ein zerrissenes Stofftier, dem ein Teil seines linken Arms fehlt. „Gib gut Acht auf deinen Bären. Er braucht deine volle Unterstützung und Achtung“, wird dem Kind gesagt. Und die bekommt der Teddy dann auch.

So abrupt wie das Buch endet, so gefühlvoll hinterlässt die vom Österreichischen Zivil-Invalidenverband herausgegebene Geschichte die Einsicht, wie schön Beziehungen sind, die Austauschbarkeit trotzen.

Wollt ihr auch die Buchtipps des letzten Jahres lesen? Ihr findet sie hier.

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