So entkräftest du die 5 hartnäckigsten Argumente gegen Arbeitszeitverkürzung

Heute finden Warnstreiks im privaten Sozialbereich statt. Die Gewerkschaft fordert bei den Kollektivvertragsverhandlungen eine Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden pro Woche, doch die ArbeitgeberInnen blockierten nach anfänglicher Gesprächsbereitschaft.

„Das ist utopisch und nicht finanzierbar!“ ist ein oft vorgebrachtes Totschlagargument von UnternehmerInnen gegen eine Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit. Doch auch Beschäftigte sind sich oft nicht sicher, was Arbeitszeitverkürzung für sie konkret bedeutet. Mosaik-Redakteurin Sonja Luksik hat eine Argumentationshilfe für Arbeitszeitverkürzung zusammengestellt.

1) Arbeitszeitverkürzung ist nicht notwendig

Österreich liegt im EU-Vergleich an dritter Stelle bei der Zahl der geleisteten Überstunden. Arbeitszeitflexibilisierungen der letzten 30 Jahre machten es möglich, den Arbeitstag auszuweiten und dafür keine Überstundenzuschläge auszuzahlen. Der vorläufige Höhepunkt dieser von UnternehmerInnen forcierten Flexibilisierungen: Die Einführung des 12-Stunden-Tages. Türkis-Blau setzte diese langjährige Forderung von Industrie- und Kapitalseite um, die neue türkis-grüne Regierung will den 12-Stunden-Tag beibehalten.

Aus medizinischer Sicht ist mittlerweile klar, dass lange Arbeitszeiten psychische und körperliche Folgen nach sich ziehen. Mit folgenden fünf Risiken ist bei einer täglichen Arbeitszeit von neun, zehn oder zwölf Stunden zu rechnen: Progressiver Anstieg der Ermüdung, geringere Leistung pro Zeiteinheit, höheres Arbeitsunfallrisiko, höherer Krankenstand und Probleme hinsichtlich Aufnahme und Abbau von gesundheitsschädigenden Arbeitsstoffen im Körper.

2) Im Sozialbereich gibt es wichtigere Forderungen als Arbeitszeitverkürzung

Gerade im Sozialbereich sind MitarbeiterInnen aufgrund der körperlich und psychisch anstrengenden Tätigkeiten von Burn-Out und Überlastung betroffen. Sie arbeiten daher oft Teilzeit, um die Arbeitsbelastung zumindest halbwegs ertragen zu können.

Arbeitszeitverkürzung ist dringend notwendig, damit Beschäftigte an ihrer Arbeit nicht zugrunde gehen. Sie kann zudem dem neoliberalen, scheinbaren Sachzwang der andauernden Arbeitszeitflexibilisierung etwas entgegensetzen und zeigen, dass Beschäftigte nicht den 8-Stunden-Tag verteidigen wollen, sondern für Arbeitszeitverkürzung kämpfen.

Die Gewerkschaft rechnet vor, dass sowohl teilzeit- als auch vollzeitbeschäftigte KollegInnen von einer Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden pro Woche profitieren würden.
Basisinitiativen wie „Wir sind sozial, aber nicht blöd“ verlangen zusätzlich zur Arbeitszeitverkürzung jedoch auch eine Lohnerhöhung von 6% und fordern die Kollektivvertrags-VerhandlerInnen dazu auf, für alle KollegInnen eine Gehaltserhöhung zu erkämpfen. Sie sehen vollzeitarbeitende KollegInnen nicht als „Privilegienritter“, sondern betonen, dass diese ebenfalls schlecht verdienen und befürchten einen Reallohnverlust. Unterbezahlung ist tatsächlich ein großes Problem im Sozialbereich. Die Situation verschärft sich für Beschäftigte mit Betreuungspflichten, die ihr Gehalt nicht durch regelmäßige Wochenend- und Nachtdienste oder Überstunden „auffetten“ können.

3) Teilzeitbeschäftigten bringt eine Arbeitszeitverkürzung nichts

40 Arbeitsstunden pro Woche gelten als normal. Doch sind sie das wirklich?

Immer mehr Beschäftigte arbeiten in Österreich Teilzeit. Nachdem Frauen noch immer den Großteil an unbezahlter Haus- und Versorgungsarbeit leisten, befinden sie sich erschreckend oft in „atypischen Beschäftigungsverhältnissen“. Sie erhalten weniger Gehalt und im Alter eine geringere Pension als vollzeitbeschäftigte Kollegen. In vielen Branchen, wie auch im Sozialbereich, sind Vollzeitstellen mittlerweile Mangelware, Teilzeitarbeit ist allgegenwärtig.

Eine Arbeitszeitverkürzung bringt Teilzeitbeschäftigten jedoch nur etwas, wenn sie mit vollem Lohnausgleich einhergeht. Ein Vorteil von Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich läge darin, dass Beschäftigte mehr Geld zum Leben hätten und zugleich im Alter nicht mehr so häufig von Armut betroffen wären. Im Sozialbereich würde eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich im Schnitt einer Gehaltserhöhung von 8,6 Prozent gleichkommen.

Eines ist offensichtlich, gerade im Sozialbereich: Es braucht eine Anpassung der Realarbeitszeit an die Normalarbeitszeit mit vollem Lohnausgleich, denn 35 Stunden Arbeit pro Woche sind mehr als genug.

4) Arbeitszeitverkürzung führt dazu, dass gleich viel Arbeit in weniger Zeit gemacht werden muss

Die Sorge von Beschäftigten ist nachvollziehbar, und auch nicht unberechtigt: Wird die wöchentliche Arbeitszeit verkürzt, wird dadurch die zu erledigende Arbeit nicht weniger. Eine Verdichtung von Arbeit und steigende Belastung sind reale Gefahren. Sie können nur verhindert werden, wenn mehr Personal im jeweiligen Betrieb eingestellt wird. Denn Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich ist genauso wenig erstrebenswert wie Arbeitszeitverkürzung ohne Personalausgleich.

Gerade im Pflege- und Sozialbereich beobachten wir, wie es schon jetzt an Personal mangelt. In Wiener Krankenhäusern mussten vor kurzem Bettenstationen gesperrt werden, weil nicht genügend MitarbeiterInnen vorhanden waren. Im Krankenhaus Nord prangerten über 120 MitarbeiterInnen die massive Überlastung und Anhäufung von Überstunden an und forderten mehr Personal in der Pflege. Der verantwortliche Krankenanstaltenverbund (KAV) wies die Kritik anfangs zurück, am nächsten Tag kündigte er die Aufstockung des Personals auf 70 zusätzliche Dienstposten an. KollegInnen zeigten hier eindrücklich, dass Kämpfe um mehr Personal gewonnen werden können. Sie müssen mit dem Kampf um Arbeitszeitverkürzung verbunden werden.

5) Arbeitszeitverkürzung ist utopisch und nicht finanzierbar

„Das ist nicht durchführbar!“ und „Das ist nicht leistbar!“ sind zwei Einwände, die man fast in jeder Diskussion gegen Arbeitszeitverkürzung hört. Vor allem im Sozialbereich sei die Situation schwierig und speziell, weil die ArbeitgeberInnen keine fetten Profite einstreifen, sondern – ganz im Gegenteil – häufig Wohlfahrtsorganisationen repräsentieren.

An dieser Stelle lohnt sich ein Blick nach Schweden. Ausgerechnet in einem Altenheim in Göteborg wurde von 2015 bis 2017 der 6-Stunden-Tag getestet. Die rund 60 Pflegekräfte arbeiteten in diesem Zeitraum sechs statt acht Stunden bei gleichem Lohn. Das Ergebnis: 14 neue Pflegekräfte wurden eingestellt und „die Arbeitsverhältnisse verbesserten sich deutlich, das Personal hatte mehr Energie, Krankenstände sanken, die Patienten wurden auf einmal viel besser betreut“. Arbeitszeitverkürzung ist also auch im Sozialbereich – oder besser gesagt: gerade dort – eine ernstzunehmende Alternative zu Stress, Arbeitsdruck und Burn-Out.

Dem Argument, dass Arbeitszeitverkürzung nicht finanzierbar ist, kann man entgegenhalten: Das Geld dafür ist vorhanden – es liegt bei Reichen und Konzernen und muss sich von ebendort für die Ausfinanzierung des Sozialbereichs geholt werden.

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