Linz: Warum wir mehr Respekt vor der Jugend haben sollten

Linzer Promenade

Rechte Parteien und der Boulevard stilisierten die Ausschreitungen in Linz zu einem Migrationsproblem. Die Linzer Sozialarbeiterin und politische Bildnerin Maria Egger sieht die zentralen Themen anderenorts: Den Jugendlichen fehlen Perspektiven und Teilhabemöglichkeiten.

Rund 200 Jugendliche und junge Erwachsene versammeln sich am 31. Oktober in der Linzer Innenstadt und bewerfen Passant*innen mit Böllern. Die Polizei rückt aus und die Situation wird zu einem Gerangel mit der Exekutive. Die jungen Menschen scheinen, aufgeheizt vom Symbol „Athena“, genau diese Konfrontation zu suchen. Aus Gründen, die es zu erforschen gilt, haben sie impulsiv ihrer Wut, ihrem Frust, vielleicht auch ihrem Bedürfnis nach Zugehörigkeit, aggressiv Raum verschafft. Zwei zentrale Fragen bleiben offen: Warum ist die Jugend so wütend? Und wie reagieren wir darauf?

Rechte Hetze gegen Sozialarbeit

Der Nachhall der Nacht war vorauszusehen, die Situation ein gefundenes Fressen für Rechte. Von den 126 Personen, deren Identität festgestellt wurde, hatten zwei Drittel Migrationshintergrund. Von sieben Festgenommenen war einer Asylwerber. Die Linzer ÖVP wünscht sich harte Sanktionen, die FPÖ einen Aufnahmestopp von Asylwerber*innen für die gesamte Landeshauptstadt. Kulturpolitische und sozialarbeiterische Angebote für Migrant*innen tut Michael Raml (FPÖ), Stadtsenatsmitglied und Mitglied der deutschnationalen Burschenschaft Arminia Czernowitz, als „Sesselkreise“ und „Streicheltherapie“ ab. Innenminister Karner (ÖVP) verspricht Abschiebungen.

Für den rassistischen Teil des politischen und medialen Spektrums ist die Lösung klar: Migration ist das Problem. Doch was passiert, wenn wir den Fokus nicht auf die Nationalitäten, sondern auf das Alter der Betroffenen legen?

Die Jugend stört. Generell.

Ich arbeite seit mehreren Jahren mit Jugendlichen aus Linz und Umgebung im Rahmen von offener und stationärer Jugendarbeit, also in Jugendzentren und Wohngemeinschaften. In dieser Tätigkeit hatte ich mit vielen jungen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zu tun. Dabei ist mir eine Sache besonders aufgefallen. Egal woher diese Jugendlichen oder ihre Eltern stammen, ein zentrales Problem scheint sie alle zu verbinden: Sie stören.

Jugendliche stören in der Schule, sofern sie nicht angepasst sind. Lehrer*innen haben kaum Ressourcen dafür, auf individuelle Bedürfnisse adäquat einzugehen. Jugendliche stören in der Öffentlichkeit. Sie sind zu laut, zu unhöflich, zu auffällig. Als Reaktion werden sie aus dem öffentlichen Raum verdrängt. Jugendliche stören in Familien und Betreuungseinrichtungen, so ehrlich muss man sein. Die Pubertät ist in der Regel nicht die harmonischste Zeit.

Jugendliche suchen ihren Platz in der Welt, indem sie alles auf den Kopf stellen. Wenn man ihnen in dieser Phase mit adäquaten Angeboten auf Augenhöhe entgegenkommt, kann man sie bei dieser Suche unterstützen, Fremd- und Selbstgefährdung präventiv entgegenwirken und ihnen echten Raum zum Gestalten geben.

Der Jugend Verantwortung geben

Drei junge Menschen haben das mir gegenüber einmal so formuliert: „Wenn ihr [Erwachsene] von uns verlangt, Verantwortung zu übernehmen, dann gebt uns auch welche! Und zwar nicht nur, wenn es für euch gerade passt.“ Jugendliche wollen Raum zum Gestalten, wollen Aufgaben übernehmen, wollen Normen und Grenzen diskutieren, wollen sich Respekt erarbeiten und Zuspruch finden. Diese Wünsche sind keine Frage der Nationalität oder Herkunft. Ich habe noch keine jugendliche Person erlebt, die all das nicht will, die nicht darüber diskutieren will, was richtig und falsch ist, die sich nicht fragt, was und wo ihr Platz in dieser Gesellschaft sein kann.

Weniger Chancen im Asylverfahren

Vor allem Jugendliche im Asylaufnahmeverfahren, mit subsidiärem Schutz oder sonstigen prekären Aufenthaltssituationen, haben viel weniger Chancen, eine realistische Perspektive für ein selbstständiges Leben in sicheren Verhältnissen zu finden. Sie haben damit auch weniger Möglichkeiten, Verantwortung für ihr eigenes Leben zu übernehmen. Viele Jugendliche sind bemüht, Ausbildungsplätze oder Jobs zu finden, haben es dabei aber unverhältnismäßig schwerer. Als Beispiel: Ein junger Syrer, den ich schon seit Jahren kenne, wird aufgrund seines beschränkten Zugangs zum Arbeitsmarkt nicht vom AMS vermittelt. Er sucht sich also selbst Jobs, aber die Firmen müssen beim AMS fragen, ob sie ihn einstellen dürfen. Das AMS lehnte bereits mehrere dieser Ansuchen ab.

Reden wir Klartext

Es gibt noch viele weitere nachvollziehbare Gründe für den Frust junger Menschen und mindestens genauso viele Widersprüche innerhalb der öffentlichen Reaktion darauf.

Jugendlichen, die demokratisch nicht mitbestimmen dürfen, wird vorgeworfen, unsere demokratischen Werte nicht zu teilen.

Jugendlichen, die täglich gegen bürokratische Mauern laufen, wird vorgeworfen, sich nicht ausreichend zu integrieren.

Jugendliche, die regelmäßig Polizeiwillkür und -gewalt sowie Racial Profiling erleben, stehen wegen fehlenden Respekts vor der Exekutive am Pranger.

Die benötigten finanziellen Ressourcen, um ausreichend Unterstützungsangebote und Jugendarbeit anzubieten, stellt die Politik nicht bereit. Die Gesellschaft tendiert dazu, den Blick von der Jugend abzuwenden, klar ersichtliche Problemfelder lieber nicht genauer anzusehen. Stattdessen schreit sie laut auf, wenn sich die Jugend wieder einmal „falsch verhält“.

Durch unseren (fehlenden) Umgang mit Jugendlichen nehmen wir ihnen die Chance, die Welt, in der sie erwachsen sein werden, in der sie demokratische Verantwortung haben werden, mitzugestalten. Uns Erwachsenen fehlt es an Respekt. Respekt vor der Jugend.

Foto-Credit: Mathias Mitterlehner

Autor

  • Maria Egger

    Maria Egger ist Sozialarbeiterin und Politische Bildnerin und arbeitet aktuell für eine sozialpädagogische Wohneinrichtung in Linz. Sie ist Teil des Kollektivs "Jelka", einem habiTAT-Hausprojekt, und aktiv in der KPÖ Linz.

 
Nach oben scrollen